Süddeutsche Zeitung

Missbrauch in der niederländischen Kirche:Trostlose Wahrheiten

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In der katholischen Kirche, so scheint es, wurden überall auf der Welt Männer zu Priestern geweiht, die zwar fromm schienen, aber ungeeignet waren für das Amt. Eine Studie in den Niederlanden deckt nun erschreckende Zahlen auf. In Deutschland fragt man lieber nicht so genau nach.

Matthias Drobinski

Trösten kann man sich immer. Im Fall des Berichts der Untersuchungskommission über sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in den Niederlanden zum Beispiel damit, dass die Angabe, es habe seit 1945 bis zu 20.000 Opfer gegeben, nur eine Schätzung ist. Man kann sich sagen, dass der Zeitraum von 65 Jahren sehr lang ist. Und dass die katholische Kirche nur eine von vielen Institutionen ist, in denen Kinder Übergriffe fürchten mussten und müssen. Ein solcher Selbsttrost aber bedeutet: Die Wahrheit ist trostlos.

Es ist trostlos, weil der Bericht aus den Niederlanden zeigt, wie ein katholischer Korpsgeist verhinderte, dass Täter zur Verantwortung gezogen und den Opfern geholfen wurde. Er zeigt, dass es Orden gab, in denen der sexuelle Übergriff Teil der klösterlichen Unkultur war. Und er zeigt, wie der unfähige Rotterdamer Bischof Ronald Philippe Bär in den achtziger Jahren Männer zum Priester weihte, die zwar fromm zu sein schienen, aber ungeeignet für das Amt waren. Der Bericht spricht hier ein hartes Urteil über die Personalpolitik von Papst Johannes Paul II. - der hatte Bär eingesetzt, um die angeblich zu liberale Kirche in den Niederlanden auf Linie zu bringen.

In Deutschland nimmt man bislang deutlich weniger Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche an. Auch das ist ein trostloser Trost. Die Bischofskonferenz hat bislang gesammelt, wer sich alles bei ihr gemeldet hat. Niemand hat, wie in den Niederlanden, aktiv 34.000 Menschen nach ihren Erfahrungen gefragt. Auch die Studie, die ein Kriminologe derzeit für die deutschen Bischöfe erstellt, tut das nicht. Wer weiß, was in Deutschland herauskäme, wenn man fragte wie in Holland.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2011
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