Es ist eines der wichtigsten Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): Noch im Jahr 2022 werde er den Mindestlohn auf 12 Euro anheben, versicherte er im Wahlkampf, und so machte sich der zuständige Minister Hubertus Heil gleich an die Arbeit: Ein Referentenentwurf für das Gesetz liegt vor, zum 1. Oktober soll es kommen, sogar die unternehmerfreundliche FDP trägt es mit. So weit so gut aus Sicht der Ampel, wären da nicht die Arbeitgeber. Ihre Bundesvereinigung BDA lotet derzeit aus, wie sie das Vorzeigeprojekt des Kanzlers noch stoppen könnte. Aus Arbeitgeberkreisen verlautet, es laufe derzeit eine "juristische Überprüfung": Ein Verfassungsrechtler und ein Arbeitsrechtler untersuchten im Auftrag der BDA, ob sich die Lohnerhöhung mittels einer Klage zu Fall bringen lasse. Die Hoffnung sei groß, dass die Prüfung positiv ausgehe. In zwei Wochen sollen die Ergebnisse vorgestellt werden.
Ihre Argumente präsentieren die Arbeitgeber nun erstmals ausführlich. In einer Stellungnahme, die der SZ vorliegt, werfen sie der Bundesregierung ein "verfehltes Verständnis von sozialer Marktwirtschaft" vor. Es sei Aufgabe des Staates, das Existenzminimum seiner Bürger zu sichern; er dürfe die Verantwortung dafür nicht über einen höheren Mindestlohn "an die Betriebe abschieben". Die geplante Erhöhung sei ein "massiver Eingriff" in die Tarifautonomie, also in das Recht von Arbeitgebern und Gewerkschaften, Löhne auszuhandeln. Die Arbeitnehmer, die unter 12 Euro verdienen, würden mit einem Schlag hochgestuft. Dadurch entstehe ein "Lohndruck nach oben" - Übersetzung: Wenn geringer Qualifizierte künftig 12 Euro bekommen, dann wollen auch diejenigen mehr, die darüberliegen.
Mit der Erhöhung zerstöre die Bundesregierung das Vertrauen der Arbeitgeber
Ein weiteres Argument lautet, mit der Erhöhung zerstöre die Bundesregierung das Vertrauen der Arbeitgeber. Sie verweisen auf die Aussagen der damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), nach der Einführung des Mindestlohns 2015 von zunächst 8,50 Euro sollten sich Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam in der Mindestlohnkommission um weitere Erhöhungsschritte kümmern. Die Kommission hatte zuletzt beschlossen, der Mindestlohn solle zum 1. Juli auf 10,45 Euro steigen. "Auf dieser Grundlage haben Arbeitgeber und Tarifvertragsparteien kalkuliert", heißt es in der Stellungnahme. Weitere Punkte: Die Erhöhung auf 12 Euro schütze nicht vor Altersarmut, da diese vor allem eine Bedrohung für Langzeitarbeitslose sei, sie schaffe höhere Hürden beim Jobeinstieg und treffe die Unternehmen angesichts der Pandemie in einer "schwierigen Krisensituation". Die Bundesregierung müsse das Gesetz mindestens auf den 1. Januar 2023 verschieben, danach solle außerdem eine Übergangsregelung für abweichende Tarifverträge gelten. Eine weitere Erhöhung - dann wieder durch die Mindestlohnkommission - dürfe es nicht vor Ende 2024 geben.
Eine Klage der BDA, etwa vor dem Bundesverfassungsgericht, hätte kaum Aussicht auf Erfolg. Nach Ansicht von Experten würde sie schon aus formellen Gründen scheitern, da sie selbst keine Tarifverhandlungen führt. Anders sähe es aus, wenn einer der in der BDA organisierten Arbeitgeberverbände klagte, dann käme vermutlich eine inhaltliche Prüfung. Manche Arbeitsrechtler glauben, dieser Weg sei aussichtsreich. Andere halten die geplante Erhöhung für gerechtfertigt, sie argumentieren mit der Schutzpflicht des Staates gegenüber Arbeitnehmern: Zu ihr zähle auch der Schutz vor zu niedrigen Löhnen. Behalten sie recht, dann muss Kanzler Scholz eine Klage nicht fürchten.