Süddeutsche Zeitung

Mißfelder und Putin auf der Schröder-Party:Besser feiern als gar nicht reden

CDU-Mann Philipp Mißfelder soll womöglich seinen Job als außenpolitischer Sprecher verlieren, weil auch er auf Schröders Geburtstagsfeier in Sankt Petersburg war? Das ist genauso absurd wie seine Rechtfertigung. Aber mit Putin zu reden ist besser, als nicht mit ihm zu reden. Das weiß sogar die Kanzlerin.

Ein Kommentar von Thorsten Denkler, Berlin

Natürlich ist die Erklärung absurd, er sei als Privatmann auf der Geburtstagsfeier des Pipeline-Unternehmens Nord Stream zu Ehren von Gerhard Schröder gewesen.

Auch Politiker wie Philipp Mißfelder haben ein Privatleben. Aber wenn auf der Party in Sankt Petersburg neben dem Altkanzler auch der russische Präsident Wladimir Putin auftaucht, dann kann sich der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von CDU und CSU nicht einfach in Privatheit flüchten.

Jetzt wird in der Fraktion angeblich diskutiert, ob Mißfelder in dem Amt noch zu halten sei. Das ist mindestens ebenso absurd. Wenn jeder Deutsche zurücktreten müsste, der auf der Party gesichtet wurde oder gesichtet worden sein soll, es stünde eine wahre Welle von Rücktritten an.

Keine Frage, die Bilder sind verstörend. Da herzen sich Putin und Schröder vor den Kameras der Paparazzi - während im Osten der Ukraine deutsche Militärbeobachter der OSZE als Geiseln gehalten werden. Es ist kaum vorstellbar, dass das alles so völlig ohne jeden Einfluss Russlands geschieht.

Wie kann dann einer wie Mißfelder zu so einer Feier gehen? Oder einer wie der SPD-Mann Erwin Sellering, Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern?

Die Antwort ist einfach: weil das im deutschen Interesse liegt.

Da ist vor allem die enge wirtschaftliche Verflechtung. Die intensiven wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland kann und will derzeit niemand grundsätzlich in Frage stellen. Wie sollte das auch gehen? Allein die Abhängigkeit vom russischen Gas ist augenfällig.

Jeder weiß, dass die Nord Stream AG zu 51 Prozent dem russischen Gasriesen Gazprom gehört. Die anderen 49 Prozent aber liegen in deutschen, niederländischen und französischen Händen. Der deutsche Energiekonzern Eon aus Düsseldorf und die zur BASF-Gruppe gehörende Wintershall Holding mit Sitz in Kassel teilen sich zusammen 31 Prozent der Anteile.

Die Pipeline-Gesellschaft Nord Stream ist also auch ein sehr deutsches Unternehmen. Gazprom hält die Mehrheit. Die Schlüsselpositionen in dem Unternehmen aber sind mit Deutschen besetzt. Es wäre recht eigentümlich, wenn an der Feier kein Deutscher teilgenommen hätte.

Unrealistische Forderung von Moralisten

Die von Nord Stream gebaute Pipeline endet übrigens an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern. Einer wie Erwin Sellering müsste schon hinterm Mond leben, um nicht die Chance zu ergreifen, sich im direkten Gespräch mit den deutschen und russischen Betreibern eine Lageeinschätzung aus erster Hand zu holen.

Moralisten würden vielleicht sagen, Schröder hätte die Party absagen müssen. Das wäre nicht realistisch. Putin hätte sich vor den Kopf gestoßen gefühlt. Und das wegen einer Feier. Es darf bitte wichtigere Anlässe geben, das Verhältnis zu Russland noch schlechter werden zu lassen, als es ohnehin schon ist.

Nein, es ist gut und wichtig, dass auch solche informellen Anlässe genutzt werden, um mit Putin im Gespräch zu bleiben. Gewiss: Die Lösung für die Dauerkrise in der Ukraine, die auch von den USA akzeptiert werden kann, wird nicht bei einem pompösen Galadinner gefunden werden. Aber Deeskalation durch Gesprächsbereitschaft auf allen Ebenen: Das ist das zweite deutsche Interesse. Mit Putin zu reden ist besser, als nicht mit ihm zu reden. Das weiß sogar die Kanzlerin.

Und das gilt auch für Mißfelder. Gerade als außenpolitischer Sprecher der Fraktion ist er auf ungefilterte Informationen angewiesen. Um sich dann hoffentlich ein eigenes Bild zu machen. In der Unionsfraktion gehört er zu den wenigen, die überhaupt noch direkte Gesprächskontakte nach Russland haben.

Das wäre eigentlich auch eine Aufgabe für den für Außenpolitik zuständigen Fraktionsvize Andreas Schockenhoff, in der Fraktionshierarchie sozusagen der direkte Vorgesetzte von Mißfelder. Schockenhoff war von 2006 bis 2014 sogar Koordinator für die deutsch-russischen Beziehungen. Aber dank seiner langjährigen und fast schrillen Anti-Russland-Rhetorik bekommt er wohl nicht mal mehr den Hausmeister im russischen Außenministerium an den Apparat.

Schockenhoff ist ein gutes Beispiel dafür, dass zwar niemand vor Russland in den Staub fallen muss. Aber ständige - vor allem öffentliche Belehrungen - aus dem politischen Raum helfen eben auch nicht weiter. Eine Politik des "Wandels durch Annäherung" hätte nie funktioniert, wenn Kanzler Willy Brandt einst bei jeder Gelegenheit auf die Sowjets geschimpft hätte.

Eigene Kontakte von Abgeordneten wie Mißfelder sind auch deshalb wichtig, weil sich die Unions-Abgeordneten nicht allein auf die Lageberichte ihrer Kanzlerin verlassen sollten. Sie kontrollieren die Regierung. Das ist ihr Job, auch in der Außenpolitik.

Wenn Schröder, Mißfelder und Sellering etwas vorzuwerfen ist, dann, dass sie offenbar niemanden über die mögliche Begegnung mit Putin informiert haben. In der derzeitigen Lage hätte jedem von ihnen klar sein müssen, dass solche Alleingänge diplomatisch schwierig sind.

Aber hätten sie der Feier fernbleiben sollen? Nein. Manchmal fällt es leichter, bei einem Glas Wein für die eigene Position zu werben. Nur die öffentliche Umarmung mit Putin, die hätte Schröder lassen sollen. So wenig wie Mißfelder einfach nur als Privatmann dagewesen ist, kann Schröder seinen Titel als Bundeskanzler a. D. ablegen. Hin und wieder sollte er sich dessen bewusst sein.

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