Misshandlungsfall Kurnaz:"Freispruch zweiter Klasse"

Ermittlungsstopp im Fall Murat Kurnaz bestätigt: Auch die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart sieht für die Vorwürfe des ehemaligen Guantánamo-Häftlings gegen deutsche Elite-Soldaten keine ausreichenden Beweise.

Eine Beschwerde des in Bremen geborenen Türken gegen die Einstellung der Ermittlungen wurde zurückgewiesen, teilte der Leitende Oberstaatsanwalt Rainer Christ am Montag in Stuttgart mit.

Es handele sich um einen "Freispruch zweiter Klasse", erläuterte Christ. Die Ermittlungen würden nicht wegen erwiesener Unschuld eingestellt, sondern weil die Verdachtsmomente gegen die zwei Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) aus Calw nicht ausreichten. Dass Kurnaz seine Anschuldigungen frei erfunden haben könnte, sei nicht anzunehmen.

"Irgendetwas in diese Richtung muss passiert sein", sagte Christ. Es sei aber vor allem unklar, wer Kurnaz misshandelt habe. Für eine Anklage reiche es damit nicht, "weil wesentliche Ungereimtheiten und Unklarheiten nicht ausgeräumt werden konnten."

Zweifel an Kurnaz' Erinnerungen

Der heute 26 Jahre alte Kurnaz hatte den Soldaten vorgeworfen, ihn Anfang 2002 in einem US-Gefangenenlager im afghanischen Kandahar geschlagen und getreten zu haben. Die Soldaten, die in dem Lager zu Wachdiensten eingeteilt waren, bestreiten die Vorwürfe. Mitte März hatte die Staatsanwaltschaft Tübingen ihre Ermittlungen aus Mangel an Beweisen eingestellt.

"Zweifel an der Verlässlichkeit der Erinnerung" von Kurnaz sieht die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart vor allem im Hinblick auf die Identifizierung der Beschuldigten: Kurnaz habe zwar im Januar 2007 bei einem Bildervergleich einen der Soldaten erkannt, er habe ihn jedoch nicht sicher als den Täter identifiziert, erläuterte Christ.

Weitere juristische Möglichkeit

Kurnaz' Anwalt, Bernhard Docke, hatte der Staatsanwaltschaft Tübingen vorgeworfen, wegen der "politischen Sprengkraft" des Falles vor einer Anklage zurückzuschrecken. Die Zurückweisung der Beschwerde muss nicht der letzte Schritt in dem juristischen Ringen im Fall Kurnaz sein: Es bleibt noch die Möglichkeit eines Klageerzwingungsverfahrens vor dem Oberlandesgericht Stuttgart.

Die Ermittlungen der Tübinger Staatsanwaltschaft liefen seit November 2006. Kurnaz war im August 2006 aus dem US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba freigekommen. Sein Fall wurde Gegenstand zweier Untersuchungsausschüsse des Bundestags.

Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart verwies am Montag ausdrücklich darauf, dass sie für ihre Entscheidung nicht nur die Akten aus Tübingen ausgewertet habe, sondern auch die Protokolle des Verteidigungsausschusses des Bundestags, der sich als Untersuchungsausschuss mit dem Fall Kurnaz befasste.

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