Rot-Grün: Minderheitsregierung:Hanni und Nanni in NRW

Die turbulenten Abenteuer von Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann: Das Experiment Minderheitsregierung ist ein Tanz auf dem Hochseil. Doch die Chancen stehen gut, dass am Ende alles gut ausgeht - auch wenn NRW kein Mädchen-Internat ist.

Heribert Prantl

Minderheitsregierungen gelten in Deutschland als nichts Halbes und nichts Ganzes. Eine Minderheitsregierung war bisher eine, na ja, eine Naja-Regierung halt: eine Regierung, die zu regieren versucht, aber es nicht richtig im Kreuz hat. Es gab zwar da und dort Minderheitsregierungen, die manierlich regiert haben; Richard von Weizsäcker hat knapp zwei Jahre lang in Berlin eine Minderheitsregierung geführt, Reinhard Höppner in Sachsen-Anhalt acht Jahre lang. Aber das Gefühl, dass da eine Regierung aus der Not eine echte Tugend gemacht hätte, gab es nicht. Das könnte sich in Nordrhein-Westfalen ändern.

Dieser Minderheitsregierung fehlt nur eine einzige Stimme, sie ist - in einem ansonsten zerrissenen Parlament - also numerisch relativ stark. Und an die Stelle der fehlenden einen Stimme könnte ein anderer Pluspunkt treten: Die Minderheitsregierung wird von zwei Parteien getragen und zwei Frauen geführt, die sich offenbar außergewöhnlich gut vertragen. Das könnte ein schöner Kontrast werden zur Unverträglichkeitsregierung von Merkel/Westerwelle in Berlin.

Vielleicht bewährt sich in NRW so etwas wie ein weibliches Prinzip rot-grünen Regierens. Denn auch das "Ich bin Koch und du bist Kellner"-Gehabe von Gerhard Schröder in der rot-grünen Bundesregierung mit Fischer und Trittin von 1998 bis 2005 ist noch in unguter Erinnerung.

Hau-Drauf und Rabbatz

An der Spitze der NRW-Koalition und Landesregierung werden eine SPD-Landesvorsitzende als Ministerpräsidentin und eine Grünen-Fraktionsvorsitzende als Vize-Ministerpräsidentin stehen. Ein solches Regierungs-Feminat, eine weibliche Doppelspitze, ist ein Novum in der Regierungsgeschichte der Bundesrepublik. Vielleicht wird daraus so eine Art Hanni-und-Nanni-Regierung.

In den gleichnamigen Jugendbüchern von Enid Blyton erleben die beiden Protagonisten turbulente Abenteuer; am Ende geht immer alles gut aus. In NRW ist das allerdings schwieriger als im Mädchen-Internat. Gewiss ist nur: Am Ende dieser Minderheitsregierung werden Neuwahlen stehen. Die große Frage ist, ob die schon alsbald oder erst in ein paar Jahren stattfinden. Das hängt davon ab, ob und wie es dem rot-grünen Feminat gelingt, koalitionäre Verträglichkeit in verträgliche Politik zu verwandeln.

Karl-Josef Laumann, der neugewählte Fraktionschef der CDU, hat eine "bedingungslose" Opposition angekündigt. Das klingt nach Hau-Drauf und Rabbatz. Aber beliebt beim Wähler macht man sich damit nicht. Und Neuwahlen können den Oppositionsparteien erst dann gelegen kommen, wenn die Stimmung für sie wieder erheblich besser geworden ist. Das ist das Einzige, was CDU, FDP und Linke in NRW gemeinsam haben.

Lesen Sie weiter, warum die Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen plausibel ist und was ihren Reiz für die Demokratie ausmacht.

Die Angst der Opposition

Die FDP wird, solange sie damit rechnen muss, gar nicht mehr im Parlament vertreten zu sein, immer die Alternative zu Neuwahlen wählen - und wenn es die Zustimmung zur Minderheitsregierung ist. Das heißt: Die fehlende eine Stimme der Minderheitsregierung wird fürs Erste auch ausgeglichen werden von der Angst der Opposition vor Neuwahlen.

NRW-Landtag

Deutschlands erstes Feminat: Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Grüne).

(Foto: dpa)

Laboratorium NRW: Den ersten Test hat Hannelore Kraft ordentlich überstanden. Sie hat sich - anders als seinerzeit Andrea Ypsilanti in Hessen - nicht Hals über Kopf in die Minderheitsregierung gestürzt, sondern zuvor die anderen denkbaren Möglichkeiten ausverhandelt: sie hat sich dabei von den Linken so markant abgegrenzt, dass man ihr nun eine Genossenschaft nicht vorwerfen kann. Die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW ist nun zwar nicht unbedingt zwingend, aber sie ist plausibel angesichts des Wahlergebnisses und der Animositäten, die ansonsten zwischen den Landtags-Parteien herrschen. Das reicht zur Regierungsbildung.

Zum Regieren gehört mehr. Eine Minderheitsregierung ist ein artistischer Akt, ein Tanz auf dem Hochseil im Freien. Man muss dabei das labile Gleichgewicht bewahren; wenn das nicht gelingt, stürzt man ab.

Auf Bundesebene unmöglich

Eine gute Minderheitsregierung muss daher die Opposition als Balancierstange benutzen können. Die Voraussetzungen im Parlament von Düsseldorf sind dafür nicht schlecht: Rot- Grün regiert mit 90 Stimmen, die 91 Stimmen der Opposition verteilen sich auf zwei Lager, also auf zwei Gewichte, die sehr weit auseinander liegen. Damit muss die Regierung Kraft/Löhrmann behände umgehen.

So etwas kann in NRW gelingen, weil dort nur eine Stimme fehlt. Das Experiment lässt sich nicht auf den Bund übertragen, wo Rot-Grün viele Dutzend Stimmen fehlen. Mit Verlaub: Sigmar Gabriel spinnt, wenn er eine Minderheitsregierung im Bund für eine Option hält. Aber ein gelingendes NRW-Experiment lässt sich natürlich später zur Nutzanwendung anderswo fortspinnen.

Eine Minderheitsregierung ist ja nicht ohne demokratischen Reiz: Wenn Entscheidungen nicht mehr nur am Kabinettstisch getroffen und dann im Parlament einfach abgenickt werden, sondern wenn dort um Mehrheiten gerungen werden muss - dann kann das zur Wiederauferstehung des Parlamentarismus führen; Wert und Bedeutung nicht nur des Parlaments, sondern auch des einzelnen Abgeordneten steigen. Das ist ein achtbares demokratisches Experiment. Es kann das politische Klima im Land verändern.

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