Mittelmeerrouten:Migranten bringen Madrid in Bedrängnis

Spanien wird zum bevorzugten Ziel von Flüchtlingen aus Afrika. Die Opposition fordert vom neuen sozialistischen Premier Sánchez eine konsequente Abschottungspolitik

Von Thomas Urban, Madrid

Wegen der zunehmenden Migration aus Afrika auf spanisches Territorium gerät die neue sozialistische Regierung in Madrid immer stärker unter Druck. Die liberale und konservative Opposition forderte am Wochenende eine konsequente Rückkehr zur Abschottungspolitik der vergangenen Jahre. Spanien ist nach der Blockierung der Mittelmeerroute über Libyen durch die neue italienische Regierung zum bevorzugten Ziel von Migranten aus dem Maghreb sowie den Ländern südlich der Sahara geworden. Sie versuchen, entweder die Zäune um die beiden spanischen Exklaven Ceuta und Melilla zu überwinden, oder mit kleinen Booten die Meerenge von Gibraltar zu passieren. Hatten im ersten Halbjahr 2017 lediglich 6500 Migranten Spanien erreicht, so waren es im ersten Halbjahr 2018 bereits fast 20 000.

Wenige Tage nach seinem Amtsantritt Ende Mai hatte Premier Pedro Sánchez die Aufnahme afrikanischer Migranten erlaubt, die das Rettungsschiff Aquarius an Bord genommen hatte. Zuvor hatten Malta und Italien ihre Häfen für die Aquarius gesperrt. Bei dieser Gelegenheit sagte Sánchez, Madrid setze von nun an auf eine "humane Flüchtlingspolitik". Innenminister Fernando Grande-Marlaska kündigte an, die messerscharfen Klingen an den Zäunen um Ceuta und Melilla abzubauen. Die Polizeigewerkschaft forderte daraufhin Auskunft, wie die Außengrenzen der EU künftig effektiv bewacht werden sollen.

Aus Kreisen der von Sánchez geführten Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) sickerte indes durch, der Rückbau der Grenzanlagen werde verschoben. Es wurde gewarnt, dass die PSOE bei den nächsten Wahlen untergehen werde, falls die Regierung die Migration nicht eindämmen könne. Sánchez hat ohnehin bereits mit großen Problemen zu kämpfen: Am Freitag lehnte das Parlament seinen Haushaltsentwurf für 2019 ab; die PSOE verfügt lediglich über 84 der 350 Sitze.

Die angekündigte Entschärfung der Grenzzäune fand nach den Worten eines Sprechers der Guardia Civil, der nationalen Polizeitruppe, ein starkes Echo in Nordafrika. Am Wochenende stürmten mehr als tausend junge Afrikaner den Grenzzaun von Ceuta. Berichten zufolge griffen sie Grenzschützer mit Molotowcocktails, Steinen und Eisenstangen an. Die spanische Küstenwache nahm insgesamt etwa 1500 Menschen auf, die in kleinen Booten von der marokkanischen Küste gestartet waren. Etwa 50 000 Migranten warten laut der Guardia Civil in Marokko auf die nächste Gelegenheit, auf spanisches Territorium zu gelangen. Der spanischen Caritas zufolge hat nur ein kleiner Teil von ihnen Chancen, als Flüchtling anerkannt zu werden.

Befragungen junger Afrikaner belegen, dass viele den "Sprung über den Zaun" als Mutprobe betrachten. Auf Schildern wird vor den scharfen Klingen gewarnt. Nach Meinung spanischer Experten lässt die marokkanische Regierung derzeit die Migranten weitgehend ungehindert bis zur Grenze vordringen, um Druck auf Madrid und die EU im Handelsstreit um die ehemalige Kolonie Spanisch-Sahara auszuüben, die Rabat als eigenes Territorium beansprucht.

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