Mladic und Srebrenica:Das Erbe des Erzschurken

Jede Epoche hat ihren Erzschurken, und noch vor Hussein, Gaddafi und vielleicht bald Assad war es der serbische General Ratko Mladic. Jetzt ist er gefasst und wird wegen Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt. Doch aus dem Grauen von Bosnien wurde auch etwas Gutes geboren: humanitäre Interventionen. Denn die wichtigste Lehre aus Srebrenica lautet: Massenmorde müssen gestoppt werden - auch wenn sich Deutschland gerne heraushalten würde.

Peter Münch

Die Steckbriefe sind schon lange verblichen, auf denen das Bild eines kantigen Finsterlings zu sehen war und darunter ein Name und eine Zahl: Ratko Mladic - 5.000.000 Dollar. 1995 waren die Plakate erstmals gedruckt worden, sie hingen an den Ruinen der Häuser, die der gerade erst beendete Bosnien-Krieg zurückgelassen hatte. 16 Jahre ist das her, es war in einem anderen Jahrhundert, in einer anderen Zeit. Viel zu lange also hat es gedauert, bis nun Vollzug gemeldet wurde mit der Verhaftung des serbischen Generals und mutmaßlichen Kriegsverbrechers - quälend lange und auch verräterisch lange. Doch immer noch kommt die Nachricht zur rechten Zeit.

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Gewiss, vor 15 oder auch noch vor zehn Jahren hätte die Verhaftung Mladics weltweit eine ähnlich elektrisierende Wirkung gehabt, wie es nun gerade nach der Tötung Osama bin Ladens zu spüren war. Damals hatte der Schlächter selbst vom Untergrund aus die Schlagzeilen beherrscht und die Läufe der Politik blockiert - bei prallstolz-provokativen Besuchen im Belgrader Fußballstadion oder mit Bunkerfesten umringt von alten Kameraden. Heute mag es Leute geben, die angesichts der plötzlichen Aufregung um die Festnahme fragen: Ratko wer? Es ist ihnen kaum zu verdenken.

Denn jede Epoche hat ihren Erzschurken, und die Epochen sind ziemlich kurz geworden in diesen schnelllebigen Zeiten. Nach dem balkanischen Kriegsterror kam der islamistische Anschlagsterror, und dazwischen hatte auch noch Saddam Hussein seine Zeit als größter zu jagender Schurke. Derzeit drängt der libysche Wüterich Muammar al-Gaddafi in diese Rolle von zweifelhaftem Reiz, der Syrer Baschar al-Assad steht bereit, und manch anderer noch wird sich nicht abschrecken lassen vom Schicksal seiner Vorgänger.

Mladic wird also nicht der Letzte sein auf der Schurkenliste, und man könnte einfach einen Haken machen unter der Nachricht seiner Verhaftung und zur Tagesordnung übergehen. Doch das Besondere an seinem Fall ist, dass er - zusammen mit dem serbischen Blutsbruder Radovan Karadzic - der Erste war auf dieser Liste. Die Anklage gegen die balkanischen Krieger nach der jahrelangen Belagerung von Sarajewo, nach mindestens 100.000 Toten im Bosnien-Krieg und nach dem Massaker von Srebrenica mit 8000 Ermordeten stand am Anfang einer neuen Zeit. Aus dem Grauen geboren ging es plötzlich um das große Ganze und das Gute: um globale Gerechtigkeit und humanitäre Interventionen.

Deshalb hat die Verhaftung von Ratko Mladic auch heute noch große Relevanz - und das gleich mehrfach. Natürlich steht zunächst im Vordergrund, was daraus folgt für die aktuelle Politik. Konkret: Ob Serbien statt mit den damals steckbrieflich ausgeschriebenen fünf Millionen Dollar nun mit einem weit wertvolleren Preis belohnt werden kann - mit der Aufnahme in die Europäische Union. Damit darf gerechnet werden nach Beseitigung der Mladic-Hürde, und dies dürfte auch das Kalkül des Belgrader Präsidenten Boris Tadic gewesen sein, als er die Häscher endlich losschickte. Spät wird hier ein Weg frei, nachdem die Serben immerhin schon im Jahr 2000 ihren Frühling erlebt hatten mit der Revolution gegen Slobodan Milosevic.

Ein skandalöses Leben

Interessant wird nun die Beobachtung, ob dieser letzte große Fang nach der Verhaftung von Milosevic 2001 und von Radovan Karadzic 2008 die Auseinandersetzung der Serben mit den von ihren Machthabern angezettelten Balkan-Kriegen noch einmal belebt. Juristisch zumindest kann das Kapitel mit einem Prozess gegen Mladic abschließend behandelt werden.

Und wichtig ist die Frage, ob das späte Ende dieses skandalösen Lebens in Freiheit den Opfern und Hinterbliebenen bei der Bewältigung ihrer Traumata hilft. Sie werden zumindest Genugtuung empfinden, wenn Gerechtigkeit geübt wird an diesem Mann.

Entscheidend aber ist, wie es am Tag der Verhaftung von Ratko Mladic um die zum Zeitpunkt der Anklage aufgestellten Prinzipien steht. Srebrenica, die zur Chiffre des Schreckens gewordene größte Untat des Generals, hat vor 16 Jahren die Welt verändert. Das Massaker war unmittelbarer Auslöser für die amerikanischen Luftangriffe auf serbische Stellungen rund um Sarajewo, die binnen weniger Tage den dreieinhalb Jahre tobenden Bosnien-Krieg beendeten. Danach war "Srebrenica" das Hauptargument für den Militäreinsatz des Westens im Kosovo, der einen weiteren Völkermord verhindern sollte. Von Srebrenica schließlich lässt sich eine Linie ziehen bis nach Bengasi und Misrata in Libyen. Doch diese Verkettung ist heute wieder sehr umstritten.

Srebrenica steht für Einmischung. Die Stimmung, nicht zuletzt in Deutschland, sagt eher: heraushalten. Nach den zähen Kriegen in Afghanistan und im Irak wird die militärische Intervention als zu gefährlich, zu langwierig und zu kostspielig abgelehnt. Dafür gibt es im Einzelnen gute Gründe - doch sie dürfen nicht das Prinzip in Frage stellen, wonach die Schwachen von den Starken geschützt werden müssen, wo immer das geht.

Massenmorde müssen verhindert werden, Massenmörder müssen gestoppt werden - das ist die wichtigste Lehre aus Mladics blutigen Taten. Wenn dann noch ein Verbrecher wie er später oder auch sehr viel später gefangen und vor Gericht gestellt werden kann - umso besser.

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