Süddeutsche Zeitung

Ministerpräsident Li Keqiang in Berlin:Merkel muss China den Weg zeigen

Das europäische Reich der Mitte ist Deutschland - das glaubt jedenfalls China. Angela Merkel solle bitte die Euro-Krise lösen, chinesische Investitionen schützen und die drohenden Zölle für Solarproduzenten abwehren. Doch das ist ein Missverständnis.

Ein Kommentar von Daniel Brössler, Berlin

Niemand soll sagen können, Li Keqiang habe sich keine Mühe gegeben. Seiner Ankunft in Berlin an diesem Sonntag hat der neue chinesische Ministerpräsident eine ganze Reihe von Signalen vorausgeschickt, die als Gesten des guten Willens gemeint sind. So durfte, gewissermaßen als Vorbote, der in einem undurchsichtigen Verfahren des Zollbetrugs beschuldigte Kunstspediteur Nils Jennrich nach mehr als einem Jahr nach Deutschland zurückkehren. Auch vom soeben abgehaltenen Menschenrechtsdialog konnte eine etwas bessere Atmosphäre vermeldet werden als in der Vergangenheit. Und Li selbst schließlich appellierte in einem Beitrag für die Zeit, "alles dafür zu tun, dass China und Deutschland Hand in Hand großen Schrittes vorwärtsgehen".

Bei einem Besuch in China im August hatte der damalige Premierminister Wen Jiabao gegenüber Angela Merkel die "lichte Zukunft" der gemeinsamen Beziehungen beschworen. Li bestätigt nun, dass auch die neue Führung ein Sonderverhältnis zu Deutschland pflegen will. Das in seiner wirtschaftlichen wie geopolitischen Bedeutung gewachsene China hat, salopp formuliert, einen Narren an Deutschland gefressen. Was nicht bedeutet, dass dahinter kein Kalkül stünde.

Mit einem Handelsvolumen von 144 Milliarden Euro im Jahr 2012 ist Deutschland Chinas wichtigster Handelspartner in der EU. Eher als in anderen Ländern der Union glauben die Chinesen überdies, in Deutschland zu finden, was sie brauchen, um den eigenen immer noch riesigen Modernisierungshunger zu stillen.

Das alles ist wichtig, im Kern geht es aber um noch mehr: Aus chinesischer Sicht ist Deutschland so etwas wie das europäische Reich der Mitte. Die chinesische Führung ist überzeugt davon, dass in Berlin über das Schicksal des Euro und somit über beträchtliche chinesische Investitionen entschieden wird. Sie glaubt anscheinend auch an die Macht und Führungskraft der Kanzlerin. Den Chinesen mag es daher so vorkommen, als hätten sie endlich eine Gebrauchsanweisung für die EU gefunden. Zur deutschen Verantwortung gehört es, dieses Missverständnis aufzuklären.

Das gilt schon deshalb, weil sonst auf chinesischer Seite unerfüllbare Erwartungen geweckt werden. Im Streit über ein Antidumpingverfahren der EU-Kommission gegen chinesische Solarfirmen zeigt sich das exemplarisch. Schon im vergangenen Sommer hatte Merkel während ihres Besuches in China ihre Präferenz für eine gütliche Einigung bekundet. In den Ohren der Gastgeber klangen diese Worte der mächtigsten Frau Europas fast schon wie die Lösung. Seitdem aber ist das Verfahren vorangetrieben worden, ohne dass Merkel das hätte verhindern können. Ihrem chinesischen Besucher muss Merkel klarmachen, dass eben nicht alle Wege nach Europa über Berlin führen.

Wenn es tatsächlich so etwas wie ein Sonderverhältnis gibt, resultiert daraus auch eine besondere Verantwortung. Eine Fraktion in der außenpolitischen Gemeinde Deutschlands warnt davor, China allzu sehr mit Vorhaltungen in Menschenrechtsfragen zu nerven und so deutschen Interessen angesichts wachsender chinesischer Stärke zu schaden. Im Umkehrschluss hieße das, dass es Deutschland nutzt, wenn China sich in seiner sehr eigenen Interpretation universeller Menschenrechte bestätigt fühlen darf. Und es hieße, Diktaturen nur noch dann anzuprangern, wenn sie schwach sind.

Chinas Einfluss in der Welt steigt tatsächlich. Und es rückt als Folge der Globalisierung näher. Schon deshalb kann es keine kritiklose Partnerschaft mit der Führung aus Peking geben. Premierminister Li Keqiang besucht ab Sonntag eben nicht nur Deutschland, sondern auch eine europäische Demokratie.

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SZ vom 25.05.2013/bbr
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