Süddeutsche Zeitung

Minarett-Verbot in der Schweiz:Straßburg: Kopftuch, Kruzifix und jetzt Minarett

Die Schweizer haben abgestimmt, aber ob das Verbot von Minaretten überhaupt zulässig ist, bleibt zweifelhaft. Der Streit geht jetzt erst richtig los.

Dominik Stawski

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Zwar haben mehr als die Hälfte aller Schweizer abgestimmt, 57,5 Prozent von ihnen für ein Minarett-Verbot. Aber das, was die Schweizer da abgestimmt haben, könnte zu weit gehen. Es könnte die Religionsfreiheit verletzen und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen.

Am Ende dieses Streits werden es vermutlich nicht die Schweizer sein, die entscheiden, sondern die Robe tragenden Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ob die Moscheen in der Schweiz Minarette haben dürfen oder nicht.

Schon vor der Volksabstimmung hatten die Schweizer Regierung und mehrere Religionsgemeinschaften argumentiert, ein Verbot verstoße gegen die Schweizer Verfassung und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Artikel 9 der Konvention hält die Religionsfreiheit fest, Artikel 14 das Diskriminierungsverbot.

Der Rechtsweg steht offen

Die Schweizer Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf, bis zum Sommer 2008 noch selbst Mitglied der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die die Verbotsinitiative vorantrieb, hatte gesagt, ein Minarett-Verbot stehe im Widerspruch zu den Menschenrechten und gefährde den religiösen Frieden. Gegen ein Bauverbot, sagte Widmer-Schlumpf, stehe der Rechtsweg offen. Was passiert, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg das Verbot kippt, ließt die Justizministerin bislang offen: "Das werden wir beantworten müssen, sobald sich die Frage stellt", zitiert sie die Neue Zürcher Zeitung.

Die Frage wird sich wohl bald stellen, denn die Kläger gegen das Verbot bringen sich bereits in Stellung: Die Schweizer Grünen kündigten an, eine Anrufung des Straßburger Gerichts zu prüfen. Und auch von den islamischen Gesellschaften in der Schweiz werden Klagen gegen das Verbot erwartet.

Der Schweizer Staatsrechtsprofessor Rainer Schweizer von der Universität St. Gallen sagte dem Zürcher Tages-Anzeiger / der Berner Zeitung, sollte der Gerichtshof das Verbot kippen, dann würde "die Schweiz den Verbotsartikel ziemlich sicher nicht mehr anwenden". Er sagte aber auch, dass "es mindestens fünf bis sieben Jahre dauern würde, bis der Gerichtshof ein Urteil fällt". Der Rechtsweg führt über kantonale Gerichte und das Schweizer Bundesgericht bis nach Straßburg. Klar sei indes, sagte Schweizer, "dass fertiggebaute Minarette stehen bleiben dürfen".

Im Video: Das in der Volksabstimmung vom Sonntag beschlossene Minarettverbot in der Schweiz hat bei Muslimen und Kirchen für Bestürzung gesorgt.

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Ein Minarett-Verbot "zur Wahrung des Friedens"

Trotz der bestehenden rechtlichen Zweifel wird das Minarett-Verbot umgehend in die Schweizer Verfassung aufgenommen. Der Satz "Der Bau von Minaretten ist verboten" wird Artikel 72, der das Verhältnis zwischen Religion und Staat regelt, ergänzen. Das Bauverbot für Minarette soll darin als "geeignete Maßnahme zur Wahrung des Friedens zwischen den Mitgliedern unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften" festgeschrieben werden. Justizministerin Widmer-Schlumpf sagte nach der Volksabstimmung, der neue Verfassungsartikel sei sofort anwendbar.

Von den Schweizer Bundesrichtern wird nicht erwartet, dass sie sich wegen rechtlicher Bedenken über das Minarett-Verbot hinwegsetzen. "Sie sind ja die obersten Verfassungshüter", sagte Staatsrechtler Schweizer. "Sie können einen Entscheid des Verfassungsgebers selbst kaum in Frage stellen."

Straßburg: Kopftuch, Kruzifix und jetzt Minarett

Den Gang nach Straßburg kann den Gegnern des Minarett-Verbots aber niemand verwehren. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über die Religionsfreiheit abstimmt. Erst vor wenigen Wochen hat das Gericht entschieden, dass Kruzifixe in Schulen gegen das Recht von Eltern verstoßen, ihre Kinder nach eigenen Überzeugungen zu erziehen.

Geklagt hatte eine Frau aus Italien, wo ein Gesetz von 1924 vorschreibt, dass in Schulen die Landesflagge, ein Kreuz und das Foto des Staatsoberhauptes hängen sollen. In Italien gab es daraufhin Aufruhr. Das Urteil stieß nicht nur in der Kirche auf Ablehnung und Bedauern. Italiens Regierung hat Einspruch gegen das Urteil angekündigt.

Vor vier Jahren urteilten die Straßburger Richter über das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten. Sie wiesen die Klage einer türkischen Medizinstudentin ab, die sich durch das Kopftuchverbot in ihrer Religionsfreiheit verletzt sah.

Damals urteilten die Richter, das Verbot des Kopftuchs habe das "legitime Ziel, die Rechte und Freiheiten anderer und die öffentliche Ordnung zu schützen". Es diene dazu, das Recht der Frauen zu stärken und einen weltanschaulich neutralen Lebensstil zu fördern.

Die in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Religionsfreiheit gebe den Gläubigen nach Auffassung der Straßburger Richter nicht das Recht, ihren Glauben in jeder beliebigen Weise auszuüben. Sie ermächtige sie beispielsweise nicht, als gerechtfertigt erkannte Regeln zu missachten. Die Richter sprachen jedem der Europaratsmitgliedstaaten einen Ermessensspielraum zu, wie weit Eingriffe in die Religionsfreiheit nötig sein können. Im konkreten Fall sei das Kopftuchverbot als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" einzustufen.

Jetzt geht es auch um das Selbstverständnis der Schweiz in Europa

Kruzifix, Kopftuch und jetzt Minarette. Schweizer Kommentatoren fürchten bereits einen Eingriff der Straßburger Richter in die Souveränität ihres Staates. "Der Bundesrat muss jetzt Farbe bekennen. Und das kann nur Rot-Weiß sein", kommentiert die rechtskonservative Weltwoche. "Die Landesregierung hat den Auftrag, den Entscheid des Schweizer Volks in Straßburg plausibel zu machen und unsere demokratische Ordnung zu verteidigen." Es werde ums Ganze gehen, schreibt das Magazin, "um die Souveränität und den Selbstbehauptungswillen unseres Staates."

Aus der Schweizer Frage, ob Minarette zulässig sind oder nicht, ist spätestens jetzt auch eine Frage über das Selbstverständnis der Schweiz in Europa geworden.

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