Arbeit:Wie aussichtsreich wäre eine Klage gegen den höheren Mindestlohn?

Arbeit: Der Mindestlohn war das große Versprechen von Olaf Scholz im Wahlkampf.

Der Mindestlohn war das große Versprechen von Olaf Scholz im Wahlkampf.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Kanzler Scholz will ihn noch in diesem Jahr auf zwölf Euro erhöhen. Doch die Arbeitgeber drohen, dagegen vorzugehen.

Von Benedikt Peters, München

Der Mindestlohn ist nicht irgendein Thema für Olaf Scholz. Ihn auf zwölf Euro zu erhöhen, das sei sein "wichtigstes Gesetz", hatte der SPD-Politiker im Wahlkampf gesagt, er werde es als Bundeskanzler "sofort auf den Weg bringen". Bisher sieht es gut aus für Scholz, selbst die unternehmerfreundliche FDP trägt sein Vorhaben mit, und der zuständige Minister Hubertus Heil hat sich schon an die Arbeit gemacht: "In den nächsten Wochen" werde er den Gesetzesentwurf vorlegen, sagte Heil Anfang Januar.

Die Frage ist allerdings, ob es so reibungslos weitergeht, denn im Lager der Arbeitgeber formiert sich Protest. Die Tarifautonomie, also das Recht von Arbeitgebern und Gewerkschaften, ohne staatliche Einmischung Tarifverträge und damit auch Löhne auszuhandeln, sei verfassungsrechtlich geschützt, mahnte kürzlich Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger und kündigte an, das Vorhaben der Bundesregierung "qualifiziert juristisch überprüfen zu lassen". Am Ende könnte eine Klage gegen die Mindestlohn-Erhöhung vor dem Bundesverfassungsgericht stehen - und damit eine Bedrohung für das "wichtigste Gesetz" des Bundeskanzlers.

Die Gewerkschaften reagierten verärgert. "Eine Klage ist Unfug", sagte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Reiner Hoffmann. Verdi-Chef Frank Werneke ging noch weiter: "Der Vorwurf des Angriffs auf die Tarifautonomie ist an Heuchelei kaum noch zu überbieten." Es seien die Arbeitgeber, die sich oft Verhandlungen verweigerten und so dafür sorgten, dass die Tarifbindung in Deutschland immer weiter zurückgehe. Die Erhöhung des Mindestlohns sei auch eine Antwort darauf.

Werneke nannte es richtig, dass die Bundesregierung die zwölf Euro möglichst bald auf den Weg bringen wolle. "Die Preise für viele Güter und Dienstleistungen steigen empfindlich, gerade auch die Energiekosten. Das betrifft die Menschen jetzt, nicht irgendwann."

Drohen Massenentlassungen?

Bleibt die Frage, wie realistisch es ist, dass eine Klage die Erhöhung des Mindestlohns noch zu Fall bringt. Die Juristen sind sich in einem einig: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) selbst könnte sich wohl kaum mit großen Erfolgsaussichten an das Bundesverfassungsgericht wenden. Da sie keine Tarifverhandlungen führt, würde ihre Beschwerde wahrscheinlich nicht zugelassen. Anders sähe es aus, wenn ein Arbeitgeberverband selbst das Bundesverfassungsgericht anriefe; dann käme es wahrscheinlich zu einer inhaltlichen Prüfung. Wie sie ausgehen würde? Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen.

Der Arbeitsrechtler Markus Künzel von der arbeitgebernahen Kanzlei Beiten Burkhardt glaubt an hohe Erfolgsaussichten. "Eine Mindestlohn-Erhöhung auf zwölf Euro wäre ein intensiver Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie", sagt er. Ein solcher Eingriff kann zulässig sein, wenn er verhältnismäßig ist. Künzel argumentiert, dass diese Verhältnismäßigkeit insbesondere durch den Zeitpunkt verletzt sei, zu dem die Bundesregierung den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen wolle - laut Ankündigung noch in diesem Jahr. Die Mindestlohnkommission, ein Gremium aus Gewerkschaftern und Arbeitgebern, hat eigentlich entschieden, dass der Mindestlohn zum 1. Juli von derzeit 9,82 Euro auf 10,45 Euro pro Stunde steigen soll. Darauf hätten sich die Arbeitgeber nun eingestellt. Eine weitere Erhöhung auf zwölf Euro treffe sie unvermittelt, sei zu hoch und damit nicht verhältnismäßig, argumentiert Künzel.

Anders sieht es der Kölner Jura-Professor Ulrich Preis. 2014 hat er im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ein Gutachten über den Mindestlohn geschrieben; er kommt darin zu dem Schluss, dass er verfassungskonform ist. Ein Jahr später wurde der Mindestlohn von damals 8,50 Euro eingeführt, drei Klagen dagegen blieben erfolglos. Preis verweist darauf, dass der Gesetzgeber eine Schutzpflicht gegenüber Arbeitnehmern habe, dazu zähle auch der Schutz vor unangemessen niedrigen Löhnen. Damit lasse sich ein Eingriff in die Tarifautonomie rechtfertigen. "Die Bundesregierung muss nun gute Gründe dafür liefern, dass die zwölf Euro ein existenzsicherndes Minimum darstellen. Ich glaube, dass es diese guten Gründe gibt", sagt Preis. Er verweist auf Untersuchungen dazu, welchen Stundenlohn es bräuchte, damit Beschäftigte nicht in Altersarmut abrutschen. Nach Zahlen der Bundesregierung müssten sie 45 Jahre lang in Vollzeit arbeiten und mindestens 12,63 brutto verdienen.

Ein weiterer Punkt, der die Unverhältnismäßigkeit der Mindestlohn-Erhöhung belegen könnte, wären drohende Massenentlassungen. Diese blieben aber bei der Einführung des Mindestlohns 2015 aus. Auch dieses Mal gelten sie als unwahrscheinlich: Kürzlich kamen zwei Mannheimer Wirtschaftswissenschaftler zu dem Schluss, dass der Arbeitsmarkt erst ab einem Mindestlohn oberhalb von 13 Euro kippen könnte.

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