Minarettverbot: Politische Korrektheit:Ihr könnt aufhören!

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Broder, Sarrazin und Co. schimpfen über die politische Korrektheit der Mainstream-Medien - die gar nicht existiert. Die angebliche Revolution gegen Denkverbote ist nichts anderes als Zeitverschwendung.

Th. Kirchner

Die Diskussion über das Minarettverbot hat einen altbekannten Topos wiederbelebt. Kritiker der Schweizer Entscheidung werden nahezu ausnahmslos einem "politisch korrekten" Lager zugerechnet, das als eine Art "Meinungsmafia" die Deutungshoheit über Gut und Böse beanspruche. Die wahren Verlierer seien die "Appeaser" und die "Gutmenschen", meint Henryk M. Broder, von einer "Heilsarmee" spricht Richard Wagner.

Ein Mann blickt zu einem Minarett hinauf. Das Ergebnis des Schweizer Referendums hat viele Debatten ausgelöst. (Foto: Foto: dpa)

Tausende Kommentatoren des populären Islamhasser-Blogs "Politically Incorrect", der sein Feindbild schon im Namen trägt, pflichten ihnen bei. Höchste Zeit also, den Eiferern zuzurufen: Ihr könnt aufhören, ihr verschwendet eure Zeit, ihr redet ins Leere! Es gibt sie nicht, die politische Korrektheit, und es gibt auch keine Verschwörung der "Mainstream-Medien", die über ihre Einhaltung wacht und Andersdenkende ausblendet. Ihr plappert bloß nach, was einige Agitatoren seit Jahren vorplappern.

Übereifrige Sprachhüter

Vernünftige Menschen fassen den Begriff "politisch korrekt" nur noch mit spitzen Fingern an. Er hatte seine Berechtigung Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre, als er dem Aufstand gegen übereifrige Sprachhüter in den USA das Schlagwort lieh.

Damals glaubten schuldbewusste Vertreter der privilegierten weißen Mehrheit, sie könnten die Diskriminierung von Frauen und Minderheiten stoppen, indem sie Bezeichnungen, die als verletzend empfunden wurden, durch vermeintlich neutrale ersetzten. Fortan sprach man nicht mehr von Indianern und Negern, sondern von "native Americans" und "African Americans".

Der Grundgedanke war nicht falsch, führte aber zu einigen Auswüchsen, etwa wenn aus Blinden "visuell Herausgeforderte" wurden. Der Kampf gegen die Übertreibungen der Political Correctness (PC) ist allerdings längst gewonnen, nicht einmal das feministische Binnen-I hat sich durchgesetzt. Die Denkverbotsschilder, wenn es sie denn gab, sind aus der politischen Landschaft verschwunden, auch in Deutschland. Linke unterstützen Kriegseinsätze, Konservative schaffen Krippenplätze.

Die Rattenfänger

Entsorgt gehört PC aber vor allem, weil der Begriff gekapert, manipuliert, zweckentfremdet wurde. Amerikanische wie europäische Konservative haben ihn zu einer publizistischen Totschlag-Waffe umgerüstet, die vieles auf einmal leistet. Die Mär von den bösen "Gutmenschen", die das freie Denken knechten, setzt denjenigen, der sie verbreitet, moralisch wie rhetorisch in Vorteil. Sie dient aber auch dazu, die Seinen um sich zu scharen.

Das ressentimentsatte, leicht subversive Wir-Gefühl, das PC-Geschwafel erzeugt, kommt Rattenfängern herrlich zupass. Einer, der diesem Trick einen großen Teil seines faszinierenden Aufstiegs verdankt, ist Christoph Blocher. Für seine politischen Gegner hat der Chefstratege der Schweizerischen Volkspartei, der sich geradezu als Personifizierung des Anti-PC sieht, den Ausdruck "Classe Politique" erfunden. Das sind die Eliten und die "feigen" linksliberalen Medien, gegen die Blocher seit Jahren das Volk und dessen "gesunden Menschenverstand" in Stellung bringt.

Nichts als Meinungen

Lässt man den PC-Popanz einfach weg, bleiben Meinungen übrig. Meinungen, die je nach Sichtweise richtig oder falsch sind. Und linksliberale Meinungsmafia? Die Andersdenkenden, die Broders, Maxeiner/Mierschs, Giordanos und Sarrazins, sie sind doch auf allen Kanälen präsent. Sie schreiben in der Welt, reden im Deutschlandfunk, bloggen in ihren Blogs. Es stünde auch jedem frei, gleich morgen eine politisch inkorrekte Zeitung zu gründen.

Wie das geht, hat Roger Köppel, Blochers Bruder im Geiste, mit der Weltwoche vorgemacht, die der eidgenössischen Anti-Minarett-Bewegung den intellektuellen Boden eingezogen hat. Die Anti-PC-Pose ist Köppels publizistisches Credo, aus dem er das Recht, ja die Pflicht ableitet, in fast jeder Ausgabe gegen Ausländer, Schwule, emanzipierte Frauen und apokalyptische Klimaschützer zu polemisieren. Das aber ist keine Revolution gegen vermeintliche Denkverbote, sondern eine Masche. Auf Dauer wird sie langweilig.

© SZ vom 24.12.2009/mati - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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