Missbrauchsopfer:Warten auf Entschädigung

´Operation Zucker. Jagdgesellschaft" - Kindesmissbrauch

Drei Prozent der deutschen Bevölkerung haben laut dem Mediziner Jörg Fegert sexuelle Gewalt in ihrer schlimmsten Form erlitten.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Vor einem Jahr wurde die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs eingesetzt. 415 Opfer haben sich bisher gemeldet. Die ersten Anhörungen zeigen: Die Betroffenen warten auf Geld und einen Therapieplatz.

Von Christoph Dorner, Berlin

Sexueller Missbrauch von Kindern in Heimen, Schulen und Familien war über Jahrzehnte in beiden Teilen Deutschlands Alltag. Die meisten Opfer schwiegen, viele Täter blieben unbelangt. Die vor einem Jahr eingesetzte Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat nun eine erste positive Zwischenbilanz ihrer Arbeit gezogen. Bei ihr sind bisher 415 Anträge von Betroffenen für eine Anhörung sowie 67 schriftliche Berichte eingegangen.

40 Anhörungen mit Betroffenen haben seit Oktober stattgefunden, sagte Sabine Andresen, Vorsitzende der Kommission. Bei den vertraulichen Gesprächen sollen sie die Geschichte ihres Missbrauchs erzählen können, ohne sich gegen Zweifel an ihrer Version wehren zu müssen. Es seien "erschütternde Gespräche", sagte Christine Bergmann, die als frühere Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung ebenfalls Teil der Kommission ist. Die ersten Anhörungen zeigten, dass die Betroffenen weiter auf Entschädigungen warten und sich schwer damit tun, Therapieplätze zu bekommen.

Bergmann hatte 2010 einen runden Tisch initiiert, nachdem eine Welle von Missbrauchsfällen, etwa an der Odenwaldschule und im Kloster Ettal, bekannt geworden war. Damals hatte es zwar einen Abschlussbericht gegeben. Der politische Wille für eine Anlaufstelle, die das Ausmaß und die Folgen sexueller Gewalt gegen Mädchen und Jungen dokumentiert und in die Öffentlichkeit bringt, war aber wieder eingeschlafen. Erst dem derzeitigen Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig gelang es, vom Bund bis 2019 jährlich 1,4 Millionen Euro für die Kommission zu erstreiten. Dieses Budget reiche aber nur für insgesamt 500 Anhörungen, betonte Andresen und forderte mehr Mittel. Die Erziehungswissenschaftlerin rechnet damit, dass sich in den kommenden Monaten weit mehr Menschen melden werden, da sich das Gremium auch mit sexuellem Missbrauch im familiären Umfeld befasst. Diese Fälle ziehen sich oft über Jahre, weil sich die Betroffenen in Loyalitätskonflikten befinden.

Auch Katja Dörner, Bundestagsabgeordnete der Grünen, fordert deshalb mehr Planungssicherheit: "Es ist nicht akzeptabel, dass die Kommission ihre Arbeit bereits im nächsten Jahr einschränken muss, weil die finanzielle Ausstattung nicht ausreichend ist."

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