Mittelmeer:Anrüchig

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Die Aquarius rettet seit Jahren schiffbrüchige Migranten auf dem Mittelmeer. Dass bei deren Aufenthalt an Bord auch Müll anfällt, ist nichts Neues. (Foto: Darko Bandic/AP)

Die italienische Justiz geht jetzt mit ganz neuen Vorwürfen gegen Flüchtlingshelfer vor: Sie sollen illegal Müll transportiert und entsorgt haben. Ärzte ohne Grenzen widerspricht energisch: Es habe wegen der Abfälle nie Beschwerden gegeben.

Von Andrea Bachstein, München

Die italienische Regierung versucht allerlei, um private Rettungsorganisationen (NGOs) davon abzuhalten, Flüchtlinge im Mittelmeer in Sicherheit zu bringen. Nun kommt eine neue, im wahrsten Sinne schmutzige Maßnahme dazu: Es geht um Müll. Der sammelt sich, wenn Hunderte Menschen Tage auf einem Schiff zubringen. Der Abfall wird entladen, wenn das Schiff im Hafen festmacht. So geschah es auch, wenn die Aquarius , die für die Ärzte ohne Grenzen (MSF) und SOS Mediterranée fährt, oder die zeitweise benutzte VOS Prudence nach Einsätzen italienische Häfen erreichten. Die Staatsanwaltschaft in Catania hat gezählt: Die Schiffe entluden demnach zwischen Januar 2017 und Mai 2018 bei 44 Gelegenheiten in elf Häfen Siziliens 24 000 Tonnen Abfall. Es habe sich um illegalen Transport und illegale Entsorgung von Müll gehandelt; eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit.

Deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft Catania nun gegen 24 Personen, darunter den Kapitän der Aquarius, leitende Mitarbeiter von MSF, auch sieben Ärzte sind betroffen. Die Justiz hat die vorsorgliche Beschlagnahme der Aquarius angeordnet, um die Geldstrafe von 460 000 Euro zu sichern. Das Schiff liegt in Marseille, aber, so erklären die Strafverfolger in Catania: "Sollte die Aquarius in Italien landen, wird sie umgehend festgesetzt."

Die Verantwortlichen der Aquarius hätten den Abfall als Giftmüll deklarieren müssen, sagt die Staatsanwaltschaft. Es handelte sich um unbrauchbare Kleidung, Essensreste, medizinischen Müll wie Verbandsmaterial oder Spritzen. Da unter den Geretteten Menschen mit Infektionskrankheiten wie TBC und Meningitis oder mit HIV gewesen seien, habe "echte Gefahr" bestanden, schrieb Ermittlungsrichter Carlo Cannella im Beschlagnahmebeschluss.

MSF bestreitet die Vorwürfe energisch, es habe nie wegen der Abfälle Beschwerden von Behörden gegeben. "Wir sind bereit, die Fakten aufzuklären", sagte der MSF-Direktor für Italien, Gabriele Emminente, am Dienstag in Rom. "Wir versichern, dass unsere humanitären Einsätze legal und rechtmäßig abgelaufen sind." Emminente fügte hinzu: "Das einzige Verbrechen, das wir heute im Mittelmeer sehen, ist die völlige Auflösung des Such-und Rettungssystems", während weiter Menschen ihr Leben verlören und Überlebende zurückgebracht würden in den Albtraum der libyschen Lager. Die Leiterin für Noteinsätze des MSF, Karline Kleijer, teilte in einer Stellungnahme mit: "Nach zwei Jahren verleumderischer und unfundierter Anschuldigungen der Zusammenarbeit mit Menschenschmugglern gegen unsere humanitäre Arbeit, werden wir jetzt der organisierten Kriminalität und illegalen Müllhandels beschuldigt. Dieser jüngste Versuch der italienischen Behörden, humanitäre Such- und Rettungskräfte zu um jeden Preis stoppen, ist unheimlich."

Die Staatsanwaltschaft in Catania ließ zwei Jahre lang Ermittlungen gegen NGOs führen. Oberstaatsanwalt Carlo Zuccaro wollte belegen, dass sie mit kriminellen Schleusern gemeinsame Sache machten, die Flüchtlinge aus Libyen übers Meer bringen. Die Ermittlungen blieben erfolglos.

Italiens Innenminister Matteo Salvini von der Lega zeigte sich begeistert vom Vorgehen der Staatsanwälte gegen die Leute der Aquarius: "Es sieht so aus, als hätte ich es richtig gemacht, Italiens Häfen für die NGOs zu schließen", twitterte er. Er verweigert seit dem Sommer NGO-Schiffen mit Flüchtlingen zu landen. Auch ein Schiff der italienischen Küstenwache mit geretteten Flüchtlingen ließ er im August erst tagelang in keinen Hafen, dann durften sie tagelang nicht an Land, die Zustände an Bord wurden dramatisch. Daher leitete ein sizilianischer Staatsanwalt Ermittlungen gegen Salvini ein wegen Verdachts der Freiheitsberaubung und Verstoß gegen Jugendschutzgesetze. Catanias Oberstaatsanwalt Zuccaro schloss kürzlich diese Ermittlungen.

© SZ vom 22.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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