Misshandlungen in der Bundeswehr:Die Lehren aus Coesfeld und Kabul

Hartes Durchgreifen und eine neue Dienstvorschrift: Wie das Verteidigungsministerium Defizite "in der Werteorientierung der meist jungen Ausbilder" beheben will.

Peter Blechschmidt

Manchmal können schlechte Nachrichten wie jene über die Misshandlungen in Coesfeld oder über die Totenschädel-Fotos in Afghanistan auch heilsame Wirkung entfalten. "Coesfeld hat deutlich gemacht, dass wir noch stärker vermitteln müssen, was unsere Werte sind", sagt Brigadegeneral Alois Bach, Kommandeur des Zentrums Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz.

Ausbildung Rekruten Dienstvorschrift Coesfeld

Die Ausbildung von Soldaten ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Nicht jeder ist ihr gewachsen.

(Foto: Foto: ddp)

Die Lehren aus Coesfeld und Kabul finden Eingang in eine neue Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 10/1 zur "Inneren Führung", die im Lauf des Jahres verabschiedet werden soll. Anlass für die Neufassung war nicht Coesfeld, sondern die Transformation der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Einsatzarmee.

Aber Coesfeld hat Defizite "in der Werteorientierung der meist jungen Ausbilder", so das Verteidigungsministerium, offengelegt, die nun deutlicher angesprochen werden, als es ohne diese Vorfälle vielleicht geschehen wäre.

Zwei Ausbilder fristlos entlassen

Im Fall Coesfeld hat das Verteidigungsministerium auch unmittelbar reagiert. Von den 18 Angeklagten in Münster sind vier nicht mehr bei der Bundeswehr: Zwei wurden fristlos entlassen (über ihre Klagen dagegen ist noch nicht entschieden), einer ist turnusgemäß ausgeschieden, und einer war nur Reservist. Von den 14, die noch die Uniform tragen, sind vier vom Dienst suspendiert; zehn, unter ihnen der damalige Kompaniechef, tun Dienst in anderen Verwendungen.

Die neue ZDv 10/1 werde die Innere Führung nicht neu erfinden, sagt der zuständige Referatsleiter im Verteidigungsministerium, Oberst Klaus-Dieter Bermes. Aber sie werde neue Akzente setzen. Bermes verspricht eine "anwenderfreundliche Diktion".

Denn da liegt ein erheblicher Teil des Problems: Was nützen hehre Grundsätze vom "freiheitlichen Menschenbild", von der "ethischen Begründung für soldatisches Handeln" oder vom "gewissensgeleiteten Gehorsam", wenn sie zwar in ziselierten Vorschriften stehen, im Alltag aber nicht praktiziert werden?

"Bedrucktes Papier zu ändern, reicht selbstverständlich nicht aus", sagt der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe. Die Hauptlast der Ausbildung junger Soldaten liegt auf den Schultern der rangniedrigen Unteroffiziere ohne Portepee.

Die sind kaum älter als ihre Untergebenen, haben folglich kaum mehr Lebenserfahrung, sind den Rekruten an Schulbildung oder Berufsqualifikation oft unterlegen. Im Handwerk, das gern als Vergleichsmaßstab für das Unteroffizierskorps herangezogen wird, wären sie die Gesellen. "Da gibt es solche, denen fehlt eigentlich nur der Meisterbrief, und andere, bei denen muss der Meister schon genau hinsehen", sagt General Bach.

"Als Ausbilder muss ich Menschen mögen"

Der Meister, das wäre bei der Bundeswehr der "Spieß" - ein Begriff, der sich aus alten Tagen bis in die Neuzeit hinübergerettet hat. Der Spieß ist der ranghöchste Unteroffizier in einer Einheit von 100 bis 120 Mann, deren Chef in der Regel ein Hauptmann ist.

Spieß und Kompaniechef sind Dreh- und Angelpunkte bei dem Bemühen, die Grundsätze der Inneren Führung bei den jüngeren Ausbildern so zu verankern, dass Übergriffe wie in Coesfeld oder Fehlverhalten wie in Kabul gar nicht erst passieren. "Helfende Dienstaufsicht, nicht bürokratisches Controlling" nennt Oberst Bermes ein System, in dem der Vorgesetzte vor allem durch seine Vorbildfunktion führt.

Versäumnisse von Eltern und Schulen kann die Bundeswehr nur begrenzt aufarbeiten. Dass die Ausbildung der Ausbilder dabei ein zentraler Punkt ist, scheint die Bundeswehr aber gelernt zu haben. "Wenn ich als Ausbilder zur Bundeswehr will, muss ich Menschen mögen", sagt Bach.

Und Robbe meint: "Was bei Ausbildern an Defiziten besteht, wird an die Auszubildenden weitergegeben." Schon in einem sehr frühen Stadium müsse geprüft werden, ob Bewerber bei der Bundeswehr zur Menschenführung taugen.

Einzelfälle von Fehlverhalten gebe es immer wieder, sogar mit steigender Tendenz, stellt Robbe anhand der Eingaben bei ihm und der Meldungen über die sogenannten besonderen Vorkommnisse fest.

Auch die Qualität der Vorfälle habe sich geändert. Deshalb verspricht der Wehrbeauftragte, er werde besonderes Augenmerk darauf richten, dass die Absichtserklärungen der Bundeswehrführung auch "in die Praxis umgesetzt werden".

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