Missbrauchsskandal:Widerstand in Weiß

Wie die Initiatorinnen von "Maria 2.0" die katholische Kirche boykottieren wollen.

Von Thomas Hummel

Lisa Kötter träumt von Hunderten weißen Flecken vor den katholischen Kirchen des Landes: Statt brav in die Kirche zu gehen, sollen die Frauen davor weiße Laken auslegen und Gottesdienst feiern, als Zeichen des Protests gegen die sexuelle Gewalt durch Priester und Ordensleute - und für die Gleichberechtigung. Für eine Woche sollen sie keine Kirche betreten, die Arbeit in den Gemeinden niederlegen. Lisa Kötter und ihre Freundinnen von der Initiative "Maria 2.0" rufen zum Kirchenstreik auf. Sie wollen die Männerherrschaft nicht mehr hinnehmen. Fünf Frauen waren sie zuerst - der Aufstand gehört eher nicht zum Wesenskern katholischer Frauengruppen. Doch ihre Idee ist durchs Land gegangen wie ein Frühlingssturm.

Der Wunsch nach Widerstand erwachte im Januar in der Gemeinde Heilig Kreuz in Münster. Lisa Kötter, 58, hatte den Film "Schweigen der Hirten" gesehen, in dem es um systematisch vertuschte Missbrauchsfälle geht. Statt die gewalttätigen Priester anzuzeigen, wurden sie einfach versetzt. "Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen", erzählt Kötter. Heulend sagte sie im Lesekreis: "Die Frohe Botschaft kann man in diesem Grauen nicht mehr finden. Wer will sie noch hören, wenn viele Boten so Furchtbares tun?" Es müsse endlich was geschehen. Auch bei den vier Freundinnen brachen Wut und Enttäuschung heraus.

So gründeten sie Maria 2.0, so entstand die Idee zum Frauenstreik von diesem Samstag an. Und die traf einen Nerv. "Wir wissen von Hunderten Gruppen, die sich gebildet haben, nicht nur im deutschsprachigen Raum. Tausende Frauen machen mit", erzählt Kötter. Sie spricht von einer Selbstermächtigung, auf die hohen Herren ihrer Kirche will sie nicht mehr warten. Einige der hohen Herren reagieren nun angefressen: Kurienerzbischof Georg Gänswein, der Privatsekretär des emeritierten Papstes Benedikt XVI., warf den Frauen vor, sie wollten eine neue Kirche erfinden.

Der aktuelle Papst Franziskus erließ am Donnerstag eine Meldepflicht für Fälle sexueller Gewalt innerhalb der Kirche; das finden die Frauen gut. Weniger aber, dass er den Frauen die Weihe zur Priesterin oder Diakonin verwehrt. Die geistliche Macht bleibt bei den Männern. Lisa Kötter ist überzeugt: "Mit Frauen an wichtigen Stellen gäbe es bestimmt auch Unrecht, aber diese Systematik wäre nicht möglich." Es ist auch die Ignoranz der Kirchenmänner, die sie empört. Im März bei der Frühjahrstagung der Bischöfe in Lingen überreichte die Katholische Frauengemeinschaft fast 30 000 Unterschriften als Protest gegen den Umgang mit Missbrauch. "Die meisten Herren haben nicht einmal den Kopf gehoben, und es gab so manches süffisante Grinsen", sagt Kötter.

Und immer noch gebe es viel Angst in der Kirche. Priester trauten sich nicht, Maria 2.0 offen zu unterstützen; Angestellte wollten anonym bleiben. "Es gibt Fälle, da haben Mitarbeiter unsere Facebook-Seite gelikt und wurden zum Personalchef in ihrem Bistum zitiert", berichtet sie. Bei den Frauen in Münster aber ist die Angst weg. "Wir haben nichts zu verlieren", sagt Lisa Kötter. Wenn gar nichts helfe, könne man immer noch austreten. "Aber dann laut."

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