Mindestlohn:"Können Menschen, die acht Stunden pro Tag hart arbeiten, in Würde leben?"

Mindestlohn: Man müsse nicht den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekommen, um zu wissen: Das wird knapp, sagt NRW-Minister Karl-Josef Laumann mit Blick auf die Inflation und den Mindestlohn.

Man müsse nicht den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekommen, um zu wissen: Das wird knapp, sagt NRW-Minister Karl-Josef Laumann mit Blick auf die Inflation und den Mindestlohn.

(Foto: Noah Wedel /imago images/Kirchner-Media)

Erst dagegen, dann dafür: Beim Thema Mindestlohn ist bei der CDU/CSU ein Zickzackkurs zu beobachten. Karl-Josef Laumann, NRW-Sozialminister, bedauert die geplante Enthaltung seiner Partei bei der Abstimmung im Bundestag.

Interview von Christian Wernicke

An diesem Freitag wird die Ampelkoalition im Bundestag ein Wahlversprechen von Kanzler Olaf Scholz einlösen - und den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen. Die CDU/CSU-Fraktion will sich enthalten. Karl-Josef Laumann, Bundeschef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft und Sozialminister in Nordrhein-Westfalen, ärgert das. Aber auch das Ampel-Gesetz genügt Laumann nicht: Die Inflation werde bald die nächste Erhöhung erzwingen.

SZ: Herr Laumann, die CDU-Fraktion stimmt der Erhöhung des Mindestlohns nicht zu und enthält sich. Ist dies das richtige Signal?

Karl-Josef Laumann: Nein, ich halte diese Entscheidung für falsch.

Warum?

Weil die CDU den Mindestlohn von zwölf Euro ja eigentlich befürwortet. Das sagen wir auch in einem eigenen Antrag. Zugleich ist meine Partei allerdings der Auffassung, der Mindestlohn dürfe nicht von der Politik festgelegt werden. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Politik muss in diesem Fall handeln. Denn die unabhängigen Experten - die Mindestlohn-Kommission - haben ihre Arbeit nicht richtig gemacht.

Also richtig, dass die Politik eingreift?

Auch wenn das nicht jeder in der Union gerne hören wird: Ja, weil die Kommission zu lange die falschen Maßstäbe angelegt hat. Sie hat jahrelang eigentlich nur stumpf auf die durchschnittliche Lohnentwicklung geachtet. Deshalb ist der Mindestlohn dann im Schnitt jährlich um magere drei Prozent gestiegen. Das ist zu wenig. Das Gesetz schreibt klar vor, die Kommission solle auch die wirtschaftliche Gesamtsituation sehen. Dazu gehört übrigens, dass der Mindestlohn - anders als 2015 befürchtet - keine Jobs gefährdet. Als die große Koalition den Mindestlohn einführte, half diese neue Untergrenze etwa fünf Prozent aller Beschäftigten - zuletzt waren es noch 3,5 Prozent. Die Unternehmer zahlen längst mehr, weil sie keine Arbeitskräfte finden.

Also noch einmal: Die Ampel hat recht?

Nein, das auch nicht. Denn die Ampelkoalition ändert ja nichts am Mechanismus. Da fehlt ihr der Mut. Wenn die Preise weiter so rapide steigen, kann aus einem angemessenen Mindestlohn schnell ein viel zu niedriger Lohn werden. Wir müssen jetzt das Mindestlohn-Gesetz ändern und ermöglichen, dass neben der Lohnentwicklung auch die gesamte Lebensrealität in den Blick genommen wird. Der Mindestlohn soll schützen. Es geht um Menschen, die hart arbeiten und trotzdem von Armut bedroht sind. Die hohen Preise für Heizung, Strom, Nahrungsmittel treffen diese Leute besonders schwer. Aber im Gesetz der Ampel steht, die Mindestlohn-Kommission müsse erst 2024, also frühestens in 18 Monaten, wieder über eine Erhöhung beraten. Angesichts der aktuellen Preis-Explosion kommt das zu spät.

Wie würden Sie denn abstimmen?

Diese Enthaltung in einer wichtigen Sachfrage ist kein politisches Meisterstück. Aber wir alle wissen: Die Einheit der Fraktion war anders nicht herzustellen. Unser Wirtschaftsflügel hatte im Vorfeld sehr deutlich gemacht, dass er nicht zugestimmt hätte. Deshalb leider - Enthaltung.

Hendrik Wüst, Ihr Ministerpräsident, warb im NRW-Wahlkampf für zwölf Euro pro Stunde - zählt das nicht mehr?

Doch. Die Union als Ganzes ist ja eigentlich auch für die zwölf Euro. Das ist ja das Paradoxe. Aber als Chef des CDU-Sozialflügels bin ich in einem Punkt anderer Meinung als meine Partei: Da die Mindestlohn-Kommission ihrer Verantwortung nicht ausreichend nachgekommen ist, muss die Politik nun handeln. Der Maßstab muss sein: Können Menschen, die acht Stunden pro Tag hart arbeiten, in Würde leben?

Die Inflation dürfte die Erhöhung auf zwölf Euro schnell wieder auffressen.

Stimmt. Zwölf Euro für die nächsten 18 Monate bei diesen Preissteigerungen? Da muss ich nicht den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekommen, um zu wissen: Das wird knapp. Ich möchte ja eigentlich auch nicht, dass die Politik den Mindestlohn festlegt. Aber wenn wir das Experten überlassen, dann müssen die endlich die Realität der Menschen genauer im Blick haben.

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