Süddeutsche Zeitung

Mitt Romney:Manager, gescheitert an der Politik

Mitt Romney hat die Präsidentschaftswahl bereits vor Monaten verloren - weil er sich wie ein Produkt verkauft hat, das sich je nach Umstand anders verpacken ließ. Die Republikaner müssen sich fragen, ob sie mit ihren Ansichten zu weit von der Realität entfernt sind.

Nicolas Richter, Washington, und Moritz Koch, Boston

Am Ende hat nicht nur Mitt Romneys Stimme gelitten, sondern auch seine Konzentration. Sein Eifer im Wahlkampf ging so an die Substanz, dass sich Aussetzer und Versprecher mehrten, schließlich ließen ihn seine Helfer vom Teleprompter ablesen. Vier oder fünf Reden hielt Romney jeden Tag, in verschiedenen Städten und Staaten, dazwischen eilte er ins Flugzeug, wo er große Mengen Joghurt mit Honig aß, bevor er an seinem iPad weiterarbeitete. Romney hat alles gegeben, um die Präsidentschaft zu erlangen. Es hat nicht gereicht.

Ganz am Ende dann ein gefasster, würdevoller Auftritt in Boston. Er dankt seiner Frau, seinen Helfern, seinen Söhnen. Sie kommen auf die Bühne, auch seine Enkel, auch sein Vize Paul Ryan, der so etwas wie sein sechster Sohn geworden ist. Romneys Wahlkampf war ein Familienunternehmen, ein erfolgloses. Die Niederlage ist das Los einer Familie, die sich berufen sah, im Weißen Haus zu dienen, und in zwei Generationen drei Mal scheiterte: George Romney 1968 in den Vorwahlen, sein jüngster Sohn Mitt 2008 in den Vorwahlen und 2012 in der Hauptwahl. Enormer Einsatz, und am Ende: nichts.

Mitt Romney soll in der Wahlnacht überrascht, gar schockiert gewesen sein über die Niederlage, er glaubte an den Sieg. Aber er hat wahrscheinlich schon im Frühjahr verloren. Damals hat ihn seine Partei kaputtgemacht, als sie ihn zwang, so weit nach rechts zu rücken, dass er, der Moderate von der Ostküste, sich wohl selbst nicht mehr erkannte. Damals schon listete das linke Magazin Mother Jones alle Gruppen auf, die die Republikaner vergrault hatten mit ihrer Attitüde der Fünfzigerjahre: Frauen, Schwarze, Latinos, Alte, Kranke, Schwule, Leute, die Sex mögen, Leute, die Banken hassen. Die Frage: "Kann man so eine Wahl gewinnen?"

Romney - eine Person für alle

Romney ist ein moderater Konservativer, dessen politische Karriere im eher linken Bundesstaat Massachusetts begann und der jetzt mit einer weit nach rechts gerückten Partei ins Weiße Haus gelangen wollte. Das würde jeden Politiker vor Herausforderungen stellen. Romney wollte die Widersprüche, wie alles, durch kühles Projektmanagement auflösen. Er behandelte sich selbst wie ein Produkt, das je nach Umstand anders zu verpacken und zu vermarkten war.

Der Romney für Massachusetts war liberal, der Romney für die Republikaner war streng konservativ, der Romney für die Amerikaner war beides. Mal war er für Abtreibung, dann dagegen. Mal setzte er die Gesundheitsreform durch, dann verleugnete er sie, dann brüstete er sich damit. Romney änderte die Verpackung. "Er macht keine Aussage, die er nicht im zweiten Halbsatz desselben Satzes widerrufen könnte", lästerte der Komiker Bill Maher.

Romney hat Politik so betrieben, wie er investiert hat: Er hat auf Chancen gewartet, auf die "opportunity". Man kann darin Opportunismus sehen. Er würde es wohl so ausdrücken: Erst setzt man sich das Ziel, dann sieht man zu, wie man es erreicht. Es ist das lineare Denken der Manager-Seminare, und es ist in sich schlüssig. In der Politik aber wirkt es verstörend, weil dort - so erwartet es die Öffentlichkeit zumindest - Überzeugungen die Menschen antreiben.

Der Politiker hat eine Überzeugung und versucht, ihr in einem Amt Einfluss zu verschaffen. Nicht: Der Politiker will ein Amt und sucht die Überzeugung, die ihn dorthin bringt. Aber Romneys "flip-flopping" erzählt auch von chronischer Konfliktscheu. Er sagt zwar, dass er gern Leute feuert, aber seine früheren Mitarbeiter erzählen, dass Romney die Leute so behutsam feuern konnte, dass sie es gar nicht merkten.

Politisch hätte Romney früh den Konflikt mit den Fundamentalisten in seiner Partei suchen müssen, statt ihnen gefallen zu wollen. Statt den Parteiliebling und Oberhaushaltssanierer Paul Ryan als Vize-Kandidaten zu nehmen, hätte er Chris Christie wählen müssen, der konservativ ist, aber zugleich - nicht nur nach Stürmen - menschliche Wärme ausstrahlt, eine glaubwürdige Sorge um das Volk.

Mehr Manager, weniger Politiker

Romneys Niederlage ist auch deswegen lehrreich, weil er einen neuen Politikertypus verkörpern wollte, gar einen neuen Ansatz von Politik. Er hält Manager für die besseren Politiker. Sie sind gewöhnt daran, Ziele zu erreichen oder rauszufliegen. Ihnen stehen die Ausreden der Politik - die Opposition, die Umfragen! - nicht zur Verfügung, und wenn etwas schiefgeht, können sie kein Geld aus der Staatskasse nachschießen.

Einmal hat Romney Jack Welch getroffen, den legendären Chef von General Electric. "Ich erwartete einen Super-Verkäufer", erzählte Romney später, "stattdessen sprach er leise, etwas stockend, aber brillant. In der Wirtschaft bedeutet der Inhalt viel mehr als die Verpackung."

Romney hätte anders regiert als George W. Bush, der stolz darauf war, sich auf sein Bauchgefühl zu verlassen. Romney dagegen ließ sich als Vorstandschef und Gouverneur ordnerweise Zahlen bringen. Er studierte alles, dann ließ er seine Leute streiten. Lange, kontrovers, mit offenem Ergebnis. Erst dann entschied er. Es entspricht seinem Instinkt, Dinge reifen zu lassen.

Ein Mann mit seiner Kompetenz hätte der richtige Mann für die Krise sein können. Romney weiß um sein charismatisches Defizit, aber er hoffte auf ein Gefühl vieler Wähler, dass sie lange genug auf der Party des coolen Typen aus Hawaii herumgehangen hatten, dass sie hungrig geblieben waren und jetzt nicht nur einen Job suchen, sondern auch einen finden wollten.

Aber Romney unterliefen zu viele Fehler. Einer davon ist schon vier Jahre her. In einem Zeitungsartikel warnte er, Staatshilfen würden die Autoindustrie ruinieren. Dabei standen General Motors und Chrysler schon vor dem Kollaps. Privatinvestoren hatten sie abgeschrieben, nur der Staat konnte noch helfen.

Obama half. Das haben die Wähler nicht vergessen. Die Autobranche ist das Rückgrat der Wirtschaft im Mittleren Westen, Hunderttausende dort verdanken Obama ihren Job. Romney hat seine Fehleinschätzung nie eingestanden oder bedauert. Oft wirkte er, als seien ihm die Leute egal, solange in Washington die Kasse stimmt. Bester Beweis dafür war seine Bemerkung, dass man 47 Prozent der Wähler als Parasiten abschreiben müsse.

Romneys Vater George war der Meinung, dass man erst Geld verdient und dann in die Politik geht. Nur so, fand er, könne man unabhängig sein. So gesehen ist Mitt Romney einer der unabhängigsten Politiker überhaupt: Sein Vermögen liegt bei einer Viertelmilliarde Dollar, er gehört zu den 0,006 Prozent der reichsten Amerikaner und verdient an einem Tag so viel wie ein durchschnittlicher US-Haushalt im Jahr. Doch das Vermögen wurde ein Fluch für Romney. Wie viele Reiche hat auch er kein Gefühl für das normale Leben, wie sein Angebot einer 10 000-Dollar-Wette im Vorwahlkampf zeigte.

Obama hat Romneys Managerleben und dessen Vermögen monatelang für oft billige Angriffe benutzt, er beschädigte Romneys Ruf damit so nachhaltig, dass es bis zum Wahltag reichte. Die Amerikaner haben im Prinzip nichts gegen reiche Männer. George Washington, der erste Präsident, war reich, auch Franklin D. Roosevelt, der Gründer des modernen Sozialstaats. Romney aber nährte den Argwohn, indem er sich weigerte, seine Steuererklärungen offenzulegen. Männer dürfen reich sein in den USA, aber nicht herablassend gegenüber jenen, die weniger haben.

Die Republikaner diskutieren sich selbst

Die Republikaner fragen sich jetzt, warum sie die Mehrheit im Parlament behaupten, nicht aber das Weiße Haus erobern können. Manche dachten, dass Obama als historische Figur nach vier Jahren nicht zu schlagen sei. Die Jungen haben sich wohl auch deswegen für 2016 aufgespart - Paul Ryan, Marco Rubio oder Chris Christie.

Aber die wichtigere Frage ist, warum die Republikaner so hoffnungslos abseits des Mainstreams liegen. Warum sie das Lebensgefühl dieser Zeit bekämpfen. Warum sie so verbissen gegen Einwanderer vorgehen, dass ihnen die stark wachsende Gruppe der Latinos fast vollständig verloren geht. Warum sie Kandidaten für den Senat aufstellen, die vergewaltigte Frauen verhöhnen. Warum sie Schwache verachten. Warum sie so besessen wirken von Etatkürzungen, dass ihr berechtigtes und dringendes Anliegen gesunder Staatsfinanzen abstoßend wirkt. Die Diskussion darüber hat schon am Wahlabend begonnen.

Mitt Romney dürfte in diesen Debatten keine große Rolle mehr spielen. Er hat zwar alles gegeben, aber er ist jetzt 65, und er hatte seine Chancen. Beim Parteitag hat die junge Garde zwar emsig für ihn geworben, aber jede Lobesrede auf ihn war auch eine Bewerbungsrede in eigener Sache.

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Quelle:
SZ vom 08.11.2012/ske/rus
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