Italien:Die Ministerin, die nicht gehen will

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Die Politikerin Daniela Santanchè war früher als Partykönigin von Sardinien bekannt. (Foto: Alessandro Bremec/imago)

Gegen Italiens Tourismusministerin beginnt bald ein Betrugsprozess. Selbst Parteikollegen gehen auf Distanz zu Daniela Santanchè – aber sie macht einfach weiter.

Von Marc Beise, Rom

Ihre Nerven möchte man haben. Seit Wochen, ach was, seit Monaten hagelt es Kritik an Daniela Santanchè, der Mailänder Unternehmerin, die in der Regierung von Giorgia Meloni Ministerin für den Tourismus ist. Das ist in diesem Land mit seiner einzigartigen Mischung von Kultur, Natur und Geschichte nicht das unwichtigste Amt. Man kann auch nicht sagen, dass Santanchè ihre Aufgabe nicht ernst nimmt. Beinahe jeden Tag ist sie unterwegs, besucht Tourismus-Events und große Messen und wirbt im In- und Ausland für Italien. Wohin sie aber kommt, wird sie gefragt, wann sie denn nun zurücktrete. Sie reagiert dann wahlweise amüsiert oder gereizt und sagt Dinge wie: „Sie sehen doch, wie ich hier meinen Job mache. Also bin ich ja wohl noch im Amt.“

Die 63-Jährige ist stolz auf ihr Durchhaltevermögen, auch wenn die Vorwürfe gegen sie schwer wiegen. Die Mailänder Staatsanwaltschaft wirft Santanchè betrügerischen Bankrott und Bilanzfälschung vor. So soll sie unter anderem gemeinsam mit anderen in den Jahren 2016 bis 2022 Finanzberichte der Verlags- und Werbegruppe Visibilia gefälscht haben, die Santanchè früher gehörte. Als sie nach der Wahl im Herbst 2022 Ministerin unter ihrer Parteifreundin Meloni wurde, hat sie sich von dem Unternehmen getrennt. Sie soll ferner Corona-Hilfen für Mitarbeiter während der Covid-19-Pandemie eingestrichen und die Mitarbeiter nicht bezahlt haben. Sie selbst bestreitet jegliches Fehlverhalten.

Santanchè war früher auch als Partykönigin von Sardinien bekannt

Selbst als nun ein Mailänder Gericht den Prozess gegen sie zugelassen und den ersten Termin der Hauptverhandlung auf den 20. März festgesetzt hatte, blieb sie nach dem Motto „Ist was?“ bei ihrer Linie. Die Frau, die enge Beziehungen zu zahlreichen Prominenten aus Wirtschaft und Unterhaltungsindustrie hat und früher auch als Partykönigin von Sardinien bekannt war, wo viele einflussreiche Unternehmer ihren Villen und Yachten haben, fühlt sich angesichts ihres Mailänder Netzwerks offensichtlich einigermaßen sicher. Sie selbst, die politisch weit rechts steht, nimmt für sich in Anspruch, „ein Leben gegen den Strom, außerhalb des Chors des Konformismus“ zu führen, und bescheinigt sich selbst ein „sensibles Herz unter dem Panzer einer Pythonschlange“.

Nicht zuletzt konnte sie bisher auf den Spitzenpolitiker Ignazio La Russa vertrauen, mit dem sie früher eng zusammengearbeitet hatte. Der Rechtsanwalt La Russa, 77, steht selbst regelmäßig in der Kritik, weil er über die Neofaschisten in die Politik gekommen und weiterhin bekennender Fan des faschistischen Diktators Benito Mussolini ist. Aber er ist bis heute im politischen Geschäft, war unter Silvio Berlusconi Verteidigungsminister und hat 2012 der jungen Giorgia Meloni geholfen, die postfaschistischen Fratelli d’Italia zu gründen. Nach dem Wahlsieg 2022 wurde er Senatspräsident und damit formal die Nummer zwei im Land hinter dem Staatspräsidenten, sein Einfluss auf Meloni ist nach wie vor groß.

Zuletzt allerdings hat sich selbst La Russa eher ausweichend geäußert, wenn er nach der Zukunft seiner früheren Zöglinge gefragt wurde. Und die Regierungschefin Meloni selbst erklärte nur, sie müsse bei Gelegenheit mal mit der Tourismusministerin reden, habe dazu aber angesichts anderer wichtigerer Themen noch keine Zeit dazu gehabt.

Meloni sieht ihre Partei als einen Kreis von Gefährten. Wer einmal dazugehört, den verstößt sie ungern

Für diesen Montag nun hatten die Oppositionsparteien im römischen Parlament eine Misstrauensdebatte gegen Santanchè eingebracht, sie sind der Meinung, dass das Maß voll sei. Die Regierungsparteien beteiligten sich an diesem Verfahren demonstrativ nicht, was aber auch hieß: Sie verteidigten ihre Ministerin nicht. Ohnehin kann das Problem nur durch einen freiwilligen Rücktritt gelöst werden oder dadurch, dass Meloni den überparteilichen Staatspräsidenten Sergio Mattarella bittet, ihre Parteifreundin zu entlassen. Dieser Schmach wollte sich die Regierungschefin bisher nicht aussetzen.

Meloni ist dafür bekannt, Probleme ihrer Regierung gerne auszusitzen. Sie sieht ihre Partei in bewusster Anlehnung an Tolkiens Roman-Trilogie „Herr der Ringe“ als einen verschworenen Kreis von Gefährten, wer einmal dazugehört, den verstößt sie ungern. Es braucht dann schon jemanden wie den Kulturminister Gennaro Sangiuliano, der wegen einer Affäre mit einer Kommunikationsberaterin, die sein Amt zu beschädigen drohte, selbst die Konsequenz zog und zurücktrat.

Im vergangenen Jahr sah es so aus, als würde Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega wegen seines harten Vorgehens gegen Migranten, die über das Mittelmeer nach Europa kommen, sogar zu einer Haftstrafe verurteilt werden. Meloni hatte sich aber frühzeitig festgelegt, dass er selbstverständlich nicht zurücktreten müsse, ehe nicht alle Instanzen ausgeschöpft seien. Am Ende blieb ihr das erspart, weil Salvini überraschend freigesprochen wurde.

Und hat nicht auch der Ahnvater aller Rechtspopulisten, Silvio Berlusconi, unter dem viele Karrieren der jetzt im Feuer Stehenden begannen, seine politische Karriere stets fortgesetzt - ungeachtet aller Verfahren und notfalls, wenn es nur irgend ging, trotz Verurteilung? Ist nicht überhaupt die jüngere italienische Geschichte voll von Beispielen, wie Politiker – ob rechts oder links – des Betrugs oder der Korruption beschuldigt und häufig genug verurteilt wurden? In dieser langen Tradition ist der Fall der Tourismusministerin Daniela Santanchè dann doch nur einer von vielen. Allerdings einer, der nun der Entscheidung harrt.

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