Missbrauchsskandal:Zweifel an Zollitsch

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Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz gerät in Bedrängnis: Er soll einen Missbrauchsfall in seinem Bistum falsch dargestellt haben. Der Fall erinnert an den von Maria Jepsen - kann Robert Zollitsch so weiter als Aufklärer gelten?

Matthias Drobinski

Der Täter ist tot, seit 15 Jahren; die Folgen seiner Taten leben weiter. Franz B. war 23 Jahre lang Pfarrer von Oberharmersbach im Schwarzwald, und 23 Jahre lang tat er Kindern und Jugendlichen seiner Gemeinde sexuelle Gewalt an. 22 Opfer haben sich bislang gemeldet, es dürften aber mehr sein. 1991 versetzte das Erzbistum ihn in den Ruhestand, offiziell, weil er schwer krank war. 1995 erhängte sich Pfarrer B., als klar wurde, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermitteln würde. Noch heute aber tragen die Kinder von damals und ihre Familien an den seelischen Verletzungen, die ihnen der Mann zufügte.

Kann er weiter an der Speerspitze der Aufklärer stehen? Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. (Foto: ag.ddp)

Und noch einer hat Schaden genommen: Robert Zollitsch. Heute ist er Erzbischof von Freiburg und Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz, damals war er Personalreferent des Erzbistums. Er hat im Umgang mit dem Straftäter B. Fehler gemacht. Und er hat im März 2010 nicht die ganze Wahrheit gesagt, wenige Tage, nachdem er auf der Frühjahrsversammlung der deutschen Bischöfe in Freiburg den Willen der Kirche bekundet hatte, alle Fälle von sexuellem Missbrauch schonungslos aufzuklären.

"Er brach in Tränen aus."

Schon da hatte es Kritik an Zollitsch gegeben: Zu lange habe er in der großen Krise der Kirche geschwiegen. Nun zeigen Recherchen des SWR-Magazins "Report Mainz", dass Zollitsch seit 1992 von den Missbrauchsvorwürfen in Oberharmersbach wusste. Und nun hat der Erzbischof vor der Ausstrahlung eines entsprechenden Magazin-Beitrags in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung selber gesagt, dass er schon damals den Täter hätte anzeigen müssen.

Im März hatte das Ordinariat die Geschichte noch so dargestellt: 1991 seien Zollitsch vage Gerüchte über Pfarrer B.'s Übergriffe zu Ohren gekommen; der habe dies bestritten, Opfer hätten sich nicht gemeldet. Weil der Mann ohnehin schwer krank war, habe man ihn in den Ruhestand versetzt, mit der Auflage, sich von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten. Erst im Frühjahr 1995 habe es konkrete Anschuldigungen gegeben. Bald darauf habe sich B. das Leben genommen.

Nun aber muss Zollitsch zugeben, dass ihn bereits am 11. Februar 1992 ein vier Seiten umfassender Brief erreichte - geschrieben von einem Pfarrer, der vom Missbrauch seines Neffen durch Pfarrer B. berichtete. Im FAS-Interview spricht Zollitsch zudem von einem "erschütternden Brief" einer Mutter zweier Söhne. Er habe B. mit den Vorwürfen konfrontiert: "Er hat sie nicht abgestritten, aber auch kein Geständnis abgelegt", erinnert sich Zollitsch. "Er brach in Tränen aus. Er äußerte mehrfach, wie leid ihm alles tue." Der Mann habe als suizidgefährdet gegolten.

Das Erzbistum habe dem Opfer therapeutische Hilfe angeboten. Auf eine Anzeige aber habe man verzichtet: "Wir wollten den Pfarrer nicht in den Tod treiben. Und wir waren davon überzeugt, dass wir mit einer Anzeige große Unruhe in die Gemeinde tragen würden - bis hin zur Entzweiung von Familien." Heute wisse man, dass dies falsch gewesen sei; bei einem Treffen hat Zollitsch das am Freitag vergangener Woche auch den Opfern selber gesagt und sie "von ganzem Herzen um Verzeihung" gebeten.

Nicht nur in der katholischen Kirche wurde damals so mit Missbrauchsfällen umgegangen. Umso schwerer ist verständlich, warum das Bistum im März die Sache anders darstellte. Warum? Um abzuwiegeln und um zu vertuschen - das ist, grob gesagt, der Vorwurf des SWR-Beitrags und der Opfer, die dort zu Wort kommen: "Man merkt, dass immer nur auf den Tisch kommt, was bewiesen werden kann", sagt einer der Männer. Zollitsch erklärt dagegen, er habe im März "unter enormem Zeitdruck formulieren" müssen, ohne die Unterlagen genau zu kennen: "Die Vorgänge von 1992 und die von 1995 hatten sich nach so vielen Jahren in meinem Gedächtnis ineinander verschoben."

Der Fall erinnert an den der Maria Jepsen

Im März, nach sechs Wochen Missbrauchskrise und einer Bischofskonferenz zum Thema, hat der Vorsitzende dieser Konferenz nicht die wichtigsten Unterlagen zum schlimmsten Missbrauchsfall in seinem Bereich zur Hand? Es drängt sich die Parallele zu jenem Fall auf, dessentwegen die nordelbische Bischöfin Maria Jepsen am Freitag zurücktrat: Auch dort wurde ein Pastor zwar aus der Gemeinde in Ahrensburg genommen, als Gerüchte über ihn auftauchten, aber niemand hat ihn wirklich zur Rechenschaft gezogen. Und als alles an die Öffentlichkeit kam, hat die Bischöfin, bei allem Bedauern, nicht die ganze Wahrheit gesagt. Von Maria Jepsen heißt es, sie sei auch amtsmüde gewesen, das ist Zollitsch offenkundig nicht, aber es wird ihm schwerer fallen als bisher, sich als Vorsitzender der Bischofskonferenz an die Spitze der Aufklärer zu stellen.

Ähnlichkeiten mit Maria Jepsens Fall sieht Bistumssprecher Robert Eberle jedenfalls nicht. Die Vorwürfe seien "weder neu noch gerechtfertigt". Und er fügt hinzu: "Es sind Fehler passiert, aber von Rücktritt redet hier niemand."

© SZ vom 20.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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