Süddeutsche Zeitung

Mitgliederentscheid der SPD:Basis der Legitimation

Darf SPD-Chef Gabriel die Partei über die Zukunft des Landes entscheiden lassen? Jawohl, das darf er. Weder nehmen die Genossen mit ihrem Mitgliedervotum über eine große Koalition das Land in Geiselhaft, noch droht der Untergang Deutschlands. Wer sich beschwert, dass er nicht mitmachen darf, hätte längst Parteimitglied werden können.

Ein Kommentar von Christoph Hickmann, Berlin

Nun dürfen also die Mitglieder der SPD über die Koalition entscheiden. Erstaunlich viele Menschen finden das erstaunlich schlimm; eine der beliebteren Metaphern lautet gerade, die SPD nehme das Land in Geiselhaft. Das ist Mumpitz, schließlich ist die härteste der SPD zur Verfügung stehende Drohung, dass sie in die Opposition geht. Dann gäbe es Schwarz-Grün oder eine Neuwahl, was beides nicht den Untergang des Landes zur Folge hätte; allenfalls den der SPD.

Trotzdem: Darf Sigmar Gabriel das, darf er die Partei über die Zukunft des Landes entscheiden lassen? Jawohl, das darf er. Koalitionen werden von Parteien eingegangen, deshalb haben am Ende schon immer die Parteien entschieden, ob sie nun in die Koalition eintreten oder nicht. In den meisten Fällen haben darüber Parteitage abgestimmt, also gewählte Vertreter der Mitgliedschaft - oder es waren noch kleinere (stets demokratisch legitimierte) Gremien. Die SPD verbreitert jetzt einfach die Basis der Legitimation, mehr nicht.

Das Votum garantiert Stabilität

Hier setzt ein weiteres Argument der Gegner an: Das Mitgliedervotum höhle das Prinzip der repräsentativen Demokratie aus. Doch auch das geht ins Leere. Auch künftig werden die Regierungsgeschäfte nicht mit der Basis abgestimmt. Stattdessen werden sich, wenn am Ende ein Ja steht, viele Genossen noch umgucken, was die von ihnen legitimierte Regierung in den nächsten Jahren so alles entscheidet. Einiges davon wird nicht jedem Ortsvereinsvorsitzenden gefallen - aber weil dann die ganze Partei den Rahmen des Regierungshandelns, den Koalitionsvertrag, gebilligt hat, wird die SPD nicht gleich wieder vor der Zerreißprobe stehen. Das Votum garantiert Stabilität.

Zweitens darf Demokratie nie starr sein. Das Volk entscheidet, also müssen auch Wünsche des Volkes berücksichtigt werden, wie die Entscheidungsfindung zu organisieren ist. Und da ist der Wunsch nach mehr direkter Demokratie unübersehbar. In Baden-Württemberg durften die Menschen über einen Bahnhof abstimmen, in Berlin kürzlich über die Stromversorgung, und die Mitglieder der Grünen durften ihre Spitzenkandidaten wählen. Auch das Zwischenhoch der Piratenpartei gründete vor allem auf dieser Stimmung - und ausgerechnet die SPD, die sich so gern als Partei des Fortschritts sieht, hätte da beiseite stehen sollen? Vier Jahre nachdem Sigmar Gabriel ein Ende der Basta-Politik versprochen hat? Es wäre niemals gut gegangen.

Hinter dem Unmut über das Mitgliedervotum steht in Wahrheit eine Parteienverachtung, wie sie auch unter denkenden Menschen schick geworden ist. Diese Verächter geißeln die Auswüchse des Parteiensystems, blenden aber aus, woraus Parteien bestehen. Neben den Karrieristen und Besserwissern, die es überall gibt, bestehen sie aus Tausenden Menschen, die sich für Dinge einsetzen, die ihnen wichtig sind - und zwar, anders als in Bürgerinitiativen, ohne persönlich betroffen zu sein. Es ist gut, dass sie jetzt entscheiden dürfen. Wer sich beschwert, dass er nicht mitmachen darf, hätte ja längst eintreten können.

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SZ vom 29.11.2013/webe
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