Missbrauchs-Aufklärung:So viele Unzulänglichkeiten

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Kirchturmspitze des Osnabrücker Doms (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Etwa 400 katholische Ordensgemeinschaften wurden zu "Grenzverletzungen, Übergriffen und sexuellem Missbrauch" befragt. Trotz unvollständiger Angaben lassen die Zahlen das Ausmaß erahnen.

Von Matthias Drobinski und Annette Zoch, Frankfurt/München

Katharina Kluitmann, die Franziskanerinnen-Schwester und Vorsitzende der Deutschen Ordensoberenkonferenz, weiß um die Grenzen des Projekts, das sie vorstellt. Es liege noch "viel Arbeit" vor den katholischen Ordensgemeinschaften bei der Aufklärung und Aufarbeitung der sexuellen Gewalt gegen Minderjährige und Schutzbefohlene.

Man werde sich "dem Thema stellen, soweit wir das können"; die Ordensleute seien dabei angewiesen auf die Kritik von außen und die unbequemen Fragen der Betroffenen. "Wir hoffen, dass sie damit nicht aufhören", sagt Schwester Katharina.

Die Deutsche Ordensoberenkonferenz (DOK) hatte ihre knapp 400 Mitglieds-Gemeinschaften befragt - nach allen Meldungen "zu Grenzverletzungen, Übergriffen und sexuellem Missbrauch". Die Teilnahme war freiwillig. Von wissenschaftlichen Mindeststandards sind die Ergebnisse weit entfernt - erst recht von der Studie jenes Forscherteams aus Mannheim, Heidelberg und Gießen, die im Herbst 2018 das Ausmaß der sexuellen Gewalt in den deutschen Bistümern erahnen ließ.

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Damals gab es Kritik, dass die Ordensgemeinschaften in der Studie nicht auftauchten - obwohl viele Gewalttaten in Klöstern, Klosterschulen und -internaten geschahen. Im Mai 2019 beschloss die Mitgliederversammlung der DOK einstimmig die Umfrage; den Bogen zurückgeschickt haben 291 Gemeinschaften, die 90 Prozent der heute lebenden Ordensleute repräsentieren.

Trotz dieser Grenzen lassen die Zahlen der Umfrage das Ausmaß der sexualisierten Gewalt durch Ordensangehörige erahnen. Insgesamt 1412 Personen haben sich demnach über die Jahrzehnte hinweg bei 100 Gemeinschaften gemeldet, weil sie missbraucht worden seien.

Beschuldigt wurden insgesamt 654 Ordensleute und 58 Mitarbeiter, fast 80 Prozent der Beschuldigten sind mittlerweile tot. Knapp 70 Prozent der Männergemeinschaften wurden mit Vorwürfen konfrontiert, aber auch 22 Prozent der Frauenorden. Bei vier von fünf Gemeinschaften hätten sich weniger als zehn Personen gemeldet, bei einigen aber mehr als 100 Betroffene. In nur 88 Fällen wurde der Staatsanwalt eingeschaltet, in 907 Fällen nicht.

Höchst unterschiedlich sind Aufklärung, Aufarbeitung und Entschädigung in den verschiedenen Gemeinschaften gelaufen. Nur jede zweite Gemeinschaft, bei der es Missbrauchsvorwürfe gab, hat alle Akten gesichtet. Sieben hätten wissenschaftliche Studien in Auftrag gegeben, vier planten dies. Die Hälfte der vorstellig gewordenen Personen hätte Zahlungen in Anerkennung ihres Leids erhalten - insgesamt mehr als 4,3 Millionen Euro.

Warum so viele Unzulänglichkeiten - zehn Jahre, nach Aufdeckung des Missbrauchsskandals? Weil die Ordensoberenkonferenz nur ein lockerer Zusammenschluss ohne Durchgriffsmöglichkeiten ist, sagt Schwester Katharina Kluitmann. Und weil die Gemeinschaften extrem unterschiedlich seien, von kontemplativen Frauenorden bis zu Männerklöstern, die Schulen und Internate betrieben. Drei Viertel der Orden hätten weniger als 50 zumeist sehr alte Mitglieder.

Deshalb sei auch eine Studie sinnlos, die alle in der DOK zusammengeschlossenen Gemeinschaften erfasse. Sehr wohl aber wolle man Aufklärung und Aufarbeitung weitertreiben, gemeinsam mit der Bischofskonferenz und mit Johannes-Wilhelm Rörig, dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Missbrauchsfragen. Gemeinsam mit den Bischöfen arbeite man an einer einheitlichen Regelung für Anerkennungszahlungen - da sei man aber auf die Unterstützung der Bistümer angewiesen, die Orden hätten weniger Finanzierungsmöglichkeiten. Mit ungefähr 30 Millionen Euro Kosten rechne man.

Rörig, der Beauftragte der Bundesregierung, sagte, es sei "erstmal positiv", dass der Dachverband diesen Weg eingeschlagen habe, "um sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen. Jetzt kommt es darauf an, dass ein umfassender Aufarbeitungsprozess in Gang gesetzt wird, ohne das weitere kostbare Zeit verloren wird".

Aufarbeitungsprozess bei den Orden "sehr viel komplizierter"

Der Aufarbeitungsprozess sei bei den Orden "sehr viel komplizierter" als in den Bistümern, aber "unumgänglich". "Gerade weil die Deutsche Ordensoberenkonferenz wenig Durchgriffsrecht hat, sollten starke Orden, starke Ordensleute und auch die 27 Bistümer die DOK nun auch bei ihren Bemühungen unterstützen", sagte Rörig.

Matthias Katsch, Sprecher der Betroffenenvereinigung "Eckiger Tisch" des Canisius-Kollegs der Jesuiten, äußerte sich dagegen verärgert: Zehn Jahre hätten die Gemeinschaften Zeit gehabt, da sei eine Umfrage zu wenig.

Alle Akten der von Vorwürfen betroffenen Gemeinschaften müssten der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt werden; es brauche eine unabhängige Untersuchungskommission des Bundestags. Keinesfalls dürfe "mit dem Hinweis auf verarmte Gemeinschaften den Opfern eine angemessene Entschädigung verweigert werden."

Harte Worte. Aber darum hatte Schwester Katharina ja gebeten.

© SZ vom 27.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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