Missbrauch in der katholischen Kirche:Vatikan sieht Angriff auf Papst

Der Vatikan reagiert empört auf den SZ-Bericht über den pädophilen Pfarrer, der im Erzbistum von Ratzinger eingesetzt wurde. Unterdessen wurden weitere Missbrauchsfälle bekannt - wieder bei den Domspatzen.

Der Vatikan sieht in der Berichterstattung über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche einen direkten Angriff auf Papst Benedikt XVI. "In den letzten Tagen gab es einige, die mit einer gewissen Verbissenheit in Regensburg und in München nach Elementen gesucht haben, um den Heiligen Vater persönlich in die Missbrauchs-Fragen mit hineinzuziehen", sagte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi am Samstag in Rom als Reaktion auf den Bericht in der Süddeutschen Zeitung.

Für jeden objektiven Beobachter sei aber klar, "dass diese Versuche gescheitert sind", meinte Lombardi.

In dem jüngsten Münchner Fall, der in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung behandelt wird, sei deutlich, dass der damalige Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger nichts zu tun gehabt habe mit Entscheidungen, "nach denen es später dann zu den Missbräuchen kommen konnte", betonte der Papst-Sprecher. Ratzinger hatte als Erzbischof im zuständigen Kirchengremium der Versetzung eines wegen Kindesmissbrauchs vorbelasteten Priesters von Essen nach München zugestimmt. Lombardi hielt fest, das Erzbistum München habe mit einem ausführlichen und detaillierten Statement auf die Fragen zu dem Priester geantwortet, der sich des Missbrauchs schuldig gemacht hatte.

"Trotz des Sturms hat die Kirche deutlich den Weg, den sie gehen soll, vor Augen - unter der sicheren und strengen Führung des Heiligen Vaters." Lombardi sprach von "klarem Kurs auch bei hohem Wellengang". Zu hoffen sei jetzt, "dass diese Turbulenz letztendlich eine Hilfe für die Gesellschaft insgesamt sein kann, um im Schutz und der Ausbildung von Kindern und Jugendlichen immer besser zu werden", schloss der Jesuitenpater seine Stellungnahme.

Laienbewegung fordert Entschuldigung

Die kirchliche Reformbewegung "Wir sind Kirche" hält inzwischen eine Entschuldigung von Papst Benedikt XVI. für überfällig. "Wir sind enttäuscht, dass der Papst bisher kein mitfühlendes Wort für eine Bitte um Vergebung und Versöhnung gefunden hat", sagte "Wir sind Kirche"-Sprecher Christian Weisner der Deutschen Presse-Agentur dpa.

Es reiche nicht aus, dass der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, nach einer Audienz beim Papst berichtet habe, Benedikt XVI. sei tief betroffen und bestürzt über den Missbrauchsskandal. "Es wäre gut, wenn der deutsche Papst ein Wort der Entschuldigung zu den Vorfällen in Deutschland fände", sagte Weisner. "Damit würde Joseph Ratzinger ein hilfreiches Vorbild geben, wie seine Bischöfe mit diesem Thema umgehen müssen."

Es gehe niemandem um Rücktrittsforderungen an den Papst. "Aber ein Zeichen der Buße und Umkehr von oberster Stelle ist nötig." Erklärungsbedarf des Papstes sieht die kirchenkritische Reformbewegung auch zu dessen Zeit als Münchner Erzbischof 1977 bis 1982.

Der Vatikan hat seit 2001 von rund 3000 Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche aus den vergangenen 50 Jahren erfahren. Das sagte ein Vertreter der päpstlichen Glaubenskongregation, Charles Scicluna, am Samstag der italienischen Bischofszeitung Avvenire. Von 2001 bis 2010 habe es rund 3000 Beschwerden über Geistliche gegeben. In rund 60 Prozent der Fälle sei es um gleichgeschlechtliche Kontakte gegangen. Bei 30 Prozent der Beschwerden handelt es sich demnach um heterosexuelle Kontakte und in nur zehn Prozent der Fälle um pädophile Übergriffe Geistlicher.

Weitere Missbrauchsfälle in Bayern

Unterdessen wurden weitere Fälle von sexuellem Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen bekannt. Bei den Regensburger Domspatzen sollen sexuelle Übergriffe und Misshandlungen länger vorgekommen sein als bisher bekannt. Wie der Spiegel berichtet, kam es nach Aussagen von Betroffenen noch mindestens bis 1992 zu sexuellen Übergriffen auf Schüler. Bislang waren nur Fälle aus den 50er und 60er Jahren bekannt. Demnach sagte ein Ex-Schüler dem Magazin, dass er bis zum Verlassen des Internats 1992 sexuelle und körperliche Gewalt als allgegenwärtig erlebt habe.

Er selbst sei im Internat von älteren Schülern vergewaltigt worden, auch in der Wohnung eines Präfekten sei es zu Analverkehr zwischen Schülern gekommen, zitiert der Spiegel den Ex-Schüler: "Die haben den Druck eines totalitären Systems eben weitergegeben." Das Bistum Regensburg wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Auch der Chorchef und Papstbruder Georg Ratzinger wurde dem Bericht zufolge von ehemaligen Domspatzen als "extrem cholerisch und jähzornig" erlebt. So habe Ratzinger noch Ende der 80er Jahre bei Chorproben erzürnt Stühle in die Reihen der Männerstimmen geworfen.

Der 86-jährige Ratzinger wollte sich dazu ebenfalls nicht äußern. Zuvor hatte er eingeräumt, bis zum Ende der 70er Jahre in den Chorproben selbst hin und wieder Ohrfeigen verteilt zu haben. Doch habe er nie jemanden "grün und blau" geschlagen.

Auch im Kloster im oberpfälzischen Plankstetten seien nach Informationen der Mittelbayerischen Zeitung Missbrauchsfälle gemeldet worden. Der Zeitung zufolge gab es in dem Internat des Klosters im Bistum Eichstätt Übergriffe auf Schüler durch Benediktiner. Ein heute 58 Jahre alter Mann berichtete dem Blatt von sexuellen Handlungen zu seiner Schulzeit in den 1960er Jahren. Der Abt des Klosters bestätigte, dass 1967 ein Bruder des Klosters verwiesen wurde. Von den Vorkommnissen höre er aber zum ersten Mal.

Übergriffe beim Sportunterricht

Berichten des 58 Jahre alten Mannes aus Regensburg zufolge handelte es sich bei dem Hauptverantwortlichen für die sexuellen Übergriffe von 1965 bis 1967 um einen damals etwa 35 Jahre alten Ordensmann. Es ging unter anderem um unsittliche Berührungen im Schlafraum. Auch im Sportunterricht, beim Spazierengehen oder beim Duschen soll es zu Übergriffen gekommen sein. Er wisse "von fünf bis sechs Buben", denen es genauso ergangen sei.

Der erst am Freitag zum Abt des Klosters gewählte Pater Beda Sonnenberg zeigte sich "entsetzt und betroffen" über die Missbrauchsfälle. Generalvikar Johann Limbacher kündigte an, den Fall "ganz offen" bearbeiten zu wollen. Es solle nichts vertuscht werden. Eichstätts Bischof Gregor Maria Hanke, der früher auch Abt in Plankstetten war, bat seine Bistumsmitarbeiter um Aufmerksamkeit und Offenheit gegenüber Missbrauchs- und Gewaltopfern.

Der Donaukurier berichtet in seiner Samstagausgabe von Fällen in Ingolstadt und Eichstätt. Ein ehemaliger Schüler der Wirtschaftsschule berichtete dem Blatt, er sei in den 1970er Jahren im Ingolstädter Kolpinghaus von einem Mitarbeiter der Einrichtung sexuell missbraucht worden. Auch im Ingolstädter Canisiuskonvikt und im Eichstätter Studienseminar soll es zu sexuellen Übergriffen auf Schüler gekommen sein.

Unterdessen beteiligen sich nun auch kirchliche Würdenträger an der Diskussion über das Zölibat. Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke hat sich im Hamburger Abendblatt für eine Koexistenz von Zölibat und verheirateten Priestern ausgesprochen - und sich so gegen die Position von Papst Benedikt XVI. gestellt. Einen unmittelbaren Bezug zwischen dem Zölibat und den vielen Missbrauchsfällen in katholischen Einrichtungen sieht Jaschke zwar nicht, "allerdings kann die zölibatäre Lebensform auch Menschen anziehen, die eine krankhafte Sexualität haben", sagte der Weihbischof. Sie würden hierin fälschlicherweise "eine Lösung ihrer Erkrankung" sehen.

Katholische Geistliche müssten ein unverkrampftes Verhältnis zur Sexualität gewinnen, sagte Jaschke. "Man muss sich selber auch als sexuelles Wesen erfahren." Der sexuelle Trieb dürfe nicht abgeklemmt werden. Eine vollkommene Abschaffung des Zölibats lehnt der Weihbischof ebenso ab wie katholische Priesterinnen.

Es sollte darüber nachgedacht werden, "ob es in der katholischen Kirche durch verheiratete Priester nicht eine größere Vielfalt geben könnte", sagte Jaschke dem Blatt. Er könne sich vorstellen, dass Priester mit Familie zu den Sorgen und Anliegen von verheirateten Menschen und Eltern einen besseren Zugang hätten. Für Papst Benedikt XVI. hingegen gibt es weiterhin keine Alternative zum Zölibat. Die enthaltsame Lebensform sei ein "kostbares Geschenk" und "Zeichen der vollständigen Hingabe" an Gott, sagte Benedikt XVI. am Freitag auf einer Tagung der Kleruskongregation im Vatikan.

Der Präsident des Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, sieht das offensichtlich anders. Er sprach sich für eine Aufhebung des Pflichtzölibats aus. Die Kirche müsse "Konsequenzen struktureller Art ziehen und dabei reflektieren, ob es kirchenspezifische Bedingungen gibt, die den Missbrauch begünstigten", sagte ZdK-Präsident Alois Glück der Süddeutschen Zeitung.

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