Ministerpräsidentinnen in Deutschland:Die Zeit der Trümmerfrauen ist vorbei

SPD Landesparteitag Rheinland-Pfalz

Malu Dreyer, designierte Nachfolgerin von Kurt Beck in Rheinland-Pfalz, auf dem SPD-Landesparteitag. 

(Foto: picture alliance / dpa)

Kompetent, glaubwürdig, unabhängig: Mit Malu Dreyer folgt auf Kurt Beck die erste Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz. An den Spitzen von vier Bundesländern hat sich lautlos ein neuer Typus von Politikerinnen etabliert. Sie wurden nicht erst mächtig, nachdem ihre männlichen Vorgänger skandalös gescheitert waren. Das Modell Trümmerfrau ist Vergangenheit.

Ein Kommentar von Ulrike Heidenreich

In der Menschwerdung von Frauen in der Politik ist die zweite Phase erreicht worden. Wenn an diesem Mittwoch Malu Dreyer als erste Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz die Nachfolge von Kurt Beck antritt, zeigt sich, welch qualitative Entwicklungssprünge in der deutschen Politik doch möglich sind.

An den Spitzen von aktuell vier Bundesländern, nämlich in Thüringen, dem Saarland, in Nordrhein-Westfalen und eben Rheinland-Pfalz hat sich lautlos ein neuer Typus von höchst fähigen Politikerinnen etabliert. Ihnen ist ein unaufgeregter Politikstil gemeinsam, sie sind kompetent und glaubwürdig, sie haben jahrelang im Hintergrund zielsicher Kontakte geknüpft. Und sie haben ihre Karrieren weitgehend unabhängig aufgebaut.

Das Modell Trümmerfrau aus der ersten Phase der Gleichberechtigung in der Politik ist Vergangenheit. Das waren jene Politikerinnen, die erst dann mächtig werden durften und aufräumen mussten, nachdem ihre männlichen Vorgänger skandalös gescheitert waren.

Trümmerfrau Heide Simonis

Heide Simonis (SPD) ist so eine Trümmerfrau. Als erste Ministerpräsidentin in der Bundesrepublik führte sie von 1993 bis 2005 die Regierung des Bundeslandes Schleswig-Holstein. Ihre Karriere als Spitzenfrau begann unerwartet und mit einem politischen Skandal: Björn Engholm musste in Folge der "Barschel-Affäre" zurücktreten, Simonis von heute auf morgen die angeschlagenen Geschäfte in der Kieler Staatskanzlei übernehmen.

Früher, und das ist noch nicht einmal 20 Jahre her, galt die Regel: Rückte eine Frau auf eine Führungsposition vor, war der Job zuvor so abgewirtschaftet worden, dass Männer ihn nicht wollten wegen des schlechten Ansehens - oder sich nicht mehr in das Chaos trauten.

In den ersten Jahren nach Simonis' Abwahl schaffte es dann lange keine Frau auf den Chefinnen-Sessel eines Landes. Erst im Oktober 2009 startete Christine Lieberknecht (CDU) als zweite deutsche Ministerpräsidentin in Thüringen - allerdings auch auf Trümmern; jenen, die Vorgänger Dieter Althaus nach Skiunfall und Rücktritt hinterlassen hatte. Mit ihrer pragmatischen Art räumte sie diesen Malus schnell aus.

Sehnsucht der Wähler nach einem neuen Politikstil

Mit Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) im Saarland, Hannelore Kraft (SPD) in Nordrhein-Westfalen und nun Malu Dreyer in Mainz sind es vier Ministerpräsidentinnen an der Zahl. Es ist davon auszugehen, dass sie auch im Bundesrat ihre eigene Agenda forcieren werden - und sie können sich der Unterstützung des Wahlvolkes sicher sein.

In ihren Bundesländern sind diese Ministerpräsidentinnen bei Umfragen die beliebtesten Politikerinnen. Es ist die Sehnsucht der Wähler nach einem neuen Politikstil, der mehr auf Inhalt als auf Lärm setzt, mehr auf einen kommunikativen Führungsstil als auf plumpes "Basta"-Sagen.

Das Erfolgsrezept dieser Frauen war es, sich erst dann in einer Debatte zu Wort zu melden, wenn sie wirklich etwas zu sagen hatten. Sie vermeiden die Konfrontation mit dem Gegner nicht aus Feigheit, sondern setzen auf Konsens - der Sache wegen. Heide Simonis, von der es heißt, sie regierte "hart wie ein Kerl" in Schleswig-Holstein, hat den Arbeitsstil ihrer Nachfolgerinnen kürzlich in einem Interview so beschrieben: "Erzähl du doch mal, wie siehst du das, wir erarbeiten die Lösungsvorschläge gemeinsam."

Früher gering geschätzt, sind sie heute hoch angesehen

Das hört sich schwer nach weiblichem Geschwurbel an, soll aber lange nicht heißen, dass man immer nur lieb zueinander ist. Kramp-Karrenbauer etwa hat auf brutalstmögliche Weise die FDP vor die Tür in Saarbrücken gesetzt und dann die Neuwahl gewonnen. Wie gesagt: Es geht um die Sache. Der Durchsetzungskraft dieses neuen Typus von Politikerin ist es zudem dienlich, dass ihre ureigenen Themen wie Soziales, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit in das Zentrum der politischen Agenda gerückt sind. Früher gering geschätzt, sind sie heute hoch angesehen.

Malu Dreyer, die künftige Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, lebt diese Themen. Sie war Sozialdezernentin, Gesundheitsministerin, wohnt in einem alternativen Dorfprojekt. Sie ist, wie es immer wieder stolz aus der SPD tönt, "so beliebt wie hitzefrei und Freibier". In ihrem neuen Kabinett arbeiten vier männliche Minister mit fünf Ministerinnen zusammen. Die Chefin der Staatskanzlei ist eine Frau, die Regierungssprecherin auch. Dazu kommen drei Staatssekretärinnen. Selbst das von einer rot-grünen weiblichen Doppelspitze regierte Nordrhein-Westfalen verblasst angesichts dieses Mainzer Matriarchats.

Wie wird der Arbeitsstil sein? Vermutlich so: "Auch eine Henne weiß, wann die Sonne aufgeht, aber deswegen muss sie nicht jedes Mal krähen." Es ist der Standardsatz einer anderen Politikerin, Ilse Aigner von der CSU. Vielleicht wird sie ja die Nummer sechs im Bunde.

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