Missbrauch und Kirche:Jesuiten quälten mehr als 200 Kinder

Sexuelle und körperliche Gewalt, systematische Vertuschung, gebrochene Biographien: Die Missbrauchsbeauftragte der Jesuiten zieht eine erschütternde Bilanz.

An Einrichtungen von Jesuiten in Deutschland ist es in den vergangenen Jahrzehnten in mindestens 205 Fällen zu sexuellem Missbrauch und körperlichen Misshandlungen von Kindern gekommen. Der Taten verdächtigt werden 46 Patres, weltliche Lehrer und Erzieher des Ordens, berichtete die vom Jesuitenorden mit der Aufklärung der Fälle beauftragte Berliner Rechtsanwältin Ursula Raue an diesem Donnerstag bei einer Pressekonferenz in München.

Jesuiten praesentieren Abschlussbericht zu Missbrauchsfaellen

Beklemmende Fakten: Die Missbrauchsbeauftragte des Jesuitenordens, Rechtsanwältin Ursula Raue, bei der Präsentation des Abschlussberichtes zu Missbrauchsfällen in Einrichtungen des Jesuitenordens neben Provinzial Stefan Dartmann.

(Foto: ag.ddp)

Raue sagte, zusätzlich zu den 205 Meldungen an Jesuiten-Einrichtungen seien ihr fünfzig weitere meist an katholischen Einrichtungen geschehene Übergriffe gemeldet worden. Ende Januar war durch Aussagen mehrerer ehemaliger Schüler bekanntgeworden, dass es am Canisius-Kolleg in Berlin - einem Gymnasium der Jesuiten - in den siebziger und achtziger Jahren einen systematischen sexuellen Missbrauch von Kindern gegeben hatte. In der Folge wurden zahlreiche weitere Fälle bekannt, weshalb die Jesuiten Raue mit der Aufklärung beauftragten.

Wie die Berliner Rechtsanwältin feststellte, kam es außer am Canisius-Kolleg auch im Kolleg Sankt Blasien, dem Aloisiuskolleg in Bad Godesberg, der Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg sowie Jugendeinrichtungen in Hannover und Göttingen und einem heute nicht mehr von den Jesuiten geleiteten Kolleg im westfälischen Büren zu Übergriffen.

Hauptbeschuldigte sind laut Raue insgesamt zwölf Patres, von denen sechs inzwischen verstorben sind, sowie zwei weltliche Mitarbeiter. Den Beschuldigten werde von mehr als einem Opfer oder Zeugen Missbrauch oder grobe Gewalttätigkeit beziehungsweise beides vorgeworfen, zusätzlich auch Mitwisserschaft. 32 weitere Patres, weltliche Lehrer oder Erzieher seien bisher von nur einem Opfer genannt worden.

Die Jesuiten haben die sexuelle und körperliche Gewalt gegen Kinder über Jahrzehnte hinweg an den Schulen des Ordens systematisch vertuscht. Die Täter wurden in mehreren Fällen von ihren Oberen gedeckt und an andere Orte versetzt, wie die Missbrauchs-Beauftragte der Jesuiten bei ihrem Abschlussbericht in München sagte. "Man hat dafür gesorgt, dass die verschoben wurden."

Raue sagte, bei vielen Opfern hätten die Übergriffe schlimme Auswirkungen auf ihren weiteren Lebensweg gehabt. "Diese Leute, die sich da gemeldet haben, sprechen fast durchgängig von gebrochenen Lebenswegen, von Angst und Depressionen, Problemen im sexuellen Bereich und zerstörten Ehen und Eheproblemen." Die Anwältin machte auch dem Jesuiten-Orden schwere Vorwürfe. Dort seien viele Fälle bekannt gewesen, ohne dass angemessen reagiert wurde.

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