Süddeutsche Zeitung

Nordeuropa:Eine "Mini-Nato" für den Luftraum

Lesezeit: 3 min

Es ist ein historischer Schritt: Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen wollen ihre Luftverteidigung bündeln. Damit reagieren sie auf Russlands aggressiven Militarismus.

Von Matthias Kolb und Alex Rühle, Stockholm, München/Stockholm

Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen haben beschlossen, für ihre Luftstreitkräfte eine integrierte Befehlsstruktur zu entwickeln. Wie erst kürzlich bekannt wurde, unterzeichneten die Luftwaffenchefs der vier nordeuropäischen Länder am 16. März auf dem US-Militärstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz eine erste Absichtserklärung für eine künftige Zusammenarbeit.

Eine derartige transnationale Zusammenlegung ist ein absolutes Novum. Schwedens Luftwaffenchef, Generalmajor Jonas Wikman, schrieb auf Instagram, das geplante Konzept beinhalte "unter anderem gemeinsame Planung, Training, Übungen, gemeinsames Situationsbewusstsein und Logistik".

In der Erklärung wurden außerdem eine gemeinsame Luftraumüberwachung und eine integrierte Führung angekündigt: "Endgültiges Ziel ist es, (...) auf der Grundlage der bereits bekannten Nato-Methodik nahtlos als eine Streitkraft zusammenarbeiten zu können." Dass Island als einziges nordisches Land nicht beteiligt ist, liegt daran, dass der Inselstaat mit nicht einmal 400 000 Einwohnern trotz seiner Mitgliedschaft in der Nato keine eigene Armee und demzufolge auch keine Luftstreitkräfte besitzt.

Dass Russlands aggressives Verhalten der Grund ist, muss gar nicht erwähnt werden

Oberst Dennis Hedström, der Chef des schwedischen Luftwaffenstabes, bezeichnete den Schritt als konsequente Weiterführung einer langjährigen Zusammenarbeit. "Dies ist eine Entwicklung, die schon seit Langem im Gange ist. Mit der stark veränderten sicherheitspolitischen Situation in der unmittelbaren Umgebung ist es aber immer deutlicher geworden, dass wir mehr an den Themen arbeiten müssen", sagte er in Ramstein.

Generalmajor Rolf Folland aus Norwegen ergänzte, diese Partnerschaft könnte Grundlage für die Schaffung eines gemeinsamen nordischen Zentrums für Luftoperationen sein, das auch die Vereinigten Staaten und Kanada unter einer einzigen Kommandostruktur beherbergen könnte. So könnten der Hohe Norden und der arktische Raum, in dem neben Russland auch China sehr aktiv ist, besser geschützt und überwacht werden.

In der Erklärung wird Russland mit keiner Silbe erwähnt. Der dänische Generalmajor Jan Dam sagte aber, die Initiative sei durch Russlands Überfall auf die Ukraine vorangetrieben worden. Die gemeinsame Flotte werde in etwa der "eines großen europäischen Landes" entsprechen.

Konkret geht es um etwa 250 Kampfflugzeuge unterschiedlicher Bauart. Schweden besitzt etwa 70 Saab JAS-39-Gripen-Jets. Norwegen steuert unter anderem 52 hochmoderne US-Tarnkappenkampfflugzeuge vom Typ F-35 bei, Finnland wird demnächst 64 F-35-Jets bekommen, und auch Dänemark hat in den USA etwa zwei Dutzend Kampfflugzeuge des gleichen Typs bestellt.

Dass die angestrebte Fusion auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein beschlossen wurde, deutet an, wie eng Washington eingebunden war. Mit General James Hecker nahm auch der Chef der US Air Force in Europa an dem Treffen teil. Hecker machte vergangene Woche klar, dass die USA ähnliche Schritte begrüßen würden: Er sage den Nato-Partnern ständig, dass sie sich "weniger auf uns Amerikaner verlassen sollten, sondern mehr aufeinander". Dass zahlreiche europäische Länder, darunter auch Deutschland und die Schweiz, auf die F-35 setzen, erleichtere diese Form der militärischen Kooperation.

Auch Minna Ålander, Sicherheitsexpertin am Finnish Institute of International Affairs, sieht diese Fusion als logische Weiterentwicklung. So hätten beispielsweise Finnland und Schweden bereits gemeinsame Marineeinheiten.

Norwegen, Schweden und Finnland hatten seit den Neunzigerjahren über Kooperationen der jeweiligen Luftwaffenverbände gesprochen. Seit 2009 halten die Länder in ihren dünn besiedelten nördlichen Gebieten nahezu wöchentlich gemeinsame grenzüberschreitende Flugübungen ab. Eine noch tiefere Zusammenarbeit war aber daran gescheitert, dass Finnland und Schweden bislang nicht der Nato angehören.

Das dürfte sich demnächst ändern: Nachdem beide Länder im Mai 2022 als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg ihre jahrzehntelange Bündnisneutralität aufgegeben und jeweils Anträge eingereicht hatten, haben 28 der 30 Mitglieder diesen zugestimmt. Nur die Türkei und Ungarn stellen sich bislang quer beziehungsweise pochen auf Zugeständnisse. Finnlands Präsident Sauli Niinistö konnte vor einer Woche dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan die Zusage abringen, das Parlament in Ankara werde noch vor der Präsidentschaftswahl im Mai den Beitritt ratifizieren.

In Nordeuropa spricht man von der "Mini-Nato"

Schweden muss weiter warten, das Land ist in den Augen der türkischen Regierung nicht engagiert genug im Antiterrorkampf. Ankara verlangt die Auslieferung angeblicher kurdischer Terroristen. Überraschenderweise hat auch Ungarn zuletzt die Ratifizierung der beiden Anträge entkoppelt. Am Montag ratifizierte das Parlament in Budapest mit überwältigender Mehrheit den Eintritt Finnlands in die Nato, 182 Abgeordnete stimmten am Montagabend für die Annahme, sechs Parlamentarier stimmten dagegen. Über Schweden soll separat abgestimmt werden. Wann das sein wird, weiß bislang niemand.

Auf Twitter machte in den vergangenen Wochen der Witz die Runde, Schweden könne ja demnächst einfach Finnland beitreten, dann sei man ebenfalls in der Nato. Zumindest haben beide Länder jetzt gemeinsam mit Norwegen und Dänemark eine andere schnelle Lösung gefunden: Für das neue Luftwaffenbündnis kursiert in den nordischen Ländern schon der Begriff der "Mini-Nato".

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