Süddeutsche Zeitung

Misere der Sozialdemokraten:Warum die SPD selber schuld ist

Weder 2009 noch 2013 haben "die anderen" die Misere der SPD verursacht. In der Stärke ihres Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück lag auch seine Verwundbarkeit - dem hätte man aber begegnen können. Die Fehler im Wahlkampf waren hausgemacht.

Ein Gastbeitrag von Frank Stauss

Fehler werden am Anfang gemacht und sind dann kaum noch zu korrigieren. Das gilt für Wahlkämpfe ebenso wie für Koalitionsverhandlungen. Die SPD steht vor entscheidenden Weichenstellungen für die Zukunft, hat sich allerdings die Analysen der Bundestagswahlkämpfe 2009 und 2013 sehr leicht gemacht.

Sie läuft Gefahr, ihre Zukunft auf einer fehlerhaften Statik errichten, die in einigen Jahren zum Zusammenbruch des ganzen Bauwerks führt. Die Kurzanalyse aus Sicht der SPD lautet: 2013 war Angela Merkel nicht zu schlagen und 2009 wurde die SPD für ihre Mitarbeit in der großen Koalition abgestraft. Beides ist falsch und kann nur zu falschen Reaktionen führen.

Zur Legende der SPD über ihre Zeit in der großen Koalition gehört, dass sie keine Wahlen in den Ländern gewinnen kann, wenn sie im Bund regiert. Die Fakten sprechen dagegen. Kurt Beck errang 2006 in Rheinland-Pfalz eine absolute Mehrheit, Klaus Wowereit erzielte 2006 sein bestes Ergebnis überhaupt, Andrea Ypsilanti führte die Hessen-SPD im Januar 2008 von 29,1 auf 36,7 Prozent und Michael Naumann packte kurze Zeit später in Hamburg ein Plus von 3,6 Prozent auf das SPD Ergebnis obendrauf. Von da an ging's bergab.

Die SPD scheiterte 2009 nicht an ihrer Regierungsbeteiligung in der großen Koalition, sondern an ihrer Verfassung außerhalb dieser Regierung. Wer das Wahljahr 2008/2009 noch einmal Revue passieren lässt, muss zu dem Ergebnis kommen, dass man die SPD gar nicht wählen konnte, so ein desolates Bild bot sie. Und zwar nicht in der Regierung - sondern außerhalb.

2009 und 2013 wurden schon früher verloren

Mehr als ein geschlagenes Jahr unterhielt die SPD die Nation mit den Ypsilanti-Festspielen aus Hessen, Ausschlussverfahren rund um die Tolerierung durch die Linkspartei, gescheiterte Probeabstimmungen oder den abdrehenden Wolfgang Clement - immerhin ein Ex-Ministerpräsident und Ex-Superminister. Zur Krönung warf der Parteivorsitzende Kurt Beck am Tag der Nominierung des Spitzenkandidaten Steinmeier vor laufenden Kameras die Brocken hin. Die Wahl ging also eigentlich schon 2008 verloren, nicht 2009.

Die Bundestagswahl 2013 wurde ebenfalls schon frühzeitig verloren, nämlich im Sommer 2012 und ausschließlich durch hausgemachte Fehler. Im Juni 2012 trennten die SPD von der Union nur noch zwei bis drei Prozentpunkte. Die SPD lag stabil bei 31 bis 32 Prozent, die FDP schon unter fünf Prozent, die Union bei gerade mal 34 Prozent und die Grünen bei 13 bis 14 Prozent. Es galt nun, die kleine Lücke zu schließen, um im September 2013 Rot-Grün möglich zu machen. Eine schwache Linke mit desolatem Führungspersonal spielte zusätzlich ins Konzept.

Vier Monate später war alles vorbei. Die SPD entschied sich, den populärsten ihrer drei möglichen Kandidaten nicht im Januar 2013, sondern bereits am 28. September 2012 zu küren. Diese Entscheidung traf die eigene Kampagnenleitung völlig unvorbereitet. In den Monaten zuvor war es versäumt worden, unabhängig vom offiziellen Zeitplan die Kandidaten als auch die eigene Kampagne auf die Szenarien Steinbrück, Steinmeier oder Gabriel einzustellen. Diese sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten erforderten sehr individuelle Offensiv- und Defensivmaßnahmen. In Peer Steinbrücks Stärke als Finanz- und Wirtschaftsexperte lag auch seine Verwundbarkeit, also die Agenda 2010 und seine umtriebigen, gut bezahlten Tätigkeiten nach dem Ausscheiden aus dem Kabinett.

Dem kann man präventiv begegnen, wenn man rechtzeitig daran denkt und nicht in einer misstrauischen Zentrale jeder Schritt aus Furcht vor Fehlinterpretationen unterlassen wird. Der Tag der Nominierung des Kanzlerkandidaten muss sitzen. Er ist für eine Oppositionspartei der ganz große Aufschlag vor einem Millionenpublikum. Die Partei dominiert die Medien mit Sondersendungen und Talkshow-Einladungen über eine ganze Woche - viele bilden sich schon jetzt ein erstes Urteil.

Im Herbst 2012 ging alles furchtbar schief. Eine wochenlange Debatte um Vortragshonorare und Bucherlöse trieb einen Keil in die eigene Anhängerschaft, der Kandidat wurde ungeschützt von Termin zu Termin gejagt und hatte noch nicht einmal ein eingespieltes Team um sich herum. Die Bedeutung für den Verlauf der Kampagne kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Ohne den missglückten Start keine ausufernde Honorardebatte, kein Interview zum "Kanzlergehalt", kein medialer Shitstorm.

Im Januar 2013 war die Kandidatur im Prinzip erledigt, der Kandidat ausgelaugt, frustriert und gehemmt, die Partei demotiviert bei 25 bis 26 Prozent. Der Rest war nur noch der Versuch, mit Basisthemen zu konsolidieren. Die Mitte der Gesellschaft, ohne die eine SPD nicht den Kanzler stellen kann, fand als Zielgruppe nicht mehr statt. Ein letztes Aufbäumen des Kandidaten nach einem gelungenen TV-Duell zeigte nur umso schmerzlicher, wie der Wahlkampf hätte laufen können.

2017 wird auch 2013 entschieden

Kurzum: Weder 2009 noch 2013 waren "die anderen" schuld an der Misere. Wichtig ist nur, dass man jetzt daraus lernt. Und zwar an den beiden Fronten "inhaltliche Erweiterung" und "Kampagnenorganisation". Wenn der SPD nichts als der Weg in die große Koalition bleibt, muss sie die neuen Chancen sehen und nicht die alten Risiken. Durch das Scheitern von FDP und Piraten und die Desorientierung der Grünen, kann sie endlich wieder gesellschaftliche Maßstäbe setzen und einen neuen Aufbruch im Land vermitteln.

Heute gehören zum alten Motto "Mehr Demokratie wagen" wichtige Themen wie: doppelte Staatsbürgerschaft, die endgültige Gleichstellung der Frauen - auch in Führungspositionen -, die Gleichstellung homosexueller Ehen, neue Antworten zum Datenschutz und zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Natürlich gehören auch die Klassiker dazu, wie der Mindestlohn, bezahlbare Mieten und eine Bremse bei den Energiekosten. Das wäre eine moderne, linke Volkspartei mit Ausstrahlung in die Mitte und die Jugend. So kann man Momentum erzeugen.

Darüber hinaus muss die Partei dringend ihrer Kampagnenzentrale neu organisieren, die über Jahre der Vernachlässigung in einen Zustand vor 1998 zurückkatapultiert wurde. Also vor die legendäre "Kampa"-Ära. Das Haus braucht vor allem perfekte Organisation und weniger Politik. Das Motto "Können" statt "Proporz" wäre eine schöne Richtlinie.

Wenn es eine stabile Regierungsmehrheit links der Union geben soll - und die Betonung liegt auf dem Wort "stabil" - dann braucht die SPD 35 Prozent der Stimmen. Zehn Prozent mehr als jetzt. Und zwar nicht von den Grünen oder den Linken - da ist eh kaum noch etwas zu holen - sondern aus der Mitte. Ob sie 2017 diese Chance bekommt, wird auch 2013 entschieden.

Frank Stauss, 48, ist Mitinhaber der Kommunikationsagentur Butter. Seine Erfahrungen aus mehr als 20 Wahlkämpfen - darunter viele für die SPD - veröffentlichte er im Mai unter dem Titel "Höllenritt Wahlkampf".

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Quelle:
SZ vom 02.10.2013/fran
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