Minderheiten:Plötzlich sprechen alle Kandidaten Spanisch

Die Zuwanderer aus Lateinamerika haben die Schwarzen als wichtigste Minderheit abgelöst - bei der Präsidentenwahl könnten die Latinos den Ausschlag geben.

Von Wolfgang Koydl

(SZ vom 5.2.2004) - Anders als geologische Erschütterungen kündigen sich politische Erdbeben meist schon lange vorher an. Die Vorwahlen in sieben amerikanischen Bundesstaaten waren ein derartiges Vorbeben. Sie haben eine Entwicklung bekräftigt, die schon vor längerem begann und die politische Auswirkungen weit über die Präsidentschaftswahl im kommenden November haben wird: Amerikas Schwarze verlieren als kompakte Wählergruppe an Einfluss, Amerikas Hispanics - die Zuwanderer aus Lateinamerika - gewinnen an Macht.

Demografisch haben die Latinos die Schwarzen schon vor einigen Jahren als stärkste Minderheit vom Spitzenplatz verdrängt: Fast 35 Millionen US-Bürger bezeichneten sich bei der jüngsten Volkszählung als Hispanics. Allmählich wirkt sich dieses Potenzial auch bei Wahlen aus: Staaten wie Arizona, New Mexico, Nevada und Florida mit starken latein-amerikanischen Minderheiten könnten bei der Wahl im November den Ausschlag geben. Al Gore beispielsweise gewann New Mexico 2000 nur denkbar knapp mit 365 Stimmen Vorsprung vor George W. Bush.

Neue Generation von Hispanics

"Die alten Tage, wo sich ein Kandidat nur hinstellen und ein spanisches Duett trällern musste, sind vorbei", erkannte Bill Richardson, der Gouverneur von New Mexico, der trotz seines englischen Namens Latino ist. "Wir haben es mit einer neuen Generation von Hispanics zu tun, die man ansprechen muss." In Arizona und New Mexico gaben die Hispanics den Ausschlag für Kerrys Vorwahl-Sieg.

Nicht nur Amtsinhaber George Bush traktiert seitdem Latinos mit Kostproben seiner Spanisch-Kenntnisse; auch die demokratischen Präsidentschaftsbewerber radebrechen eher schlecht denn recht en espanol, was viele Hispanics freilich als herablassend empfinden. "Ob Demokraten oder Republikaner, sie setzen einen Sombrero auf und sagen Mi casa es tu casa", stöhnt John Ramos aus Phoenix in Arizona. "Aber das kommt nicht an."

Stern der Schwarzen-Bewegung sinkt

Während die Hispanics umworben werden, sinkt der Stern der Schwarzen-Bewegung. Dies liegt unter anderem daran, dass diese Gruppe zunehmend schwieriger einzuordnen ist. Früher waren die Dinge klar: Republikaner konnten sich ohnehin keine Hoffnung auf die Stimmen von Schwarzen machen, Demokraten fühlten sich ihrer Unterstützung ohnehin sicher. Doch mittlerweile liebäugelt eine neue schwarze Mittelklasse mit den Republikanern, und auch andere African Americans wählen nicht mehr allein nach Rassenzugehörigkeit, sondern nach ihren eigenen ökonomischen und sozialen Interessen.

Personifiziert wird der schwindende Einfluss der Schwarzen durch ihren Präsidentschaftskandidaten Al Sharpton. Abgesehen davon, dass auch er von Beruf Prediger ist, verbindet ihn nichts mit dem charismatischen Schwarzenführer Jesse Jackson, dessen Erbe er für sich beansprucht. Doch nicht einmal in South Carolina, wo mehr als 40 Prozent der Wähler schwarz sind, konnte sich Sharpton durchsetzen. Jackson hingegen gewann 1984 und 1988 nicht nur South Carolina und andere Südstaaten, sondern schnitt auch hervorragend in mehrheitlich weißen Staaten wie Maine, Vermont und Minnesota ab. Auf dem Nominierungsparteitag konnte er daher tatsächlich als mächtiger Fürsprecher schwarzer Interessen auftreten.

Schlappe für den selbsternannten Sprecher

Auch Sharpton geht es nicht um die - für ihn völlig aussichtslose - Nominierung als Präsidentschaftskandidat, sondern darum, genügend Delegiertenstimmen für die Parteikonvention im Sommer in Boston zu gewinnen. Zum einen soll ihm dies ein Mitspracherecht auf dem Parteitag sichern, zum anderen will er damit beweisen, dass er der legitime Erbe des legendären schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King ist. Doch die schwarzen Wähler in South Carolina haben ihm seine Grenzen aufgezeigt. Sie wählten mehrheitlich nicht ihn, sondern den Wahlsieger und Südstaatler John Edwards. Sogar der patrizierhafte kühle Neu-Engländer John Kerry erhielt mehr Stimmen von Schwarzen als deren selbst ernannter Sprecher.

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