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Mindestlohn-Beschluss der CDU:Kleinste gemeinsame Lohnuntergrenze

Mit deutlicher Mehrheit bekennt sich die CDU auf ihrem Leipziger Parteitag zum Mindestlohn. Doch das Wort selbst ist bei den Konservativen mit so vielen Emotionen belastet, dass es in dem Beschluss gar nicht vorkommt. Aus der Einigung kann jeder das herauslesen, was er will. Und genau das ist das Problem.

Detlef Esslinger

Der November ist der Monat des Nebels, insofern passt der Beschluss der CDU zum Mindestlohn ganz gut zur Jahreszeit. Das also ist die Prosa, auf die sich die Partei in Leipzig geeinigt hat: "Die Lohnuntergrenze wird durch eine Kommission der Tarifpartner festgelegt und soll sich an den für allgemein verbindlich erklärten tariflich vereinbarten Lohnuntergrenzen orientieren."

Orientieren? Und was für eine Kommission? Wer behauptet, diese Aussage zu verstehen, der flunkert wahrscheinlich. Angenommen werden darf, dass Angela Merkel und die Flügel der Partei mit Bedacht Zuflucht in solchen Schwaden gesucht haben.

Vielleicht hält die Parteivorsitzende einen Mindestlohn ja wirklich für notwendig. Vielleicht glaubt sie, nur mit diesem Instrument jene Zustände beenden zu können, dass Menschen zwar 35 oder 40 Stunden in der Woche arbeiten, aber trotzdem auf Hartz IV angewiesen sind. Aber selbst wenn dies ihre Meinung sein sollte - in Leipzig ging es ihr um dringendere und höhere Dinge: die Christlich Demokratische Union zusammenzuhalten. Die Partei hat in den vergangenen Wochen ja weniger eine Fachdebatte über den Mindestlohn geführt.

Gerade für die Konservativen war dieses Thema das eine Thema zu viel: Ihre Partei hat die Wehrpflicht abgeschafft, die Atomenergie aufgegeben und die Hauptschule zur Disposition gestellt. Und jetzt soll auch noch der Mindestlohn eingeführt werden. Irgendwann reicht's.

Der Nebel-Beschluss hatte den Zweck, eine offene Auseinandersetzung der Flügel in Leipzig zu verhindern. Es mussten Formulierungen her, die beide Seiten ruhigstellen; damit auch das böswilligste Medium keine Schlagzeile à la "Mindestlohn spaltet die Union" basteln kann. Deswegen kommt das mit so vielen Emotionen belastete Wort "Mindestlohn" in der Einigung auch nicht vor. "Lohnuntergrenze", das muss reichen.

Lohnuntergrenze - Singular, nicht Plural

Die Debatte darüber ist in der CDU nun nicht beendet. Im Gegenteil, jetzt beginnt der Kampf um die Deutungshoheit über den Nebel-Beschluss. Lohnuntergrenze, das ist Singular, nicht Plural. Hat die CDU also womöglich exakt das beschlossen, was der Wirtschaftsflügel immer ablehnte: einen allgemeinen, sämtliche Branchen und Regionen abdeckenden Mindestlohn (auch wenn der nicht so heißt)?

Und wenn der sich an bestehenden, für allgemein verbindlich erklärten Lohnuntergrenzen "orientieren" soll - ist das so zu verstehen, dass am Ende mehr als 7,89 Euro herauskommen werden, der Betrag, der für die Zeitarbeiter gilt und den die Sozialpolitiker ursprünglich anstrebten? In knapp einem Dutzend Branchen gibt es bereits einen allgemein verbindlichen Mindestlohn. Der in der Zeitarbeit gehört zu den niedrigsten, während er am Bau 13 Euro beträgt.

Seit Jahren kämpfen Arbeitnehmervertreter für einen Mindestlohn. Sie dürften sich die Bewertung von Verdi-Chef Frank Bsirske zu eigen machen. Demnach ist der CDU-Beschluss: "ein Schrittchen nach vorn".

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Quelle:
SZ vom 15.11.2011/hai
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