Mindestlohn:Die widerrufene Ausnahme

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Gilt für fast alle: Die CDU wollte allerdings Flüchtlinge für die ersten sechs Monate einer Beschäftigung vom Mindestlohn ausnehmen. (Foto: Christian Thiel/imago)

Nach heftiger Kritik gibt die CDU ihre Idee auf, bei Flüchtlingen Abweichungen vom Mindestlohn zuzulassen. Zumindest fast.

Von D. Esslinger, S. Höll, W. Wittl und C. von Bullion, Berlin/München

Die CDU-Spitze hat ein Integrationskonzept für Flüchtlinge beschlossen und ist dabei Bedenken der SPD zu Ausnahmen beim Mindestlohn entgegengekommen. In dem am Montag vom CDU-Bundesvorstand verabschiedeten Papier "Fördern und Fordern" wird die Kürzung von Sozialleistungen verlangt, wenn Flüchtlinge Integrations- und Sprachkurse nicht wahrnehmen. Ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht soll an Auflagen gekoppelt werden. Heftig kritisierte Ausnahmen beim Mindestlohn ließ die CDU allerdings fallen. "Wir haben zur Kenntnis genommen, dass die Sozialdemokraten es kategorisch ablehnen, über Änderungen beim Mindestlohn zu sprechen", sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Ursprünglich wollten die Christdemokraten Flüchtlinge wie Langzeitarbeitslose behandeln: Sie sollten in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung keinen Anspruch auf den Mindestlohn haben. Nun will die Parteispitze nur noch in die Mindestlohn-Regeln für Praktika eingreifen. "Für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge sollen Praktikumszeiten, bei denen vom Mindestlohn abgewichen werden kann, auf mindestens sechs Monate verlängert werden".

Zuvor hatten SPD, Opposition und Gewerkschaften scharfe Kritik an der Idee von der Mindestlohn-Ausnahme geübt. Mit den Sozialdemokraten werde es keine entsprechenden gesetzlichen Veränderungen geben, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel nach einer gemeinsamen Präsidiumssitzung der SPD im Bund und in Rheinland-Pfalz in Mainz. Der CDU-Vorschlag für Öffnungen zugunsten Schutzsuchender sei eine Art Aufbauprogramm für die rechtspopulistische AfD. Ministerpräsidentin Malu Dreyer warf den Christdemokraten vor, im Landtagswahlkampf nun Schwache gegen Schwache ausspielen zu wollen. In einem gemeinsamen Beschluss von Bundes- und Landes-SPD heißt es: "Wer jetzt den Mindestlohn für Flüchtlinge aushebeln will, wirft einen Brandsatz in unsere Gesellschaft."

Die Sozialdemokraten fordern stattdessen ein Milliardenpaket für eine bessere Integration der Flüchtlinge, die für längere Zeit in Deutschland bleiben. Gabriel nannte eine Summe von drei bis fünf Milliarden Euro, die für Wohnungsbau, Spracherwerb, Bildung und Arbeitsmarktpolitik nötig seien. Er warf der CDU vor, eine öffentliche Debatte über die Kosten der Integration zu scheuen, so wie einst bei der deutschen Vereinigung.

Ins gleiche Horn blies die Linke. "Ich halte das für hochgefährlich", sagte Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn am Montag in Berlin. "Es braucht sich niemand zu wundern, wenn durch solche Vorschläge die AfD gestärkt wird." Durch eine "Politik der Spaltung" würden nicht Flüchtlinge integriert, sondern ohnehin schon schlecht bezahlte Arbeitnehmer gegeneinander ausgespielt. Erst einmal müssten Angebote für Bildung, Qualifizierung und Integration gemacht werden, bevor man daran gehe, sie zu streichen.

Zustimmung kam von der Schwesterpartei: "Wir begrüßen diese Initiative der CDU im Prinzip sehr", sagte CSU-Chef Horst Seehofer am Montag vor der Sitzung des Parteivorstands. Auch die CSU kann sich Ausnahmen beim Mindestlohn vorstellen. Bei der Ausgestaltung sei allerdings "viel Klugheit gefordert". Einerseits wolle man Zuwanderern, die in Deutschland bleiben können, den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Andererseits "wollen wir auch keine Dumpinglöhne", sagte Seehofer. Für Flüchtlinge, die im normalen Arbeitsmarkt angekommen seien, hätten Regeln wie für alle Deutschen zu gelten. "Aber davor müssen wir kreativ sein und flexibel."

Die Arbeitgeber sind sich uneins, wie sie mit dem Vorschlag umgehen sollen

Unter den Arbeitgebern ist der Vorstoß umstritten. Manchen ging er nicht weit genug. Im Berliner Tagesspiegel forderte ein Sprecher der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dass die Lohnuntergrenze für Flüchtlinge und Langzeitarbeitslose in den ersten zwölf Monaten der Beschäftigung nicht gelten soll. "Allen Menschen, die es am Arbeitsmarkt besonders schwer haben, muss der Weg in Beschäftigung erleichtert werden", sagte er: "Ihnen sollte zwölf Monate lang eine von den strikten Bedingungen des Mindestlohngesetzes befreite Beschäftigung ermöglicht werden." Das betreffe Langzeitarbeitslose, Menschen ohne Qualifikation und Flüchtlinge.

Die bayerischen Arbeitgeber hingegen halten nichts von der Initiative. "Jetzt werden Aushöhlungen gefordert, die wir nicht wollen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der bayerischen Metall- und Elektroindustrie, Bertram Brossardt, am Montag. Sein Verband halte den Mindestlohn zwar "generell für falsch"; er vertritt jedoch seit Längerem die Position, einzelne Gruppen nicht gegeneinander auszuspielen.

© SZ vom 16.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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