Militanter Islamismus:Mythos al-Qaida

Misst man den Erfolg von Terror in Einheiten von Schrecken und Zerstörung, ist al-Qaida erfolgreich. Blickt man dagegen auf ihr eigentliches Ziel - die Errichtung eines Kalifats - wird deutlich: Al-Qaida erreicht nichts. Außer den Tod.

Nicolas Richter

Al-Qaida hat es nie gereicht, andere Staaten anzugreifen, al-Qaida wollte immer selbst ein Staat sein. Dieses "Kalifat" sollte im Mittleren Osten entstehen und jene Diktaturen ersetzen, gegen die Osama bin Laden und sein Gefährte Aiman al-Zawahiri immer gekämpft hatten. Aus ihrer Sicht entschied über den Erfolg des Dschihad am Ende nur diese Frage: Würde es ihnen gelingen, dem militanten Islamismus eine Heimat zu geben?

Militanter Islamismus: Al-Qaida gibt jungen empörten Männern etwas, für das es sich zu sterben und zu töten lohnt - ein Zuhause bietet sie nicht.

Al-Qaida gibt jungen empörten Männern etwas, für das es sich zu sterben und zu töten lohnt - ein Zuhause bietet sie nicht.

(Foto: AFP)

Der Misserfolg dieser Idee hat sich lange vor dem Tod Osama bin Ladens abgezeichnet. Im Westen neigte man dazu, dies zu übersehen: Jeder neue Terroranschlag verstärkte das Gefühl, al-Qaida sei überall. Im Jahr 2005 etwa - der Terror in den USA, auf Djerba, in Madrid war kaum vergessen - schlugen Extremisten in London zu, im Irak, in Scharm el-Scheich. Doch in dieser Fülle von Brutalitäten manifestierte sich bereits das Fehlen jeder Strategie. Wenn al-Qaida überhaupt Einfluss auf diese Taten hatte - was konnte sie damit erreichen? Viele Tote, gewiss. Viel Schrecken. Und sonst?

Al-Qaida hat etliche Staaten vor Sicherheitsprobleme gestellt, ein strategisches Problem aber war sie nie. Nicht einmal im Irak, wo sie zeitweise so tat, als werde ihr Terror die Amerikaner vertreiben und das Kalifat erschaffen. Stattdessen töteten Qaida-Anhänger wahllos, Schiiten und Sunniten. Wer war denn eigentlich der Feind, und wer der Freund?

Völlig abwegig ist die Idee vom Kalifat nicht: Schließlich kontrolliert die islamistische Hamas den Gaza-Streifen, die Hisbollah den Süden des Libanon. Aber diese Organisationen sind von unten gewachsen, im Volk verwurzelt, bieten den Menschen jenseits kühner Visionen auch, ganz schlicht, soziale Dienstleistungen. Deswegen gewinnen sie sogar Wahlen.

Weit weg von den Menschen

Al-Qaida ist dagegen weit weg von den Menschen. Sie lockt zornige Männer mal nach Afghanistan, mal für Anschläge nach Amerika, aber ein Zuhause kann sie nicht bieten. Losgelöst von den alltäglichen Sorgen der muslimischen Völker spielt al-Qaida ein "apokalyptisches Videospiel", wie der französische Experte Olivier Roy es nennt. Man kann junge Krieger in die Ferne holen, um zu kämpfen; eine Massenbewegung wird daraus nur, wenn man ihnen für die Zeit danach eine bessere Heimat versprechen kann.

Militanter Islamismus: Bitte klicken Sie auf die Grafik, um mehr über al-Qaida und seine Kooperationspartner in aller Welt zu erfahren.

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Auch für Aiman al-Zawahiri, der nun allein an der Spitze al-Qaidas steht, war der Terror anfangs kein Selbstzweck. Er hatte seine Heimat Ägypten verlassen, weil das Regime dort zu stark war. Zawahiri dachte, der Kampf gegen Russen und Amerikaner, der Terror weltweit werde seine Bewegung so beflügeln, ihr so viel Geld und so viele Kämpfer bescheren, dass sie die Diktatur in Nordafrika wegfegen würde. Nichts dergleichen ist geschehen. Zawahiri ist seit Jahren auf der Flucht, das Regime in Ägypten ist gefallen, ohne ihn. Seine Landsleute hoffen auf Demokratie, nicht auf sein Kalifat.

Die Attraktivität al-Qaidas wird abnehmen

Wenn man den Erfolg von Terror nur in Einheiten von Tod und Zerstörung misst, dann ist al-Qaida erfolgreich. Sie hat vor allem die Amerikaner zu furchtbaren Fehlern verleitet, die Regierung Bush erfand Guantanamo, rettete sich in Folter und einen herbeigelogenen Krieg.

Al-Qaida hat Einfluss, und ihr Grundmuster wird überleben, in Ägypten wie in Düsseldorf: Junge Männer, die empört sind über die Unterdrückung der Muslime, oder die sich bloß unwohl fühlen in ihrer Haut, entdecken etwas, für das es sich zu sterben und zu töten lohnt. Diese Idee wird auch künftig verfangen, wird als pathologische Begleiterscheinung der Globalisierung überleben.

Aber ihre Attraktivität wird abnehmen, je offensichtlicher wird, dass damit außer Tod nichts zu erreichen ist. Die Qaidisten haben kein Regime gestürzt, keinen Diktator bekehrt, haben großen Teilen der muslimischen Welt kein Mehr an Selbstachtung geschenkt. Es mag sein, dass es in der Diktatur keine andere politische Ausdrucksform gibt als den islamitischen Terror. In Nordafrika verliert al-Qaida nun auch diese Exklusivität.

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