Milliarden-Umverteilung zwischen den Bundesländern:Warum der Länderfinanzausgleich so ungerecht ist

Nur wenige durchschauen ihn wirklich. Doch viele streiten über ihn - schließlich geht es um Milliarden, die jedes Jahr zwischen den Bundesländern hin und her verschoben werden. Warum der Länderfinanzausgleich so ungerecht ist - und gleichzeitig so schwer zu reformieren.

Jan Bielicki

Es mögen vielleicht ein paar Dutzend Menschen in Deutschland sein, die sich in diesem Winkel des deutschen Steuerwesens auskennen, den so wenige wirklich begreifen und über den so viele umso heftiger streiten: dem bundesstaatlichen Finanzausgleich. Hanno Kube ist einer von ihnen - und es ist sogar, grob vereinfacht, an seiner Person zu beschreiben, worum es dabei geht.

Länderfinanzausgleich: So verteilen sich die deutschen Steuereinnamen 2011

Länderfinanzausgleich: So verteilen sich die deutschen Steuereinnamen 2011

(Foto: SZ-Grafik: Braun, Mainka)

Kube lehrt Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt. Sein Professorengehalt bezieht er also aus Steuermitteln des Landes Rheinland-Pfalz. Er wohnt jedoch auf der anderen Seite des Rheins und bezahlt dort, in Hessen, auch seine Steuern. Hessen wiederum ist eines der finanzkräftigsten Bundesländer, die Steuerkraft von Rheinland-Pfalz liegt hingegen unter dem Bundesdurchschnitt. Wie also wird das Geld, das der hessische Steuerzahler Kube abführt, so verteilt, dass der rheinland-pfälzische Professor Kube bezahlt werden kann?

So, wie der derzeit geltende Finanzausgleich die Verteilung der Steuermittel unter den Bundesländern vornimmt, sollte es jedenfalls nicht geschehen, davon ist Kube überzeugt. In einem Gutachten, verfasst für die FDP-Landtagsfraktionen von Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, hat er auf 114 Seiten mit 322 Fußnoten dargelegt, warum er das jetzige System für verfassungswidrig hält. Es sei "völlig intransparent", in seinem Aufbau "nicht folgerichtig", Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts würden "schlicht ignoriert", sagt er - und untermauert damit juristisch die in Stuttgart, München und Wiesbaden weit verbreitete Meinung , der Finanzausgleich presse den drei reichen Ländern zu viel des hart verdienten Steuergeldes zugunsten des ärmeren Rests der Republik ab.

Zu wenig Anreize

Es geht schließlich um Milliarden, die umverteilt werden - und die umverteilt werden müssen. Denn die Steuereinnahmen unterscheiden sich regional stark. Thüringen etwa kassierte im vergangenen Jahr von jedem seiner Bürger im Schnitt 730 Euro Steuern, Bayern dagegen zweieinhalbmal so viel, nämlich 1842 Euro, und Hamburg sogar 2241 Euro. Aber damit ärmere Regionen ihren Bürgern die vom Grundgesetz garantierten "gleichwertigen Lebensverhältnisse" bieten können, muss die unterschiedliche Steuerkraft zwischen den Bundesländern ausgeglichen werden.

Wie und in welchem Umfang das geschieht, darum tobt der Streit zwischen Gebern und Nehmern, zwischen Flächenländern und Stadtstaaten fast schon so lange, wie das Gerüst der bundesstaatlichen Finanzverfassung steht. 1969 einigte sich die große Koalition aus Union und SPD mit den Ländern auf jenes Ausgleichssystem, dessen tragende Säulen sich bis heute erhalten haben - über Wiedervereinigung und europäische Integration hinweg. Wie das System blieb sich auch die Kritik daran treu. Der Finanzausgleich nivelliere die Unterschiede zwischen den Ländern zu stark und gebe den einzelnen Landesregierungen zu wenig Anreize, ihre Steuerkraft zu erhöhen, lautet der Hauptvorwurf.

Tatsächlich geht es dem armen Thüringen, dessen Steuerkraft gerade mal bei der Hälfte des Bundesdurchschnitts liegt, fast so gut wie allen anderen Ländern, sobald alle Stufen des Finanzausgleichs durchlaufen sind. Dabei werden zunächst die großen Gemeinschaftssteuern - also Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuern - nach festen Quoten zwischen Bund, Ländern und Kommunen aufgeteilt (siehe Grafik).

Die Länder teilen sich dann ihren Steueranteil nach dem örtlichen Aufkommen, die Umsatzsteuer aber nach Finanzkraft und Einwohnerzahl. Dann erst kommt es zum eigentlichen Länderfinanzausgleich, bei dem reiche Länder an ärmere zahlen - 2011 insgesamt 7,3 Milliarden Euro. Schließlich legt der Bund für die Ärmsten noch sogenannte Bundesergänzungszuweisungen drauf - 2011 gut 12 Milliarden Euro.

Ministerpräsident Kretschmann findet das alte System "völlig bescheuert"

Am Ende des Prozesses lag Thüringens Finanzkraft 2011 nur 1,4 Prozentpunkte unter dem Bundesdurchschnitt. Bayern, vor der großen Umverteilung um fast 30 Punkte finanzkräftiger als der Rest der Republik, lag danach nur noch gut fünf Prozentpunkte über Schnitt. Und von jeder - etwa durch intensivere Betriebsprüfungen - zusätzlich eingenommen Steuermillion bleibt wenig im jeweiligen Land. Der Finanzwissenschaftler Hans Fehr aus Würzburg hat sogar ein Modell entwickelt, das die Veränderungen im Finanzausgleich berechnet, wenn etwa ein Land einen Großbetrieb ansiedelt. Sein Fazit: "Es gibt keine sinnvollen Anreize, das ist das größte Problem."

Was also ändern? Viele in der kleinen Gemeinde der Finanzausgleichsexperten halten das Auslaufen der jetzigen Regeln im Jahr 2019 für eine Chance, den deutschen Föderalismus und seine Finanzierung auf eine ganz neue Grundlage zu stellen. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat das alte System bereits als "völlig bescheuert" bezeichnet; ihm schwebt eher eine Lösung vor, in dem der Bund für den Ausgleich zuständig sein soll.

Vorschläge für eine solche Großreform gibt es viele. Die beiden besonders einträglichen Einnahmequellen Einkommensteuer und Umsatzsteuer könnten jeweils zu einer reinen Bundessteuer sowie einer reinen Ländersteuer umgewidmet werden, womöglich sogar mit eigenem Heberecht. Andere Fachleute hingegen schlagen vor, die Steuererhebung ganz beim Bund zu zentralisieren und den Ländern dann feste Quoten an den Einnahmen zuzugestehen.

Für die Politik stellt sich die Frage, "ob man sich drantraut"

Der Leipziger Finanzwissenschaftler Thomas Lenk verweist darauf, dass die aus den sechziger Jahren stammende Verteilung von Aufgaben und Steuermitteln zwischen Bund, Ländern und Kommunen der Überholung bedarf. Damals gab es kaum Arbeitslose, und die Unterschiede zwischen den Ländern der alten Bundesrepublik waren geringer. Ziel einer Reform müsse sein, "jede Ebene wieder so auszustatten, dass sie ihre Aufgaben erfüllen kann", sagt Lenk. Für die Politik stelle sich freilich die Frage, "ob man sich drantraut".

Die Gelegenheit zu Reformen in irgendeine Richtung sind günstig", glaubt auch die Konstanzer Verwaltungswissenschaftlerin Nathalie Behnke. Sie will Leistungskraft und Eigenverantwortung der Länder stärken und für schwere Notfälle einen Katastrophenfonds einrichten. Behnke will die Umsatzsteuer wenigstens zum Teil nach dem Bedarf der Länder verteilen. Den will sie unter anderem an der Arbeitslosenquote und der Bevölkerungsentwicklung messen lassen. Der besonders umstrittene eigentliche Länderfinanzausgleich soll so überflüssig werden.

Andere Experten zweifeln dagegen daran, ob Reformen des Finanzausgleichs wirklich so weit gehen werden - und überhaupt so weit gehen müssen. "Natürlich stehen wir 2019 vor einem völlig weißen Blatt", sagt Ulrich Häde, Finanzrechtler an der Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder, über das Auslaufen der bisherigen Regeln, "aber es wird darauf kaum etwas völlig Neues geschrieben werden". Tatsächlich begnügen sich sogar die schärfsten politischen Kritiker des Ausgleichs, die nicht zufällig im größten Geberland Bayern sitzen, mit Forderungen, an den Stellschrauben der vorhandenen Maschinerie zu drehen.

Bayern stört die sogenannte Veredelung der Stadtstaaten-Einwohner

Besonders stört die Bayern die sogenannte Veredelung der Einwohner von Stadtstaaten. Wer in Berlin, Hamburg oder Bremen wohnt, ist in den Ausgleichsrechnungen so viel wert wie 1,35 Flächenstaat-Bewohner. Das Privileg wird damit begründet, dass die dichtbesiedelten Städte viele zentrale Einrichtungen auch für Bewohner des weiten Umlandes beherbergen und finanzieren müssten. Und das ist viel wert. Entfiele die Veredelung, würde Berlin statt drei Milliarden Euro nur eine dreistellige Millionensumme aus dem Länderfinanzausgleich bekommen, Hamburg müsste statt 62 Millionen Euro eine gute Milliarde zahlen.

Stoff für harte Verhandlungen zwischen den Ländern sowie zwischen Bund und Ländern gibt es bis 2019 also genug - und am Ende wird wohl kein System stehen, mit dem jeder zufrieden ist. Gesucht sei daher "die Formel, die die Unzufriedenheit am gleichmäßigsten verteilt", sagt Behnke. Aber: "Jeder Landesfinanzminister wird rechnen, was für seinen Haushalt unter Strich rauskommt."

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