Mixa, Käßmann, Koch und Co.:Die Kunst des Rücktritts

Von Beust und Köhler sind zurückgetreten. Auch Mixa und Käßmann haben ihre Ämter aufgegeben - mehr oder weniger elegant. Wie tritt man richtig zurück? Fragen an den Germanisten Mathias Mayer, der ein Buch über die Kunst der Abdankung verfasst hat.

Alex Rühle

Ole von Beust ist der sechste der Ministerpräsidenten, die innerhalb von zehn Monaten zurückgetreten sind - außerdem haben in derselben Zeit noch Maria Jepsen, Horst Köhler, Walter Mixa, Margot Käßmann ihre Ämter aufgegeben. Aber was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Rücktritt und einer Abdankung? Und was macht eine würdevolle Abdankung aus? Fragen an den Augsburger Germanisten Mathias Mayer, der ein wunderbares Buch über die "Kunst der Abdankung" (Königshausen & Neumann, 2001) verfasst hat.

Rücktritt Teaser Politik

Maria Jepsen, Horst Köhler, Walter Mixa, Ole von Beust und Margot Käßmann sind nicht mehr im Amt. Ein eleganter Abgang gelang keinem.

(Foto: online.sdepolitik)

SZ: Herr Mayer, inwiefern unterscheidet sich der Rücktritt von der Abdankung?

Mathias Mayer: Die Abdankung ist mit Freiwilligkeit und Souveränität verbunden. Wer nur seiner Abwahl oder einem erzwungenen Rücktritt zuvorkommen will, wie Dieter Althaus, der dankt nicht ab. Aber auch Roland Kochs Wechsel in eine hohe Wirtschaftsfunktion würde ich nicht als Abdankung bezeichnen.

SZ: Wann kann man denn von der Kunst der Abdankung oder von einer geglückten Abdankung sprechen?

Mayer: Der Rücktritt gehört zum ordinären politischen Tagesgeschäft, richtige Abdankungen sind sehr selten zu sehen, zu ihr gehört, dass sie glaubwürdiges Resultat einer Lebenseinstellung ist. Dass das Lebensganze damit gleichsam beglaubigt wird, indem die Abdankung sich als Zweifel an der eigenen Wichtigkeit oder Rolle interpretieren lässt.

SZ: Fällt Ihnen da ein Politiker unserer Tage ein?

Mayer: Mir fällt nur Hans-Dietrich Genscher ein, der nach einem imponierenden Lebenswerk als damaliger Außenminister den richtigen Zeitpunkt selbst festsetzte.

SZ: Welche großen Gestalten in der Geschichte gibt es, die abgedankt haben?

Mayer: Die wichtigste Figur ist ohne Zweifel Karl V. Der hat ja auch die meisten Künstler angeregt - und auch Kristina von Schweden und Casimir von Polen bezogen sich bei ihren Rücktritten ausdrücklich auf ihn.

SZ: Was zeichnet denn dessen Abdankung aus?

Mayer: Karl V. ging immer wieder auf Distanz zu sich selbst und zu seiner Macht. Es sind ja mehrere Testamente und Rücktrittsüberlegungen von ihm überliefert. Am Ende hat er dann Ernst gemacht und ist ins Kloster San Yuste gegangen, hat aber vorher seinen Abgang minuziös inszeniert. Das war eine vorweggenommene Art des Nachrufs. Man sieht seine innere Einstellung schon in Tizians Porträts, die nicht den omnipotenten Herrscher zeigen, in dessen Reich die Sonne nicht untergeht, und der sich das Motto "Plus Ultra" (Darüber hinaus) gegeben hatte, sondern einen nachdenklichen Mann, der weiß, dass er sein Amt nur geliehen bekommen hat.

SZ: Daniel Casper von Lohenstein schrieb 1689 in seinem "Arminius"-Roman, "die freywillige abdankung" sei "bey grossen fürsten ein unbekanntes wunderwerk". Wenn nun fast im Monatsrhythmus Landesfürsten zurücktreten, was sagt das dann über deren Rollen aus?

Mayer: Die momentanen inflationären Fälle haben wenig von einer stilvollen Abdankung und mehr von Fahnenflucht und mangelndem Pflichtbewusstsein. Ich finde, diese Rücktreterei hat erschreckende Dimensionen angenommen. Zur geglückten Abdankung gehört auch, dass die Öffentlichkeit mit Wertschätzung und Respekt auf die Entscheidung reagiert. Aber in den meisten aktuellen Fällen ist der Entschluss ja umgekehrt mit Respektverlust einhergegangen. Margot Käßmann nehme ich da ausdrücklich aus. Aber wie der Bundespräsident einfach die Brocken hinwirft, das hat nichts von einer Abdankung, das erschien wie eine Affekthandlung.

SZ: Köhlers rätselhafter Abgang erinnert an Ihre Beschreibung des Diktators Sulla.

Mayer: Ja, wobei Sulla ein grausamer Despot war, der Tausende römischer Bürger hinrichten ließ, was Köhler ja nun nicht getan hat. Aber Sulla hat am Ende, genau wie Köhler, ohne nachvollziehbare Erklärung hingeschmissen, schockartige Verständnislosigkeit bei der Bevölkerung ausgelöst und sein "Amt" dadurch in Misskredit gebracht.

"Verdacht der Amtsmüdigkeit"

SZ: Sie schreiben, die Abdankung sei "im System der Geschichte als eines Prozesses der Machtsteigerung nicht vorgesehen, da es bedeutet, aus der Geschichte auszuziehen". Haben all die aktuellen Rücktritte auch damit zu tun, dass die Politiker das Gefühl haben, keine Macht mehr zu haben und eben auch nicht mehr historische Personen sondern austauschbares Personal zu sein?

Mayer: Es drängt sich für mich zumindest bei Roland Koch und Ole von Beust eher der Verdacht der Amtsmüdigkeit auf. Wenn die beiden in eine hohe Position in der Wirtschaft wechseln, dann ist das kein Austritt aus der Geschichte. Der Austritt bedeutet ja die implizite Kritik an der Macht durch den Verzicht auf sie.

SZ: Sulla, Papst Cölestin und vor allem Karl V. haben immer wieder Künstler angeregt, siehe Mozarts "Lucio Silla", Reinhold Schneiders "Engelpapst" über das Ein-Tages-Interregnum Cölestins oder Verdis "Don Carlos". Taugen die Figuren, die im vergangenen Jahr abgedankt haben, für eine künstlerische Bearbeitung?

Mayer: Ich fürchte, dass einige von denen doch eher für die Satire in Frage kommen als zur Legendenbildung. Für mich strahlte allenfalls Margot Käßmanns Entschluss innere Stimmigkeit aus.

SZ: In den künstlerischen Bearbeitungen werden die Abdankenden meist zu Heiligen oder Heroen stilisiert. Warum? Welche Sehnsucht des Publikums wird durch die Abdankung bedient?

Mayer: Die Fähigkeit zu einer solchen Abdankung setzt voraus, dass ein Machthaber jenseits politischer Horizonte denken kann, dass er sich als moralisches, verantwortungsvolles Wesen wahrnimmt. Weshalb die geglückte Abdankung in früheren Zeiten oft mit einer religiösen Grundeinstellung verbunden war, dem Wissen um die eigene Endlichkeit.

SZ: Wird vielleicht auch deshalb Margot Käßmanns Rücktritt so anders wahrgenommen? Beeindruckt vielleicht gerade in unseren säkularen Zeiten jemand, der noch eine Art ethische Hintergrundstrahlung mitbringt? Käßmanns Satz, sie könne nicht tiefer fallen als in Gottes Hand, wurde ja mantraartig oft zitiert.

Mayer: Das mag sein. Zumindest spürte man bei ihr ohne alles falsche Getue ein Bewusstsein für die menschlichen und damit auch eigenen Anfälligkeiten und Anfechtungen.

SZ: Sie skizzieren eine Ethik des Rückzugs, zu der die Geschichte und Politik weit weniger in der Lage sind als die Künste. Wie sieht diese Ethik aus?

Mayer: Ethik heißt dabei, den Mut aufzubringen, die eigenen Voraussetzungen in Frage zu stellen. Der Rückzug hat ja etwas Asketisches, bedeutet er doch Verzicht auf Reputation und Repräsentation. Deshalb ist er oft in der Nähe zur Religion zu sehen. In säkularen Zeiten wird man da freilich nicht oft dran denken.

SZ: Als Edmund Stoiber 2002 Gerhard Schröder unterlag, sprach der Psychoanalytiker Fritz B. Simon von einem merkwürdig interessanten Freiheitszugewinn durch den Akt des Verlierens: "Wer sich selbst zum Verlierer ernennt, braucht keine Bestätigung mehr von seinem Gegenüber." Erhard Eppler hat sich selbst einmal also solchen "befreiten Verlierer" definiert, als er ausschied aus dem Kabinett von Helmut Schmidt.

Mayer: Diese innere Befreiung habe ich weder bei Dieter Althaus noch bei Jürgen Rüttgers gesehen. Die sind eher ihrer endgültigen Entmachtung zähneknirschend zuvorgekommen.

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