Internationale Aufarbeitung:Skandal ohne Ende

Internationale Aufarbeitung: Noch immer streiten Betroffene für Anerkennung und Entschädigung: Demonstration vor der Engelsburg in Rom.

Noch immer streiten Betroffene für Anerkennung und Entschädigung: Demonstration vor der Engelsburg in Rom.

(Foto: Alberte Pizzoli/AFP)

In den USA gingen sogar Diözesen wegen der Entschädigungszahlungen pleite. In Deutschland wird noch über deren Höhe gestritten.

Von Annette Zoch

Der Missbrauchsskandal beschäftigt die katholische Kirche schon sehr lange. In die öffentliche Aufmerksamkeit sickerten die Fälle aber erst allmählich, zunächst Mitte der 1980er-Jahre in den USA und Ende der 1990er-Jahre in Irland. Dort konnte der pädokriminelle Priester Brendan Smyth zum Beispiel mehr als 40 Jahre lang Kinder missbrauchen - die Rede ist von rund 90 Opfern. Smyth starb 1997 im Gefängnis. Hochrangige Kleriker in Irland wussten davon und unternahmen nichts, in den folgenden Jahren wurden immer mehr Fälle bekannt. Insgesamt drei Bischöfe traten zurück, mehrere staatliche Untersuchungskommissionen wurden eingesetzt. Einfluss und Ansehen der Kirche sind in dem traditionell katholischen Land seither stark geschwunden.

In den USA erregte nach ersten Berichten aus Kalifornien und Louisiana in den 1980er-Jahren vor allem die Recherche des Boston Globe im Jahr 2002 Aufsehen. Die Journalisten konnten nachweisen, was auch in vielen weiteren Studien in anderen Ländern ein zentrales Ergebnis war: Kirchenobere wussten lange von den Verbrechen, versetzten Täter aber immer weiter, um die Institution Kirche zu schützen. Die amerikanischen Diözesen zahlten in den folgenden Jahren zwei- bis dreistellige Millionensummen an Entschädigungen. Mehrere Diözesen mussten deshalb bereits Insolvenz anmelden.

In Deutschland begann die breite Auseinandersetzung mit dem Thema erst 2010, in diesem Jahr wurden Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg in Berlin öffentlich. Berichte aus vielen weiteren Internaten, Heimen und Diözesen folgten. 2018 veröffentlichte ein interdisziplinärer Forschungsverbund im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz die sogenannte MHG-Studie, eine Überblicksstudie mit Daten aus ganz Deutschland, die unter anderem Grundlage für den kirchlichen Reformprozess "Synodaler Weg" wurde. Danach gaben außerdem einzelne Diözesen eigene Missbrauchsstudien in Auftrag. Besonderes Aufsehen löste das Erzbistum Köln aus, weil es die ursprünglich bei der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) in Auftrag gegebene Studie nicht veröffentlichte. Zur Begründung hieß es, die WSW-Studie habe methodische und äußerungsrechtliche Mängel. Stattdessen wurde der Strafrechtler Björn Gercke mit einem neuen Gutachten beauftragt. Mitte Februar wird es auch in Essen so weit sein. Andere Bistümer wiederum haben bis heute noch keine Studie in Auftrag gegeben. Streit gibt es in Deutschland immer noch um die Entschädigung von Opfern. Betroffene kritisieren insbesondere die von der Bischofskonferenz ins Leben gerufene Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA), die über Geldzahlungen entscheidet. Sie werfen ihr intransparente und wenig nachvollziehbare Entscheidungen vor.

In Frankreich wurde - anders als in anderen Ländern - eine sogenannte Dunkelfeldstudie in Auftrag gegeben. Dabei wurden die Opferzahlen statistisch auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet. Heraus kam eine Zahl von 216 000 Opfern von Klerikern seit den 1950er-Jahren. Die Bischofskonferenz versprach, zunächst einen Entschädigungsfonds von 20 Millionen Euro einzurichten. Mehrere Diözesen verkauften dafür auch Immobilien und Grundstücke.

In Spanien wird eine große Missbrauchsstudie in diesem Jahr erwartet. Beauftragt ist die Madrider Großkanzlei Cremades und Calvo-Sotelo, zu deren externen Beratern unter anderem die Münchner Anwälte von Westpfahl Spilker Wastl zählen. Von Betroffenen kritisch beäugt wird der persönliche Hintergrund von Kanzleichef Javier Cremades: Er ist Mitglied bei Opus Dei, einer konservativen Priester- und Laienvereinigung. "Es gibt Anzeichen dafür, dass auch zu systemischen Fragen etwas im spanischen Gutachten stehen wird", sagt Ulrich Wastl der SZ. "Wir wissen nicht, in welcher Tiefe, wir sind ja nicht die Gutachter, aber es gibt Anzeichen dafür."

Vor allem im Vatikan dürfte die spanische Untersuchung mit Spannung erwartet werden. Spanien hat mit Blick auf die Weltkirche und gerade Lateinamerika eine höhere Bedeutung als Studien aus Deutschland oder Frankreich. "Für den Vatikan kommen die Einschläge näher", sagt Ulrich Wastl. "Denn natürlich muss irgendjemand mal die Frage stellen: Vor mehr als 20 Jahren hat Rom angefangen, Gesetze und Vorschriften zu erlassen, Missbrauchsfälle mussten zentral an die Glaubenskongregation gemeldet werden. Aber was ist dann passiert?" Zu prüfen sei, ob die Vorwürfe überhaupt richtig verfolgt wurden und ob es dafür personelle Ressourcen gab. Das seien Fragen, die nun gestellt werden müssten. "Von daher kann ich mir vorstellen, dass im Vatikan angesichts der spanischen Untersuchung eine gewisse Aufregung herrscht."

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