Süddeutsche Zeitung

Mitt Romney und der Calvinismus:Lasst die Versager versagen

Gott belohnt die Tüchtigen und bestraft die Müßigen. Wer in Armut lebt, ist im Grunde selbst schuld und verdient keine Hilfe. Dieses Denken war in der amerikanischen Gesellschaft schon immer vorhanden. Auch dank Mitt Romney kehrt die für Europäer bizarr anmutende Ideologie mit aller Macht zurück.

Andrian Kreye

Wenn die Deutschen in Amerika wählen dürften, wäre die Sache längst gelaufen. 89 Prozent aller Befragten antworteten gerade auf die Frage des ZDF-Politbarometers, dass Sie für Barack Obama stimmen würden. Nur zwei Prozent würden sich für Mitt Romney entscheiden. Und da ist man dann schon beim eigentlich Faszinierenden an amerikanischen Präsidentschaftswahlkämpfen.

Das ist dieses unheimliche Gefühl, dass einem dieses Land, das man doch so liebt (Manhattan, Dylan, Philip Roth) letztendlich doch sehr fremd ist (Genfood, Wall Street, George W. Bush). Ist Mitt Romney nicht einer von denen, die der Welt die finsterste Wirtschaftskrise seit 1929 eingebrockt haben? Und hat Obama nicht die Truppen aus Irak und Afghanistan abgezogen, armen Amerikanern eine Krankenversicherung besorgt und Osama Bin Laden zur Strecke gebracht?

Es gibt gute Erklärungen für Mitt Romneys Erfolge. Einige davon findet man in dem Buch "Arme Milliardäre" von Thomas Frank. Der gehört zu jenem Kreis Intellektueller, die während der Neunzigerjahre in dem Magazin The Baffler aus Chicago eine neue Form der Kapitalismuskritik erfanden, die sich viel mit Realitäten und wenig mit Theorien beschäftigte. Thomas Frank war neulich auf Lesereise in Deutschland unterwegs. Und wenn er da von seinem Land erzählte, schaute er in Säle voll ungläubiger Gesichter.

Anstatt Solidarität und Gemeinsinn herrscht eine gehörige Wut

Ausführlich beschrieb er, wie Amerika auf die Finanzkrise reagierte - nicht mit Reformen, sondern mit einer noch konsequenteren Deregulierung, mit einer radikalen Durchsetzung der freien Marktwirtschaft, mit einer grimmigen Ablehnung jeglicher sozialer Maßnahmen und Programme.

Das erinnert an mittelalterliche Medizinpraktiken, als man Wunden mit Glüheisen ausbrannte. Vor allem aber verkehrte sich die auch in Amerika natürliche Reaktion auf eine solche Krise in ihr Gegenteil. Anstatt Solidarität und Gemeinsinn herrscht im Land nun eine gehörige Wut auf die Opfer der Krise - auf die Verlierer, Pleitiers, Bankrotteure, auf die Millionen, die mit Zwangsbescheiden auf die Straße gesetzt wurden. Und auf die Regierung, die sich anschickte, ihnen zu helfen und ihr Versagen damit auch noch zu legitimieren.

Motor dieses bizarren Zeitgeists ist eine neue Kaste aus der obersten Steuerklasse: die Beleidigten. Sie haben inzwischen eine erstaunlich große Anhängerschaft unter jenen Mittelständlern und lediglich Wohlhabenden gefunden haben, die sich so eine harte Linie eigentlich gar nicht leisten können.

Die Geburtsstunde dieser Kaste wurde am 29. Februar 2009 auf dem Wirtschaftsnachrichtensender CNBC live übertragen. Da stand der Reporter Rick Santelli auf dem Parkett der Chicagoer Börse und steigerte sich in einen Wutausbruch. Das staatliche Hilfsprogramm für Hauseigentümer, die ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten, sei "Belohnung von Fehlverhalten" und "eine Subvention der Kredite von Verlieren". Empört fragte er in die Runde der Börsenmakler: "Wer will hier für den Hauskredit seines Nachbarn aufkommen, der sich ein zweites Badezimmer geleistet hat und nun die Raten nicht mehr zahlen kann?" Voll in Rage rief er aus: "Wir leben hier in Amerika!"

Ähnlich zornig gebärdete sich Vorkämpfer der Beleidigten Leon Cooperman, ein Investmentfonds-Gründer aus New Jersey. Der verfasst im November einen Brief an Barack Obama, der bald schon die Runde machte. Ausführlich erzählt er da von seiner Kindheit als Sohn eines Klempners in der Bronx, von seinem langen Weg in der Finanzindustrie, den er als verschuldeter Uniabsolventen antrat und nun als Multimilliardär abschließt. Was Obama mit seiner Rhetorik und seinen Programmen anrichte, sei nichts weniger als einen "Klassenkampf" anzuzetteln.

Heiliges Buch der Beleidigten ist Ayn Rands inzwischen viel zitierter Roman "Der Streik", der im Original viel treffender "Atlas zuckte die Schultern" heißt. Atlas, der Gott, der die Welt schultern musste, das sind all diejenigen, die Mitt Romney und die Beleidigten als die "Geber" der Gesellschaft ansehen. Mitt Romneys berüchtigte 47 Prozent der "Nehmer" sind die Last, die es durch ein Schulterzucken abzuwerfen gilt.

In Europa ist diese oft weinerlich vertretene Ideologie einer fundamentalistischen Meritokratie nur schwer nachvollziehbar, weil sie dem Verständnis von Gesellschaft und Staat grundlegend widerspricht. Die Solidargemeinschaft, für die man sich auch in Deutschland auf einen Kompromiss der Mittelmäßigkeiten, der hohen Steuern und relativ großen sozialen Sicherheiten eingelassen hat, ist heilig.

In Amerika aber ist der unermessliche Reichtum und Wohlstand an diesem Punkt fast ausschließlich aus eigener Kraft geschaffen. Noch nie war es in der Geschichte der Menschheit möglich, so schnell zu solchen Vermögen zu kommen wie in den Jahren 1997 bis 2008. In den meisten Fällen wurde dieser Reichtum keineswegs mit den traditionellen Methoden der Ausbeutung geschaffen. Finanzgeschick, Innovationsindustrien und Risikobereitschaft waren die Antriebskräfte. So wird Reichtum nicht als Privileg verstanden, sondern als Belohnung für harte Arbeit. Warum sollte man diesen Lohn nun mit den Heerscharen der Versager teilen, die sich nicht die Mühe gemacht haben, selbst zu etwas zu kommen?

Da aber schlägt jener Glaube durch, der ganz am Anfang der Geschichte der modernen Amerikas stand - der Calvinismus, der aus Europa in die neue Welt vertrieben wurde. Der geht (in groben Zügen) davon aus, dass der Mensch als Sünder geboren wird. Doch Gott belohnt die Tüchtigen. Und bestraft die Müßigen - Armut ist demnach selbst verschuldet. Dieses Credo schwelte schon immer in der amerikanischen Gesellschaft. Erst Franklin D. Roosevelt konnte diesen Urgedanken der freien Marktwirtschaft mit seinem "New Deal", seinem neuen Gesellschaftsvertrag nach der großen Depression, etwas bändigen.

Nun aber kehrt der Calvinismus mit aller Macht zurück. Mitt Romney mag Mormone sein, doch er steht mit seiner Biografie für genau diesen Grundsatz aus den Wurzeln der Nation. Auch wenn es nicht mehr Gott ist, der die Schuldfrage klärt: "Lasst die Versager versagen." Europäern sind solche Gedanken sehr fremd. Es sei denn, man soll Griechenland und Spanien retten.

Linktipp: In einem Interview mit der SZ erklärt Thomas Frank, wie die Republikaner die Finanzkrise umdeuteten und weshalb so viele Amerikaner glauben, dass der Staat den Schwachen in der Gesellschaft nicht helfen muss..

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Quelle:
SZ vom 13.10.2012/olkl/mikö
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