Milleniumsziele:Magie der Zahlen

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Die Vereinten Nationen haben versucht, Hunger und Armut einzudämmen - und so für mehr Sicherheit auf der Welt zu sorgen. Einiges ist erreicht. Doch neue Konflikte machen Erfolge zunichte.

Von Andrea Bachstein

Es war der Enthusiasmus zur Jahrtausendwende zu spüren, das irrationale Gefühl, die Zahl 2000 könne magische Kräfte freisetzen, als alle damals 189 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen im September 2000 in New York die Millenniums-Erklärung bestätigten. So viel Unterstützung wurde wohl noch keiner Vision zuteil: Die Welt für alle besser zu machen, universale Hoffnungen, ewige Menschheitsträume zu realisieren.

Inzwischen mussten die Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) fortgeschrieben werden. Noch ehrgeiziger sind sie geworden, umfassender. Nun heißt der Plan Agenda 2030, auch wenn die alten Ziele noch lange nicht alle erreicht sind. Die Millenniums-Erklärung ist als ganz großer Wurf der Menschheit angelegt.

Acht Entwicklungsziele (MDGs) wurden zur Jahrtausendwende identifiziert, die für eine Zukunft mit weniger Leid, mehr Gerechtigkeit und Chancen für alle auf der Welt wichtig sein würden. 15 Jahre später, im Jahr 2015, sollten sie erreicht sein. Vor allem Hunger und extreme Armut sollten überall überwunden, Krankheiten eingedämmt, gar besiegt sein. Weniger Kinder und Mütter sollten sterben. Sauberes Wasser und Grundschulen für alle sollten verfügbar sein, Gleichberechtigung und Umweltschutz wollte man voranbringen. Alles drückende Sorgen, große Probleme, die sich gegenseitig bedingen und wesentlich sind für Frieden und Sicherheit. "Auch in den ärmsten Ländern" könnten diese Ziele erreicht werden, steht in der Abschlusserklärung.

Es gab und gibt Kritik: Die Ziele seien zu unverbindlich, die Kriterien nicht überall anwendbar, Umweltschutz komme zu kurz. Geradezu zynisch sei es, die absolute Armutsgrenze bei 1,25 Dollar Einkommen am Tag zu definieren. Kofi Annan, damals UN-Generalsekretär, sagte: "Jetzt müssen wir die Ärmel hochkrempeln." Was im Jahr 2000 keiner ahnte: 15 Jahre später würden 60 Millionen Menschen auf der Flucht sein, vor allem vor bewaffneten Konflikten. Hier findet die Entwicklungspolitik ihren größten Feind. Keiner wusste, wie viel Kräfte und Geld etwa wegen des Syrienkriegs für Nothilfe aufgewendet werden würden - Geld, das nun nicht für langfristige Ziele ausgegeben werden kann. Keiner ahnte, dass im Sudan und Südsudan noch immer gekämpft würde und Millionen dort von Hunger bedroht sein würden.

Vergangenes Jahr wurden beim Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung 17 neue Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs) beschlossen. Gleichzeitig war Bilanzzeit für das Jahrtausendwendeprojekt. Wie nahe war die Realität den Menschheitsträumen gekommen? Die Antwort: mal näher und mal ferner, und besonders weit entfernt blieb sie im südlichen Afrika und in Südasien. Erreicht ist laut Statistik das erste Ziel, die extreme Armut zu halbieren: Seit 1990 ist die Zahl der Menschen, die mit weniger als 1,25 Dollar am Tag leben, von 1,9 Milliarden auf 863 Millionen gefallen. Der Anteil der Menschen, die Hunger leiden, sollte halbiert werden. In den Entwicklungsländern ist dieses Ziel fast erreicht, von 23,3 Prozent 1990 fiel ihr Anteil auf 12,9 . Aber noch immer sind fast 800 Millionen vom Hunger bedroht. Gleichzeitig gefährden Konflikte und Klima die Fortschritte bei der Ernährungssicherung. In den Entwicklungsländern, wo 47 Prozent der Menschen extrem arm waren, sind noch 14 Prozent vom Hunger bedroht. Kritiker sagen, das Ergebnis sei durch Berechnungsmethoden geschönt.

Gut sieht es aus beim zweiten Ziel: Grundschulbildung für alle. 1990 gingen mehr als 100 Millionen Kinder nicht zur Schule, geschätzte 57 Millionen waren es 2015. Subsahara-Afrika holte am meisten auf. Dort stieg der Anteil der Schüler von 52 Prozent auf 80 Prozent, trotz großen Bevölkerungswachstums. Größtes Hindernis für Schulbesuche sind kriegerische Konflikte.

Bei der Gleichstellung der Geschlechter, drittes MDG, ist die Bilanz gemischt. Viel mehr Mädchen gehen zur Schule, in Entwicklungsländern ist gar Gleichstand erreicht. In Südasien kamen 1990 auf 100 Jungen 74 Mädchen, nun 103. Wenig ging aber in der Arbeitswelt voran: 1990 machten Frauen 35 Prozent der bezahlten Arbeitskräfte in der Landwirtschaft aus, nun 41 Prozent. Und in Südamerika stieg der Anteil der Frauen unter den Armen.

Beim vierten Ziel - Reduzierung der Kindersterblichkeit um zwei Drittel - gibt es besonders große Probleme. Gelungen ist es nur, die Sterblichkeit der unter Fünfjährigen zu halbieren, von 90 je 1000 Kinder auf 43. Trotz Bevölkerungswachstums fiel die Zahl gestorbener Kinder bis fünf Jahre von 12,7 Millionen 1990 weltweit auf sechs Millionen. Dennoch sterben jeden Tag noch fast 16 500 Kleinkinder an Infektionen, verdorbenem Wasser oder schlechter Nahrung. Immerhin beschleunigt sich die Rate, mit der die Kindersterblichkeit sinkt. Die Erfolge haben viel mit dem medizinischen Fortschritt zu tun. Masernimpfungen erreichen jetzt 84 Prozent der Kinder, das hat 15,6 Millionen Leben gerettet zwischen 2000 und 2013. Kindersterblichkeit und Müttersterblichkeit gehören zueinander. Entwicklungsziel Nummer fünf, ihre Sterblichkeitsrate um drei Viertel zu senken, ist nicht erreicht. Starben 1990 bei je 100 000 Geburten 380 Mütter, waren es 2013 noch 210.

Ziel 6: HIV/Aids, Malaria und andere schwere Krankheiten sollen eingedämmt werden. Um 40 Prozent sanken HIV-Neuinfektionen, aus 3,5 Millionen Fällen wurden 2,1 Millionen. 13,6 Millionen Menschen erhielten antivirale Therapien, 2003 waren es 800 000. Sechs Millionen Aidstote wurden so zwischen 1995 und 2013 verhindert. Sehr erfolgreich ist auch die Malariabekämpfung .

Die Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit, MDG 8, ist wenig präzise formuliert. Von Umwelt-, Arten und Ressourcenschutz bis zum Zugang zu sauberem Wasser und dem Rückbau von Slums reicht die Agenda. Dass ozonschädliche Substanzen seit 1990 fast abgeschafft sind und die Ozonschicht sich erholt, gilt als Durchbruch. Aber CO₂-Emissionen stiegen von 1990 bis 2012 um die Hälfte. Es gehen weniger Waldflächen verloren als in den 1990er-Jahren, aber immer noch zu viele. Die Fischbestände werden weniger. Zu sauberem Trinkwasser hatten 2015 immerhin 91 Prozent der Menschen Zugang, 76 Prozent waren es 1990 - hier war die Millenniumsvorgabe schon 2010 erreicht. Halb so viele Menschen wie 1990 müssen ihre Notdurft im Freien verrichten, aber weiter hat ein Drittel der Menschen keinen Zugang zu verbesserten Sanitäreinrichtungen - das Teilziel ist verfehlt. Der Anteil derer, die in Entwicklungsländern in Slums leben, verringerte sich um zehn auf knapp 30 Prozent, aber die Zahl der Menschen in Slums stieg auf etwa 900 Millionen.

Weltweite Entwicklungspartnerschaften aufzubauen war das achte Millenniumsziel. Dazu gehören: Handels- und Finanzsysteme, die nicht diskriminieren, Schuldenerleichterung, Zusammenarbeit, Zugang zu erschwinglichen Medikamenten und neuen Technologien. Die öffentliche Entwicklungshilfe stieg seit 2000 von 81 auf 135 Milliarden Dollar. Die in den MDGs angestrebten Ausgaben von 0,7 Prozent der Bruttonationaleinkommen für Entwicklungszwecke haben aber viele Länder, auch Deutschland, nicht verwirklicht. Auf 84, respektive 79 Prozent stiegen die zollfreien Importe aus den am wenigsten entwickelten Ländern und Entwicklungsländern seit 2000. Ihre Schuldenlast sank von 2000 bis 2013 von zwölf auf 3,1 Prozent.

© SZ vom 10.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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