Misstrauensvotum in Spanien:"Die Korruption in Rajoys Volkspartei hat beängstigende Ausmaße"

Prominente Parteimitglieder sind bereits verurteilt, diesen Freitag muss sich Regierungschef Rajoy einem Misstrauensvotum stellen. Ein Gespräch mit dem Historiker Carlos Collado Seidel darüber, wie es in Spanien weitergehen kann.

Interview von Barbara Galaktionow

51 Jahre Gefängnis für den Unternehmer Francisco Correa , 33 Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 44 Millionen Euro für den langjährigen Schatzmeister der spanischen Volkspartei, Luis Bárcenas - vergangene Woche verurteilte der Nationale Gerichtshof in Madrid die Hauptangeklagten in einem Korruptionsprozess um die spanische Volkspartei (PP) zu massiven Strafen. Auch der konservativen Regierungspartei selbst wurde eine Strafe von 245 000 Euro aufgebrummt.

Der Volkspartei-Vorsitzende und Ministerpräsident Mariano Rajoy muss sich an diesem Freitag einem von den oppositionellen Sozialisten (PSOE) eingebrachten Misstrauensantrag stellen, der gute Erfolgschancen hat. Unabhängig vom Ausgang des Votums ist klar: So wie bislang kann es in der spanischen Politik nicht weitergehen. Der deutsch-spanische Historiker Carlos Collado Seidel erklärt, was die Urteile und die Abstimmung für Spanien bedeuten.

SZ: Das Ausmaß der Korruption um die konservative spanische Volkspartei (PP) war schon lang bekannt. Parteigranden wie der langjährige Schatzmeister Luis Bárcenas hatten vor Gericht umfassend ausgesagt. Was hat sich durch die Verurteilungen verändert?

Carlos Collado Seidel: Bis jetzt musste man letztlich von der Unschuldsvermutung ausgehen. Doch mit dem Gerichtsurteil haben wir es schwarz auf weiß: Die Korruption in Rajoys Volkspartei hat durch und durch beängstigende Ausmaße. Damit ist auch klar, dass Konsequenzen folgen müssen.

Wie groß sind die Chancen, dass die Sozialisten um Pedro Sánchez und die linksalternative Gruppierung Podemos mit ihrem Misstrauensvotum Erfolg haben?

Sozialisten und Podemos bräuchten die Unterstützung kleinerer Parteien: der baskischen Nationalisten, die bislang die Rajoy-Regierung aus Eigeninteresse mitgetragen und inzwischen aber erklärt haben, für den Misstrauensantrag zu votieren, und der katalanischen Separatisten. Letztere knüpfen ihre Zustimmung an Bedingungen.

Was hat Sozialistenchef Sánchez den Katalanen anzubieten?

Eine der zentralen Forderungen ist die Freilassung der inhaftierten katalanischen Politiker. Eine neue Regierung könnte die Separatisten zwar nicht direkt aus der Haft entlassen - die Justiz ist unabhängig und das Recht auf Begnadigung übt der König auf Vorschlag des Justizministers aus, und zwar erst nach einem ergangenen Urteil. Insofern würde sich die Situation der Inhaftierten wohl nicht unmittelbar verändern. Doch es wäre bereits ein starkes Signal in Richtung Barcelona, wenn eine künftige Regierung unter einem Ministerpräsidenten Sánchez sagen würde: Der Katalonienkonflikt muss auf politischer Ebene gelöst werden, nicht allein auf juristischer.

Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy widersetzt sich Forderungen nach vorgezogenen Neuwahlen. Kann es ihm tatsächlich gelingen, die Situation einfach auszusitzen, falls das Misstrauensvotum scheitert?

Zur Verabschiedung des Haushalts und von Gesetzen sind parlamentarische Mehrheiten notwendig. Nun haben aber selbst die bürgerlich-liberalen Ciudadanos, die das Misstrauensvotum nicht unterstützen, angekündigt, angesichts der Korruptionsurteile ihre Zusammenarbeit mit Rajoys Minderheitsregierung zu beenden. Damit ist das Land faktisch unregierbar.

Misstrauensvotum in Spanien: Der deutsch-spanische Historiker Carlos Collado Seidel lehrt als außerordentlicher Professor Neueste Geschichte an der Universität Marburg. Er hat mehrere Monografien zur spanischen Geschichte vor allem des 20. Jahrhunderts veröffentlicht. Seit April 2017 ist er Generalsekretär des Pen-Zentrums Deutschlands. (Foto: privat)

Der deutsch-spanische Historiker Carlos Collado Seidel lehrt als außerordentlicher Professor Neueste Geschichte an der Universität Marburg. Er hat mehrere Monografien zur spanischen Geschichte vor allem des 20. Jahrhunderts veröffentlicht. Seit April 2017 ist er Generalsekretär des Pen-Zentrums Deutschlands. (Foto: privat)

(Foto: privat)

Also führt kein Weg an vorgezogenen Neuwahlen vorbei?

Sehr lange können Neuwahlen sicherlich nicht hinausgeschoben werden. Sollte der Misstrauensantrag erfolgreich sein, würde Sánchez allerdings erst einmal versuchen, sich als Interims-Regierungschef zu profilieren, um von einer Position des Staatsmanns aus seine Wahlaussichten zu verbessern.

Die Parteienlandschaft Spaniens ist sehr fragmentiert. Was würde sich durch Neuwahlen ändern?

Nach den Urteilen gegen die PP-Politiker ist davon auszugehen, dass die Volkspartei weiter an Zustimmung verlieren wird. Die anderen Parteien erhoffen sich dadurch Zuwächse. Das gilt insbesondere für Ciudadanos, die derzeit in Umfragen vorne liegen, aber auch für den PSOE. Ob sich durch eine Wahl die Regierbarkeit des Landes erhöht, bleibt abzuwarten. An der Fragmentierung wird sich nämlich nicht viel ändern.

Hat die Volkspartei die Kraft zur Erneuerung?

Dringend erforderlich wäre ein Generationenwechsel. Mit wem? Im Moment kann ich niemanden erkennen, der Rajoy die Parteiführung ernsthaft streitig macht. In der Vergangenheit ist Rajoy schon mehrfach politisch totgesagt worden, hat es aber immer wieder verstanden, sich an der Parteispitze zu behaupten. Das dürfte jetzt allerdings sehr schwierig werden.

Die massive Korruption innerhalb der Regierungspartei, aber auch die restriktive Handhabung der separatistischen Bestrebungen in Katalonien lassen Spanien nicht sehr gut aussehen. Hat das Land grundsätzliche Probleme mit der Demokratie?

Spanien hat ohne jeden Zweifel eine Verfassungsordnung, die der anderer westlicher Demokratien ebenbürtig ist. In der politischen Praxis kann man dem Land sicherlich Defizite attestieren. Natürlich besteht in Spanien - wie aber auch in anderen Ländern - ein Reformbedarf, ein grundlegender Haltungswandel der politischen Eliten, um dem Wählerwillen glaubhaft Genüge zu tun.

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