Süddeutsche Zeitung

Missbrauch in der katholischen Kirche:Nach göttlichem Recht

Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat den Leitfaden der Kirche im Umgang mit sexuellem Missbrauch scharf kritisiert. sueddeutsche.de hat sich das Dokument angeschaut.

Barbara Vorsamer

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bleibt auf Konfrontationskurs zu den Bischöfen. Sie hat nicht vor, wegen des Umgangs mit sexuellem Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche andere Worte zu wählen - und sich für ihre Vorwürfe gegen die katholische Kirche zu entschuldigen.

Genau das hatte die Bischofskonferenz - Frist: 24 Stunden - gefordert. Der Vorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch, sagte, nach seinem Empfinden habe es in der Politik noch nie eine "ähnlich schwerwiegende Attacke auf die katholische Kirche gegeben".

Dennoch bemüht sich die Bischofskonferenz inzwischen, den Konflikt mit der Ministerin zu entschärfen. Ihr Sprecher Matthias Kopp sagte der Süddeutschen Zeitung mit Blick auf das Angebot der Ministerin für ein Treffen mit Zollitsch: "Wir sehen dem Brief und dem Gespräch positiv entgegen." Kopp machte klar, dass Zollitsch nicht mehr auf seiner ultimativen Forderung besteht, Leutheusser-Schnarrenberger müsse ihre Kritik über zögerlicher Kooperation der Kirche mit der Justiz in solchen Fällen unverzüglich zurücknehmen. "Das Ultimatum ist damit aus der Welt", sagte Kopp.

Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) kritisierte die Aussagen der Ministerin als "ungerechtfertigt, maßlos und irreführend". Der entscheidende Wille zur rückhaltlosen Aufklärung werde dadurch belegt, dass die Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen durch eigene Initiativen der kirchlichen Stellen bekanntgeworden seien, erklärte ZdK-Präsident Alois Glück.

Und tatsächlich: In den "Leitlinien mit Erläuterungen zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz", wie der sperrige Titel des 2002 erstellten Leitfadens lautet, steht: "In erwiesenen Fällen sexuellem Missbrauchs Minderjähriger wird dem Verdächtigen zur Selbstanzeige geraten und gegebenenfalls das Gespräch mit der Staatsanwaltschaft gesucht."

"Gegebenenfalls" - dem Schritt zum Staatsanwalt gehen umfangreiche interne Prüfungen und eine kirchenrechtliche Untersuchung voran. Erst bei "erwiesenen Fällen" wird Kontakt zu den Behörden aufgenommen. Damit handeln katholische Einrichtungen wesentlich später als vergleichbare Institutionen.

Wie sueddeutsche.de beim bayerischen Kultusministerium erfragte, gehen zwar auch Schulen Hinweisen auf strafbaren Handlungen an Schülern zunächst intern nach. Doch hier schreiben die internen Richtlinien vor, bereits bei einem Verdacht auf Missbrauch die Polizei einzuschalten.

Doch nicht genug, dass die kirchlichen Vorschriften hinter denen weltlicher Institutionen zurückbleiben: Auch an der Umsetzung der Minimalforderungen scheitern die Geistlichen.

Die einzelnen Bischöfe, die für ihre Bereiche jeweils allein verantwortlich sind, setzen die Richtlinien völlig unterschiedlich um. Die Kommission der Generalvikare der 27 deutschen Diözesen überprüfte die aktuelle Praxis angesichts der jüngsten Vorwürfe und machte einige Verbesserungsvorschläge. Unter anderem forderte sie, dass die Missbrauchsbeauftragten in den Diözesen und Gemeinden von außen kommen sollten.

Dass es diese Beauftragten geben muss, schreiben ebenfalls die Leitlinien vor - in den meisten Gemeinden üben jedoch Mitglieder der Bistumsleitung diesen Posten aus.

Viel größer als die unzureichenden Richtlinien ist aber das Problem, dass Informationen über sexuellen Missbrauch in katholischen Gemeinden vielfach völlig verschwiegen wurden. Inzwischen ist bekannt, dass in Deutschland auffällig gewordene Priester mehrfach in andere Gemeinden oder Diözesen versetzt wurden und weiterhin Kontakt mit Kindern und Jugendlichen haben konnten.

Hier ist keine Verschärfung des Kirchenrechts notwendig - das verbietet der Leitfaden schon jetzt.

Zurzeit wird in Deutschland die Forderung laut, sich an dem Vorgehen der katholischen Kirche in den USA zu orientieren: Dort wird ein Geistlicher seines Amtes enthoben, wenn ihm unsittlicher Kontakt zu Minderjährigen nachgewiesen werden kann. Die Deutsche Bischofskonferenz sieht das derzeit nur als mögliche, nicht als zwingende Strafmaßnahme vor.

Angesichts solcher Tatsachen lag Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nicht völlig falsch. Die FDP-Politikerin hatte im Deutschlandradio Kultur gesagt, die internen Richtlinien der Katholiken allein reichten nicht aus, um den sexuell missbrauchten Opfern zu ihrem Recht zu verhelfen oder sie wirksam zu schützen. Und sie forderte, dass bereits bei Verdachtsfällen eine objektive Stelle wie die Staatsanwaltschaft informiert werden.

Zuvor hatte die Politikerin in den ARD-Tagesthemen gesagt, sie erwarte, "dass die Verantwortlichen der katholischen Kirche endlich konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, Hinweise geben und mit aufklären". Bisher habe sie nicht den Eindruck, dass die Bischöfe "ein aktives Interesse an wirklich rückhaltloser Aufklärung gezeigt haben".

Daran ändert auch ein Ultimatum nichts.

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