Es war in den vergangenen Wochen immer wieder davon die Rede, dass in Nordrhein-Westfalen nun ein interessantes politisches Experiment beginne; eine Minderheitsregierung, was es bisher nicht oft gab in der Bundesrepublik. Es klang sehr exotisch.
Der Koalitionsvertrag, den Rot-Grün nun vorlegt, steht aber auch in der Tradition der bisherigen Regierungen: Es werden wieder neue Schulden gemacht, anstatt alte abzubauen. Etwa neun Milliarden Euro neue Kredite wird die Regierung mindestens aufnehmen müssen im kommenden Jahr, das sind etwa 600 Euro zusätzlich für jeden Bürger dieses Landes. Es ist, als hätte es die Krise in Griechenland nie gegeben, nach der doch alle erzählten, man könne nur so viel ausgeben, wie man einnehme. Es war wieder von der schwäbischen Hausfrau die Rede. Rot-Grün in NRW scheint aber der Meinung zu sein, ein bisschen griechisch könne man schon noch wirtschaften.
Es ist ein Koalitionsvertrag, der in manchen Teilen den versprochenen Politikwechsel vollzieht: bessere und beitragsfreie Bildung vom Kindergarten bis an die Uni; eine neue Energiepolitik und Hilfe für hilflose Kommunen. Es ist in vielem aber auch kein sehr mutiges Programm - das damit wohl den Charakter einer Regierung aufzeigt, die keine Mehrheiten hat: die Tag für Tag schauen wird, was möglich ist. Deren erstes Ziel es sein muss, sich irgendwie an der Macht zu halten und sich die Chancen bei möglichen Neuwahlen nicht zu verderben. Es ist eine Regierung, die sich deutlich nur für neue Schulden entschieden hat. Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann sagen, sie wollten vor allem in die Zukunft der Kinder investieren, und geben den Kindern die Schulden gleich mit auf den Weg.
Jetzt werden die Geschenke ausgepackt, die Abschaffung der Studiengebühren und das beitragsfreie dritte Kindergartenjahr. Die Grausamkeiten müssen am Anfang kommen, heißt eine Bauernregel der Politik. Rot-Grün beginnt damit, den Haushalt grausam zu überschulden. Die Koalition hat nicht die Kraft zu größeren Einsparungen, weil ihr dazu die Mehrheiten fehlen. Sie hat nicht den Mut, weil sie Angst hat, dass ihr Kürzungen schaden könnten, wenn es in ein paar Monaten wieder zu Neuwahlen kommen könnte.
Danach sieht es aber kaum aus, im Koalitionsvertrag findet sich wenig, dem die Linke nicht zustimmen könnte. Der neue Haushalt im Herbst wird der erste Test für die Stabilität der Minderheitsregierung, er könnte gelingen, weil Rot-Grün nicht jenen Kahlschlag im öffentlichen Dienst veranstaltet, den die Linke verhindern will. Die Linken, so muss man erwarten, werden an dem einen oder anderem Punkt laut schreien, dass es so nicht gehe - aber immer darauf achten, diese Regierung nicht scheitern zu lassen. Weil sie ja auch ankommen wollen in den Parlamenten des Westens, statt bei Neuwahlen wieder hinauszufliegen.
Aus Berlin wird man interessiert nach NRW blicken und schauen, was denn so möglich ist in einem Bündnis Rot-Grün plus X. Hannelore Kraft interessiert diese Versuchsanordnung nur bedingt. Sie wird weiter ausloten, was gerade möglich ist. In der Bildung ist nun alles möglich in Nordrhein-Westfalen: in acht Jahren zum Abitur oder doch wie bisher in neun, Gesamtschule oder Gemeinschaftsschule - oder ein Mix aus allem.
Während sich viele in Deutschland Gedanken machen, ob es nicht besser wäre, föderales Durcheinander zu beenden, geht die neue Regierung in Düsseldorf den umgekehrten Weg. Sie überlässt es Eltern, Lehrern und Kommunen zu entscheiden, wie ihre Schule aussehen soll. Einerseits ist das ein guter Schritt, weil es jenen engagierten Eltern und Lehrern hilft, die sich aus den örtlichen Gegebenheiten ihre Schule maßschneidern können, so weit es die Mittel zulassen. Andererseits droht so ein Flickenteppich an Modellen und Systemen zu entstehen, in dem man den Überblick verliert.