Ministerpräsident Wulff:Eiertanz um den doppelten Boden

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Für die Opposition in Hannover ist der Regierungschef seit langem nur noch "Wackel-Wulff", ein Mann ohne Linie und Richtung. Zurücktreten will er erst nach der Präsidentenwahl - trotz aller verfassungsrechtlichen Probleme.

Ralf Wiegand und Wolfgang Janisch

Es kann kaum einen ungünstigeren Moment geben als diesen, um den Medien brisantes Material fürs Archiv zu liefern. Christian Wulff (CDU), Ministerpräsident von Niedersachsen und Bewerber ums Amt des Bundespräsidenten, hat "Scheiße" gesagt, vor laufenden Kameras. Er hat zwar gelächelt dabei, als er einen Fotografen zurecht wies, der ihm so nah kam, dass er ihm von unten "bis in die Nasenlöcher" fotografieren hätte können, wie Wulff scherzhaft monierte. Aber er hat eben das "Sch"-Wort gesagt, während Kameras und Mikrofone liefen.

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff übt sich schonmal in präsidentialer Pose. (Foto: dpa)

Der stets verbindliche Regierungschef wirkt angespannt in diesen Tagen, da Niedersachsen darüber diskutiert, wie viel Rücktritt im Land notwendig ist, damit Wulff nach Berlin umziehen kann. Reicht es, sein Landtagsmandat niederzulegen? Oder muss er auch als Ministerpräsident abdanken?

Die Szene mit dem Fotografen, der "so'n Scheiß" doch bitte unterlassen sollte, trug sich im Parlamentsgebäude zu, kurz nachdem Wulff sein Landtagsmandat zurückgegeben hatte. Noch bis zum späten Donnerstagabend war er entschlossen, seinen Sitz behalten zu wollen, bis ihn die Bundesversammlung tatsächlich zum zehnten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt hat. Wulffs Kalkül bis dahin: Im Falle einer Niederlage in der Bundesversammlung gegen Joachim Gauck oder Luc Jochimsen würde das Mandat ihn in seiner dann geschwächten Position als Ministerpräsident auffangen. Erst SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner hatte Wulff in einem Telefonat den Ernst der Lage deutlich machen können: Die Opposition mache da "keinen Klamauk", beschied er Wulff, es gebe handfeste verfassungsrechtliche Bedenken, ginge er als Abgeordneter in die Wahl. Nach Artikel 11 der Landesverfassung "entscheidet der Landtag, ob ein Abgeordneter sein Mandat verloren hat". Ob das aber so einfach zu handhaben gewesen wäre, ist strittig.

Für die SPD in Hannover ist der Regierungschef seit langem nur noch "Wackel-Wulff", ein Mann ohne Linie und Richtung. Daher ist das Lob der SPD für dessen späten Entschluss, sein Landtagsmandat doch niederzulegen, auch ein vergiftetes. Es sei zwar ein "Schritt der moralischen Klarheit", sagte der neue SPD-Landesvorsitzende Olaf Lies - allerdings nur ein erster. Um als "freier und unabhängiger Kandidat" am 30. Juni in die Bundesversammlung gehen zu können, müsse Wulff nun auch alsbald das Amt als Regierungschef aufgeben, "um nicht als Mann der halben Sachen in die Geschichte Niedersachsens einzugehen" - als Wackel-Wulff eben.

Durch Wulffs Weigerung, auch als Ministerpräsident zurückzutreten, bleibt die verfassungsrechtliche Situation um die Wahl der Bundesversammlung kompliziert, was an Artikel 33 der niedersächsischen Landesverfassung und an Artikel 55 des Grundgesetzes liegt. Die Landesverfassung regelt, dass Mitglieder der Landesregierung zwar "jederzeit" zurücktreten dürfen, jedoch verpflichtet sind, bis zur Neuwahl einer Landesregierung geschäftsführend im Amt zu bleiben. In Artikel 55 des Grundgesetzes wiederum heißt es: "Der Bundespräsident darf weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören."

Das ergibt eine undurchsichtige Gemengelage. Bisher plant Wulff, bis zur erfolgreichen Wahl zum Bundespräsidenten als Regierungschef seines Bundeslandes im Amt zu bleiben. Er will nach erfolgreicher Wahl dem Landtagspräsidenten Hermann Dinkla - als Mitglied der Bundesversammlung einer der Wahlmänner und daher ohnehin in Berlin anwesend - umgehend schriftlich seinen Rücktritt erklären. Dann würde er die Wahl annehmen, womit - ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik - seine Amtszeit als Bundespräsident sofort beginnen würde. Durch den Hopplahopp-Rücktritt von Horst Köhler wird es einen geordneten Übergang im Schloss Bellevue, der in der Vergangenheit stets mehrere Wochen dauerte, nicht geben.

Nach Auffassung des niedersächsischen Landtags gehen die Verpflichtungen Wulffs als Regierungschef mit seinem Rücktritt auf dessen Stellvertreter über, den Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP). Der würde als geschäftsführender Ministerpräsident in die Sondersitzung in Hannover am 1. Juli gehen, wo eine neue Regierung gewählt werden soll, die von David McAllister (CDU) geführt wird. Letzte Zweifel an dieser Würdigung der beiden Verfassungen, wonach das Grundgesetz die Landesverfassung aussticht, sind aber nicht beseitigt. Notfalls müsse Bundestagspräsident Norbert Lammert als Herr des Verfahrens gar "ein verfassungsrechtliches Gutachten" anfordern, sagte Landtagssprecher Franz-Reiner Enste. Lammerts Sprecher sagte, man sei verfassungsrechtlich "noch mitten im Klärungsprozess".

Klärt sich die Situation nicht, könnte es passieren, dass Wulff die Option des Grundgesetzes ziehen muss, wonach er zwei Tage Bedenkzeit hat, die Wahl zum Bundespräsidenten anzunehmen. Dann könnte er am 30.Juni gewählt werden, am 1.Juli in Hannover die Nachfolgeregierung ins Amt bringen und dann ein spätes "Ja" nach Berlin schicken auf Lammerts Frage, ob er die Wahl annehme. Auch das hat es in der Geschichte der Bundespräsidenten wohl nie gegeben.

Dass es solch einen verfassungsrechtlichen Eiertanz überhaupt gibt, sagt viel über die Nervosität Wulffs, in der Bundesversammlung scheitern zu können. Offenbar erachtet er es als ernsthafte Option, im Falle einer Niederlage den nächsten Zug zurück nach Hannover zu nehmen, den bereits als Nachfolger ausgerufenen David McAllister wieder ins zweite Glied zu schicken und die Amtsgeschäfte fortführen zu können, als hätte er nie etwas anderes sein wollen als Ministerpräsident. So viel Druck strengt an - man kommt Wulff derzeit besser nicht zu nahe.

© SZ vom 12.06.2010/wolf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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