Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:De Maizière will es nicht und kann es nicht

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Der Innenminister hat versucht, möglichst vielen Flüchtlingen starken Schutz zu nehmen. Das passt zur Tendenz der Bundesregierung, doch de Maizières Taktieren ist eine Katastrophe für die Flüchtlingspolitik.

Kommentar von Heribert Prantl

Als Innenminister ist Thomas de Maizière zugleich der Verfassungsminister. Er ist aber offensichtlich nicht in der Verfassung, die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin umzusetzen; er ist ein unwilliger Minister. Er ist ein Minister der Schlangenlinien; seine Schlangen und Schlingen führen über das vereinbarte neue Flüchtlingsabwehrkonzept der großen Koalition hinaus.

Soweit man den Minister überhaupt versteht, verficht er in der Flüchtlingspolitik eine CSU-Agenda; er tut dies aber auf eine so täppische Weise, dass er schier über sich selbst stolpert. Es ist wohl der Eindruck nicht falsch, dass dem Bundesinnenminister die Flüchtlingspolitik emotional und politisch über den Kopf gewachsen ist. Er will nicht, aber auch das Nichtwollen kann er nicht.

Es mag sein, dass der Minister soeben versucht hat, eine Schwachstelle des Koalitionskompromisses sofort auszunutzen. Dort ist pauschal von einem "subsidiären Schutz" die Rede, von einem stark reduzierten Schutz also, der künftig für bestimmte Flüchtlingsgruppen gelten soll. Das wird nicht weiter ausgeführt, es wird auch nicht unterschieden zwischen dem nationalen und internationalen subsidiären Schutz. Deshalb hat de Maizière einem großen Teil der Syrien-Flüchtlinge künftig nur noch einen minderen Schutzstatus geben, sie also aus der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) auskoppeln wollen: Diejenigen Syrien-Flüchtlinge, die zuvor schon in der Türkei waren, sollten in Deutschland nur noch als Minderflüchtlinge anerkannt und behandelt, also etwa vom Familiennachzug ausgeschlossen werden.

Ein Pech für die Kanzlerin, ein Unglück für die Regierung

Aber da macht das Völkerrecht nicht mit: Die Türkei hat die Genfer Flüchtlingskonvention nur mit regionalem Vorbehalt anerkannt - nur für Flüchtlinge, die aus dem Westen kommen. Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten haben daher, wenn sie in der Türkei sind, dort keinen Schutz im Sinn der GFK gefunden. Deshalb muss der UN-Flüchtlingskommissar die Flüchtlinge dort unter Obhut nehmen und ein Aufnahmeland suchen; das dauert freilich viel zu lang und funktioniert nur in viel zu wenigen Fällen.

Der Versuch de Maizières, den syrischen Flüchtlingen den starken GFK-Schutz zu nehmen, passt aber zur Tendenz des neuen Konzepts der Bundesregierung, möglichst viele Flüchtlinge aus dem großen Schutz hinauszudrängen. Der Innenminister hat dieses Konzept jetzt durch Übertreibung entlarvt. Das Koalitionskonzept sieht vor, dass möglichst viele Flüchtlinge nur noch das neue Schnellverfahren durchlaufen und dann abgeschoben werden sollen - die Flüchtlinge aus den angeblich sicheren Herkunftsländern nämlich und die mit fehlenden Papieren.

Die Gummiformulierungen dazu im Koalitionskompromiss hat der Minister schnell und kräftig zu dehnen versucht. Der Gummi ist gerissen; er schnalzte ihm, peinlich für den Minister, auf die Finger. De Maizière ist ein Minister ohne Fortune. Das ist ein Pech für die Kanzlerin, das ist ein Unglück für die Regierung; das ist eine Katastrophe für die Flüchtlingspolitik.

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Quelle:
SZ vom 09.11.2015
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