Misshandlungsvorwürfe:Das undurchsichtige Geschäft mit den Flüchtlingen

Private Sicherheitskräfte sollen Flüchtlinge misshandelt haben

Tatort Burbach: Private Sicherheitsleute sollen einen algerischen Asylbewerber gefesselt und misshandelt haben.

(Foto: dpa)

Die Flüchtlingslager in Deutschland sind überfüllt. Was drinnen passiert, wollen die wenigsten wissen. Dass nun ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen Wachleute eines privaten Sicherheitsdienstes auffällig geworden sind, ist wohl alles andere als Zufall.

Von Bernd Dörries

Die mutmaßlichen Täter sind identifiziert, das Opfer kennt man noch nicht. In den meisten Straffällen ist es eher umgekehrt. Aber ein normaler Fall ist es ohnehin nicht: Etwa fünfzehn Sekunden lang ist das Handyvideo, es zeigt, wie ein Mann gezwungen wird, sich auf eine Matratze mit Erbrochenem zu legen.

Die Stimmen auf dem Video konnten identifiziert werden, sie gehören zu zwei privaten Sicherheitsleuten des Notaufnahmelagers in Burbach im Siegerland. Sie waren grausam, und sie waren auch noch so dumm, sich dabei zu filmen. Nach dem Opfer wird noch gesucht - es ist einer jener Asylbewerber, die nach Deutschland kommen, in Aufnahmelager wie Burbach, und nach sechs bis zehn Tagen weiterverteilt werden.

Die Behörden achten kaum noch selbst auf ihre eigenen Richtlinien

Dass der Raum knapp ist für Flüchtlinge, das weiß man in Deutschland seit vielen Monaten, in denen sich die Flüchtlingsströme aus Syrien vervielfacht haben. Aber wie genau die Zustände in den Lagern sind, das wollten nur die wenigsten wissen. Die ehemalige Siegerland-Kaserne in Burbach wurde 1969 von der Bundeswehr bezogen und 2004 wieder aufgegeben. Im vergangenen Jahr wurde sie zur Notunterkunft umgebaut, für bis zu 500 Menschen. Dass zuletzt 700 Flüchtlinge dort lebten, zeigt, wie wenig die Behörden noch auf ihre eigenen Richtlinien achten, oft auch, wie wenig sie noch darauf achten können angesichts der vielen Menschen.

Der Fall Burbach zeigt aber auch, dass der Staat die Fürsorge für Menschen, die in ihrer Heimat Schlimmes erlebt haben, an private Firmen ausgegliedert hat. So ist die Betreuung von Flüchtlingen zu einem mitunter undurchsichtigen Geschäft geworden. In Burbach betreibt die European Homecare die Notunterkunft, vergibt die Verträge für die Sicherheitsdienste aber an Subunternehmer, die weitere Subunternehmer engagieren.

In einer Stellenausschreibung für einen Job in Burbach heißt es unter dem Punkt "notwendige Bildungsvoraussetzungen: nicht relevant". Auch ein Führungszeugnis wollte niemand sehen. Und so kamen nun auch mutmaßlich Kriminelle dazu, sich um Flüchtlinge zu kümmern, die nicht selten zuvor von kriminellen Schleppern ins Land gebracht wurden.

Gegen vier Angestellte des Burbacher Sicherheitsdienstes wird mittlerweile wegen Körperverletzung ermittelt, zwei von ihnen waren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und Gewaltdelikten bereits polizeibekannt. Seit dem Wochenende werden Hunderte Heimbewohner befragt, ein Algerier, dem die Wachleute die Hände auf dem Rücken fesselten und ihm den Stiefel ins Genick drückten, ist identifiziert. "Das sind Bilder, die man sonst nur aus Guantanamo kennt", sagte der Hagener Polizeipräsident Frank Richter. Es sind auch Bilder, die viele an die grausamen Szenen im US-Gefängnis im irakischen Abu Ghraib erinnern werden.

Alle Tatorte liegen in NRW. Ein Zufall?

Einzelfälle sind es aber offenbar nicht, auch in Essen gibt es drei Strafanzeigen von Asylbewerbern, auch dort wird das Heim von European Homecare betrieben, das sich selbst als "Familienunternehmen aus der Region" beschreibt. Ganz so familiär geht es aber nicht zu, in Burbach und Essen wurden die Sicherheitsdienste an die Firma SKI vergeben, die wiederum Unteraufträge vergab. In Bad Berleburg sollen zwei Beschäftigte eines anderen Sicherheitsdienstes einen Bewohner verletzt haben. Auch hier laufen Ermittlungen.

Alle drei Tatorte liegen in Nordrhein-Westfalen. Ein Zufall? Das bevölkerungsreichste Bundesland nimmt die meisten Flüchtlinge auf, als eines der wenigen Länder lässt das Land den Kommunen bei der Unterbringung freie Hand - Kontrollen gibt es kaum. Viele Beteiligte hielten das für einen Fehler. "Die Regierung hat die Aufsichtspflicht nicht wahrgenommen", sagt CDU-Landeschef Armin Laschet. Die Städte würden mit dem Problem allein gelassen. Bayern übernehme die vollen Kosten für die Unterbringung, das Land Nordrhein-Westfalen zahle nur einen Teil.

Misshandlungsvorwürfe: 700 Flüchtlinge leben inzwischen in der ehemaligen Siegerland-Kaserne in Burbach. Hier kam es zu Übergriffen des Wachpersonals.

700 Flüchtlinge leben inzwischen in der ehemaligen Siegerland-Kaserne in Burbach. Hier kam es zu Übergriffen des Wachpersonals.

(Foto: Federico Gamberini/AP)

Massenunterkünfte statt kleine Wohneinheiten

Vor Kurzem erst kritisierte Pro Asyl die Zustände: "Ein großes Bundesland wie Nordrhein-Westfalen sollte eigentlich Vorbild für andere sein und verbindliche Standards zur Unterbringung von Flüchtlingen festlegen", sagte Kay Wendel von Pro Asyl. Die CDU-Opposition und auch der Städtetag fordern seit vielen Wochen finanzielle Hilfen für die Kommunen, die mit dem Zustrom überfordert sind. In Duisburg wurde bereits eine Zeltstadt errichtet, in Köln Wohncontainer aufgebaut.

Sehr viele Städte missachten die eigenen Richtlinien, quartieren die Neuankömmlinge in Massenunterkünften ein anstatt in kleineren Wohneinheiten. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) sieht die Schuld dennoch alleine bei den privaten Sicherheitsdiensten: Die dürften sich keiner Subunternehmer bedienen, ohne diese auch zu kontrollieren. Man werde künftig nur noch Personen zum Arbeiten in den Heimen zulassen, die überprüft seien, "durch Polizei und Verfassungsschutz", sagte Jäger. Fehler im System sieht er nicht. Zumindest mehr Sicherheitspersonal soll es nun aber geben, kündigt Jäger an: "Wir tun das jetzt noch mal mit dem klaren Auftrag, die vereinbarten Qualitätsstandards kontinuierlich kontrollieren zu können."

Ein Desaster für Hannelore Kraft

Für die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen kommen die Missbrauchsfälle zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Am Wochenende erst hatte Hannelore Kraft auf dem Parteitag versucht, etwas aus der Defensive zu kommen, nachdem ihr seit Monaten nachgesagt wurde, amtsmüde zu sein und die Schulden des Landes nicht in den Griff zu bekommen. Das gelang mit ihrer deutlichen Wiederwahl als SPD-Landeschefin einigermaßen, aber am Sonntagabend schon überlagerten die Missbrauchsfälle die Aufbruchstimmung in der SPD. Nordrhein-Westfalen ist jetzt nicht mehr allein Schuldenhochburg, sondern muss nun auch gegen den Eindruck ankämpfen, dass hier Bürgerkriegsflüchtlinge nicht sicher sein können.

"Ich bin fassungslos, dass so etwas passieren kann, und ich schäme mich dafür, was den Menschen dort geschehen ist", sagt Hannelore Kraft am Montag in Berlin. Immerhin sie räumt ein, dass in ihrem Land angesichts der vielen Flüchtlinge nicht ausreichend kontrolliert worden sei, wie die Hilfesuchenden untergebracht wurden. "Das werden wir umgehend ändern."

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