Süddeutsche Zeitung

Ministerpräsidentenkonferenz:Hilfsfonds für Flutopfer soll 30 Milliarden Euro umfassen

Lesezeit: 5 min

Neben den Hilfen für Hochwassergeschädigte geht es bei dem Treffen von Kanzlerin Merkel und den Regierungschefs um die Zukunft der Inzidenz und den Umgang mit Ungeimpften. Ein Überblick über die Themen.

Von Juri Auel

Bundeskanzlerin Angela Merkel berät an diesem Dienstag per Video mit den Chefinnen und Chefs der Länder. Seit 12.30 Uhr tagt die Runde. Anders als viele Male zuvor ist bei der Ministerpräsidentenkonferenz neben Corona ein weiteres wichtiges Thema zu besprechen: Die Hilfen für die Flutopfer im Westen des Landes und die Lehren, die Deutschland für den Zivilschutz aus dieser Katastrophe ziehen will. Es werden schwierige Gespräche erwartet.

Das sind die zentralen Punkte, um die es bei der Ministerpräsidentenkonferenz gehen wird:

1. Wie viel Geld gibt es für die Opfer der Flut?

Eines ist nach der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands sicher: Der Wiederaufbau wird sehr viel Geld kosten. Um die Arbeiten zu bezahlen, wollen Bund und Länder einen gemeinsamen Wiederaufbaufonds anlegen.

Während es aus einigen Ländern heißt, das Volumen des Fonds sei wegen fehlender Berechnungsgrundlagen noch nicht festgezurrt, sagte Laschet im NRW-Landtag, der Topf müsse 20 bis 30 Milliarden Euro umfassen. Auf der obere Grenze dieser Summe haben sich Bund und Länder nun wohl tatsächlich geeinigt.

Das verlautete am Dienstag aus Quellen von Länder- sowie Bundesseite. Demnach soll ein nationaler Fonds "Aufbauhilfe 2021" als Sondervermögen des Bundes mit 30 Milliarden Euro eingerichtet werden. Die Wiederaufbaumaßnahmen der Länder in Höhe von 28 Milliarden Euro sollen je zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert werden. Die Beteiligung der Länder soll laut Beschlussentwurf über eine Anpassung der Verteilung des Umsatzsteueraufkommens über 30 Jahre erfolgen. Geplant ist ein Bundesgesetz.

Die Differenz von zwei Milliarden Euro ergibt sich aus Schäden an Bundeseinrichtungen: Bei der Hochwasserkatastrophe, die vor allem Regionen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz getroffen hatte, hatte es auch Schäden etwa an Brücken, Schienenwegen und Autobahnen gegeben.

Die Schäden durch das Unwetter Mitte Juli belaufen sich Laschet zufolge allein in seinem Bundesland nach ersten Schätzungen auf mehr als 13 Milliarden Euro. Die Schäden in Rheinland-Pfalz seien mindestens ebenso hoch. Laschet sagte, dass alle Länder bereits ihre Bereitschaft für eine Beteiligung signalisiert hätten. "Ich denke, dass im August noch der Bundestag zusammenkommen kann", sagte er mit Blick auf die formalen Schritte, die es für die Umsetzung des Fonds braucht.

2. Bessere Warnung vor Hochwassern und anderen Katastrophen

Nach den verheerenden Überschwemmungen in NRW und Rheinland-Pfalz sind die bestehenden Warnsysteme für solche Fälle in die Kritik geraten. Es steht die Frage im Raum, ob Menschenleben gerettet werden hätten können, wäre die Bevölkerung früher und besser über die drohende Gefahr informiert worden. Aus diesem Grund werden die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten unter anderem über ein Förderprogramm für Sirenen beraten. Der Beschlussvorlage für die Beratungen zufolge könnten den Ländern dafür bis 2023 insgesamt bis zu 88 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.

Weiter heißt es darin: "Zusätzlich soll das Cell-Broadcasting-System eingeführt werden, mit dem künftig auch die Warnung der Bevölkerung mit Textnachrichten auf Mobiltelefonen ermöglicht wird." Beim Cell Broadcast wird ähnlich wie bei einer SMS eine Nachricht an Handynutzer verschickt - und zwar an alle Empfänger, die sich zu dem Zeitpunkt in der betreffenden Funkzelle aufhalten. Diese Technologie wird in vielen anderen Staaten bereits genutzt.

Außerdem steht in dem Papier zu lesen: "Die Bundeskanzlerin und Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bitten die Justizministerkonferenz vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse zu prüfen, ob die bisherige Bewertung einer Pflichtversicherung für Elementarschäden aktualisiert werden sollte." Eine Pflicht für eine solche Versicherung gibt es bislang nicht.

3. Der Umgang mit Ungeimpften

Die Bundesregierung hat mehrfach betont, dass es mit ihr keine Impfpflicht geben werde. Doch die Impfkampagne gerät langsam ins Stocken - und so wird diskutiert, in welchen Fällen Geimpfte und Genesene Vorteile gegenüber Nichtgeimpften genießen sollten. Die Bundesregierung geht mit der Forderung in die Verhandlungen, Tests für Menschen, die weder geimpft noch genesen sind, zur Pflicht zu machen. Die Tests sollen zum Beispiel für den Zugang zu Krankenhäusern und Pflegeheimen, die Teilnahme an Veranstaltungen und Festen in Innenräumen inklusive Gottesdiensten, die Inanspruchnahme körpernaher Dienstleistungen, Sport im Innenbereich und Beherbergung bundesweit nötig sein. Bei den Tests soll es sich entweder um einen Schnelltest, der nicht älter als 24 Stunden sein darf, oder einen PCR-Test, der nicht älter als 48 Stunden sein darf, handeln. Die Länder sollen jedoch die Möglichkeit bekommen, bei niedriger Inzidenz (einen genauen Wert nennt der Bund in seinem Beschlussentwurf noch nicht) die Testpflicht auszusetzen.

Der Punkt dürfte für einige Diskussionen sorgen. Denn selbst innerhalb der Union gibt es offensichtlich unterschiedliche Sichtweisen dazu. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sagte: "Wir müssen mehr Menschen überzeugen, sich impfen zu lassen. Denn für uns ist eines klar: Geimpfte haben Vorteile. Und jemand, der geimpft ist, darf keine Nachteile haben, weil andere Menschen aus verschiedenen Gründen keine Lust haben, sich impfen zu lassen." NRW-Ministerpräsident und Unionskanzlerkandidat Armin Laschet sagte hingegen der Bild am Sonntag: "Wer geimpft, genesen oder getestet ist, den darf der Staat nicht von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausnehmen."

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sagte der FAZ: "Wenn der Großteil der Menschen aufgrund einer Impfung nicht mehr gefährdet ist, können wir nicht wieder die gesamte Bevölkerung mit Beschränkungen belegen." Sollte das Infektionsgeschehen dieses dennoch erforderlich machen, gebe es zwei Alternativen: "Ein Lockdown für alle, den ich nicht für vertretbar halte, oder eben Beschränkungen für diejenigen, die keine Impfung haben, obwohl diese seit Langem empfohlen wird."

Vollständig geimpft in Deutschland sind Stand Montagmorgen 45,6 Millionen Menschen oder 54,8 Prozent aller Einwohner. Derzeit werden vor allem Zweitimpfungen vorgenommen.

4. Das Ende der kostenlosen Tests

Als sanftes Druckmittel, um Menschen dazu zu bringen, sich impfen zu lassen, gilt auch das Ende der kostenlosen Tests. Die Idee stößt bislang auf viel Zuspruch unter den Verantwortlichen. Ähnlich wie Laschet stellte sich SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz in der SZ ebenfalls hinter kostenpflichtige Tests "für alle Erwachsenen, bei denen keine gesundheitlichen Gründe gegen eine Impfung bestehen".

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte vorgeschlagen, dass Tests von Mitte Oktober an nicht mehr gratis zu haben sein sollen - außer für Menschen, die nicht geimpft werden können oder für die keine allgemeine Impfempfehlung besteht, wie Schwangere oder Minderjährige. Die Bundesregierung will den Wegfall der kostenlosen Tests mit diesen Einschränkungen nun auch den Ländern für Oktober vorschlagen. Ein genaues Datum ist in einem Entwurf der betreffenden Beschlussvorlage, die der SZ vorliegt, noch nicht genannt.

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte dem Tagesspiegel: "Ich halte es ausdrücklich für richtig, dass Ungeimpfte ab dem Herbst ihre Tests selbst bezahlen müssen. Bis dahin hatte jeder die Möglichkeit, sich kostenfrei impfen zu lassen." Der baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) sagte der Stuttgarter Zeitung sowie den Stuttgarter Nachrichten: "Auf Dauer wird die öffentliche Hand die Tests nicht finanzieren können."

5. Die Relevanz der Inzidenz für die Bewertung der Corona-Lage

Die Sieben-Tage-Inzidenz war in der Pandemie bisher Grundlage für viele Corona-Einschränkungen. Doch mit steigenden Impfzahlen und damit verbundenen abgeschwächten Verläufen von Covid-19 verliert der Wert Experten zufolge an Aussagekraft und Bedeutung. Schon seit Längerem gibt es in der politischen Debatte daher die Überlegung, auch Parameter wie die Auslastung der Intensivstationen bei der Bewertung der Corona-Lage stärker mit einzubeziehen.

Der Nachrichtenagentur dpa zufolge hat Laschet dem CDU-Präsidium vorgeschlagen, die Krankenhausbelegung, die Zahl der Intensivpatienten und den Impffortschritt stärker zu berücksichtigen. Laschet befürwortete es demnach auch, dass der Bundestag die vorerst bis September bestehende "epidemische Lage von nationaler Tragweite" verlängert - damit in Landes-Corona-Verordnungen Sicherheitsmaßnahmen wie die Maskenpflicht, die Kontaktnachverfolgung oder die Pflicht zur Einhaltung von Hygienekonzepten weiter vorgesehen werden könnten. Eine Verlängerung dieser Sonderlage hatte auch Scholz schon angeregt. Das ist auch die offizielle Linie der Bundesregierung.

Die niedersächsische Landesregierung betonte die Wichtigkeit eines bundesweit einheitlichen Systems zur Bewertung der Pandemie-Situation. Wenn die Bundesländer mit unterschiedlichen Modellen arbeiteten, komme es in Deutschland zu einem Flickenteppich, den man der Bevölkerung nicht vermitteln könne, sagte der Chef der Staatskanzlei, Jörg Mielke (SPD), in einer Unterrichtung des Gesundheitsausschusses im Landtag. Unter den Bundesländern bestehe zwar Einigkeit darüber, dass inzidenzbasierte Stufenpläne überholt seien. Es gebe aber "sehr, sehr unterschiedliche Herangehensweisen", wie man Regeln künftig gestalten wolle.

In der Beschlussvorlage heißt es, der Bund wolle "alle Indikatoren" beachten - "insbesondere die Inzidenz, die Impfquote und die Zahl der schweren Krankheitsverläufe". Zur Gewichtung der einzelnen Werte stehe nichts in der entsprechenden Beschlussvorlage.

Mit Material der Agenturen dpa und Reuters

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5378082
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/dpa/reuters
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.