Die Ampelkoalition hat zwei ihrer zentralen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Vorhaben auf den Weg gebracht. Das Bundeskabinett verabschiedete am Mittwoch einen Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für einen höheren Mindestlohn und eine Neuregelung der Minijobs. Der gesetzliche Mindestlohn soll zum 1. Oktober auf zwölf Euro pro Stunde steigen, aus den 450-Euro-Jobs werden 520-Euro-Jobs.
Ein armutsfester Mindestlohn sei eine Frage der Leistungsgerechtigkeit und des Respekts vor ehrlicher Arbeit, erklärte Heil. "Von der Erhöhung profitieren über sechs Millionen hart arbeitende Menschen, vor allem in Ostdeutschland und vor allem Frauen." Heil sieht im höheren Mindestlohn auch ökonomische Vorteile, er stärke die Kaufkraft und gebe "einen wichtigen Impuls für die wirtschaftliche Erholung".
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Die SPD und die Grünen hatten im Bundestags-Wahlkampf einen Mindestlohn von zwölf Euro versprochen. Derzeit gilt ein Mindestlohn von 9,82 Euro, der Anstieg beträgt also mehr als 20 Prozent. Die FDP setzte im Koalitionsvertrag höhere Verdienstgrenzen für die umstrittenen Minijobs durch.
Für Frauen sei der Minijob "oft das sichere Ticket in die Altersarmut"
Unternehmensvertreter kritisierten das Vorhaben scharf. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger erklärte, durch den Gesetzentwurf werde "die vertrauensvolle Zusammenarbeit der vergangenen Jahre in der Mindestlohnkommission schwer gestört". In der unabhängigen Kommission stimmen sich Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften über den Anstieg des Mindestlohns ab. Dulger sprach von einem "Systemwechsel" hin zu einer Staatslohnentwicklung. Bei Einführung des Mindestlohns habe die Politik zugesagt, dass die Mindestlohnkommission den Mindestlohn festlege. "Dieses Versprechen wird nun gebrochen und macht den Mindestlohn zum Spielball der Politik."
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte den höheren Mindestlohn hingegen als "Ausdruck der Wertschätzung der Arbeit vieler Millionen Menschen". Als Fehler wertete der DGB die Ausweitung der Minijob-Grenzen. Gerade für Frauen sei der Minijob "oft das sichere Ticket in die Altersarmut".
Laut den Plänen der Bundesregierung soll der Mindestlohn nach der Erhöhung auf zwölf Euro künftig wieder auf Grundlage von Beschlüssen der Mindestlohnkommission angepasst werden, erstmals zum 1. Januar 2024. Die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte vor der Einführung des Mindestlohns Anfang 2015 allerdings ebenfalls zugesagt, dass über künftige Anpassungen Arbeitgeber und Gewerkschaften in der Mindestlohnkommission entscheiden und sich die Politik heraushalte. Darauf bezieht sich Arbeitgeberpräsident Dulger in seiner Kritik.
Die FDP war gegen die strengere Arbeitszeiterfassung
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wies darauf hin, dass der erhöhte Mindestlohn nun auch besser kontrolliert werden müsse. "Schon jetzt erhalten viele Beschäftigte den Mindestlohn nicht", sagte Johannes Seebauer, DIW-Experte für Arbeit und Beschäftigung. Hilfreich wäre eine elektronische Erfassung der Arbeitszeit, die manipulationssicher sei, sagte Seebauer. "Sonst ist das anfällig für Missbrauch."
Hubertus Heil hatte in seinem ersten Gesetzentwurf eine Pflicht zur digitalen und manipulationssicheren Arbeitszeiterfassung aufgenommen, die Passage wurde jedoch nach Einspruch der FDP und Protest von Branchenverbänden gestrichen. Der Aufwand für Unternehmen sei viel zu hoch, argumentiert die FDP.
Laut Heil wurde nun im Kabinett verabredet, dass sein Ministerium sowie das Bundesfinanzministerium unter Christian Lindner (FDP) gemeinsam prüfen, wie durch "elektronische und manipulationssichere Arbeitszeitaufzeichnungen" der Mindestlohn besser durchgesetzt werden könne.