Milliardenprojekt in Stuttgart:Gegner von "Stuttgart 21" wollen Bahn boykottieren

Die Fronten sind verhärteter denn je. Nun wollen die Projektgegner von "Stuttgart 21" die Deutsche Bahn empfindlich treffen: Sie erwägen, einen Boykott auszurufen.

Dagmar Deckstein

Unversöhnlicher denn je stehen sich Gegner und Befürworter des umstrittenen Bahnhofsprojekts "Stuttgart 21" gegenüber, seit es am Donnerstag zu gewaltsamen Szenen nach einem massivem Polizeieinsatz im Schlossgarten gekommen ist. Dabei waren mehrere hundert Demonstranten durch Wasserwerfer, Tränengas und Schlagstöcke verletzt worden. Bahnchef Rüdiger Grube heizte die Empörung der Gegner am Sonntag weiter an, indem er den Demonstranten das Recht zum Widerstand absprach. "Ein Widerstandsrecht gegen einen Bahnhofsbau gibt es nicht", sagte Grube in der Bild am Sonntag.

Schlosspark in Stuttgart

Zwei Bäume im Schlosspark von Stuttgart, die von Stuttgart-21-Gegnern mit Püschtieren und bunten Scheiben geschmückt wurden. 

(Foto: dapd)

Es gehöre zum Kern einer Demokratie, dass politische Beschlüsse akzeptiert und dann auch umgesetzt würden. "Sonst werden bei uns keine Brücke, keine Autobahn und kein Windkraftpark mehr gebaut", sagte Grube. "Bei uns entscheiden Parlamente, niemand sonst." Ähnlich hatte sich der Bahnchef bereits am Samstag in einem Interview der Süddeutschen Zeitung geäußert, als er trotz der massiven Proteste betonte, dass es kein Zurück beim Projekt Stuttgart 21 gebe. "Ich bin sicher, dass der Bahnhof kommt", sagte Grube. "Vermutlich können wir in zehn Jahren Einweihung feiern."

Zugleich hatte er die Eskalation in Stuttgart bedauert und versichert, er sei ein "absoluter Gegner von Gewalt". Aber Demokratie bedeute nicht nur, Entscheidungen zu treffen, sondern auch, getroffene Entscheidungen umzusetzen.

Die Projektgegner erwägen jetzt, einen Boykott der Deutschen Bahn auszurufen. Die Aktion "Tag ohne Bahn" sei aber noch in der Diskussion. "Wir wollen eigentlich die Bahn treffen und nicht die Kunden", sagte Gangolf Stocker, Mitglied im Stuttgarter Stadtrat und Sprecher des Aktionsbündnisses gegen "Stuttgart 21". Über das Recht auf Widerstand bestimme immer noch das Grundgesetz und nicht der Bahnchef. Stocker fügte hinzu: "Das ist Demokratie aus Sicht eines Industriellen."

Seit der Eskalation im Stuttgarter Schlossgarten gerät die schwarz-gelbe Landesregierung immer mehr in Erklärungsnot. Während der Stuttgarter Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und der ebenfalls christdemokratische Landesinnenminister Heribert Rech das harte Vorgehen der Polizei mit der Aggressivität der Demonstranten rechtfertigten, sorgte Rech am Samstag für Verwirrung.

In einem Radiointerview sagte er, er scheue persönlich keinerlei Konsequenzen, sollte sich herausstellen, dass die Polizei unverhältnismäßig agiert habe. Nach einer Sitzung der Koalitionsspitzen am Samstagvormittag ließ Rech seine Aussage relativieren. "Der Innenminister schließt einen Rücktritt aus", verbreitete sein Ministerium. Die Maßnahmen der Polizei seien "erforderlich, rechtmäßig und verhältnismäßig" gewesen.

Seit Sonntag schlägt Mappus allerdings mildere Töne an. Er mahnte, Bilder wie die des vergangenen Donnerstags dürften sich nicht wiederholen, zumal es zwar um eine "außerordentlich wichtige Sachfrage" gehe, über die gestritten werden dürfe, "aber es geht nicht um Krieg oder Frieden". Er nahm auch die Entschuldigung von Grünen-Chef Cem Özdemir an, der zuvor behauptet hatte, Mappus habe bei den Demonstrationen "Blut sehen" wollen. Özdemir bezeichnete seine Wortwahl als unangebracht, er sei eben "fassungslos" nach dem Polizeieinsatz gewesen.

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