Bericht zu sexuellem Kindesmissbrauch:Betroffene erfahren auch heute noch kaum Unterstützung

Bilanzbericht zu sexuellem Kindesmissbrauch

Die Vorsitzende der Kommission, Sabine Andresen, präsentiert den Bilanzbericht zu sexuellem Kindesmissbrauch in Berlin.

(Foto: Jörg Carstensen/dpa)
  • Viele Fälle von sexuellem Missbrauch passieren innerhalb der Familie.
  • Das steht im Bilanzbericht der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.
  • Bei der Kommission haben sich seit Mai 2016 etwa 1700 Betroffene gemeldet. 900 wurden vertraulich angehört.

Gut zwei Jahre nach dem Beginn ihrer Arbeit hat die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs eine Bilanz vorgelegt. Mehr als 1700 Betroffene hatten sich bei der Kommission gemeldet, 900 vertrauliche Anhörungen seien geführt worden. Zusätzlich gingen 320 schriftliche Berichte ein.

Das zentrale Problem ihrer Arbeit beschrieb die Vorsitzende der Kommission, Sabine Andresen, bei der Vorstellung des Berichts so: "Angestoßen wird Aufarbeitung und Aufdeckung in aller Regel durch Betroffene selbst. Sie stoßen aber als Kinder, Jugendliche und später als Erwachsene auf viele Hürden." Daher habe es sich die Kommission zur Aufgabe gemacht, Wissen zu generieren, Zusammenhänge aufzuzeigen und die Gesellschaft zu sensibilisieren.

"Warum schweigen so viele im Umfeld von Opfern - in der Familie, der Schule - so lange und nachhaltig?", fragte Andresen. Schweigen und Bagatellisierung dienten nur den Tätern. "Wir haben es bei sexuellem Kindesmissbrauch immer auch mit Machtmissbrauch zu tun." Dieser geschieht laut dem Bericht besonders häufig im familiären Kontext. Dort fanden 56 Prozent der Missbrauchsfälle statt. Neben dem Bereich Familie liegen in der aktuellen Bilanz auch Schwerpunkte auf den Themen Kirche und DDR.

Mit Blick auf Missbrauchstaten in Familien hatte Andresen bereits zuvor im Gespräch mit dem Deutschlandfunk erklärt, betroffene Kinder erlebten eine "existenzielle Dauerbelastung", weil sie häufig völlig schutzlos blieben. Es sei ein wesentliches Anliegen, dass ihre Geschichten nun gehört würden. Denn als Kind, aber auch später als Erwachsene hätten Betroffene die Erfahrung gemacht, dass sie zurückgewiesen wurden, dass eine Aufarbeitung der Ereignisse verweigert wurde oder dass sie mit ihren Familien brechen mussten, um den Tätern - oft Väter oder Großväter - zu entkommen. Oft biete nur ein völliger Bruch einen Ausweg.

Die Frankfurter Jugendforscherin verwies darauf, dass der Missbrauch in medizinischen Einrichtungen und Kliniken noch zu wenig untersucht sei. Künftig müsse auch geklärt werden, wo Jugendämter und Gerichte versagt hätten. Es sei auffällig, wie oft das Umfeld bei einem Missbrauch versagt und die Kinder nicht geschützt habe, sagte Andresen im Deutschlandfunk. Das gelte für Institutionen wie die Kirchen, die sich selber schützen wollten. Das gelte aber auch für das private Umfeld in Familien, wo Angehörige, Freunde und Nachbarn weggeschaut hätten.

Die Gesellschaft müsse lernen, Kinder ernst zu nehmen, damit sie sich nicht mehr ohnmächtig fühlten, forderte die Kommissionsvorsitzende. Entscheidend sei auch, dass Erwachsene, die mit Kindern umgingen, ständig fortgebildet würden. Die Kommission fordert entsprechend, Mitarbeiter von Behörden, in der Justiz und bei den Krankenkassen auf den Umgang mit traumatisierten Menschen vorzubereiten und zu schulen. Pädagogen, Medizinern, Psychologen und Juristen müsse in der Ausbildung Grundlagenwissen über sexuelle Gewalt vermittelt werden.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hatte die Kommission einberufen; sie nahm im Mai 2016 ihre Arbeit auf. Ihre Amtszeit betrug ursprünglich drei Jahre, wurde aber bis 2023 verlängert. Darüber zeigte sich die Vorsitzende Sabine Andresen sehr froh. Besonders sexueller Missbrauch an Behinderten sowie in Sportvereinen müssten in den kommenden Jahren umfangreicher untersucht werden. Die Kommission befasst sich mit allen Formen sexuellen Kindesmissbrauchs in der Bundesrepublik und in der damaligen DDR.

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