Militärputsch in der Türkei:Auf den Putschversuch in der Türkei folgt die Gewalt hinter Gittern

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Am Tag nach dem gescheiterten Staatsstreich führen türkische Polizisten des Putschversuchs verdächtigte Soldaten ab. In der Haft sollen viele von ihnen misshandelt worden sein, berichtet Human Rights Watch. (Foto: Ozan Kose/AFP)

Schläge, Folter, angedrohte Vergewaltigungen: Nach dem gescheiterten Putsch wurden zahlreiche Verdächtige misshandelt, berichtet Human Rights Watch.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erhebt schwere Vorwürfe gegen die türkische Polizei. Nach dem Putschversuch vom 15. und 16. Juli 2016 sollen Verdächtige in Polizeigewahrsam bedroht, misshandelt und gefoltert worden sein. In einem 43 Seiten langen Bericht listet Human Rights Watch Missstände auf und zeichnet nach, wie die Rechte von Festgenommenen unter dem verhängten Ausnahmezustand Schritt für Schritt ausgehöhlt worden seien.

Der Bericht trägt den Titel "Ein Blankoscheck" und geht auf Interviews mit 40 Anwälten, Menschenrechtsaktivisten, Ex-Gefangenen, Angehörigen sowie medizinischem Personal zurück, die HRW im August und September geführt hatte. Anhand von 13 Beispielen kritisieren die Autoren die Zustände im türkischen Polizeigewahrsam nach dem Putschversuch.

Die Nichtregierungsorganisation wirft den Behörden vor, unter dem im Juli verhängten Ausnahmezustand Schutzmaßnahmen gegen Folter außer Kraft gesetzt und Kontrollinstanzen aufgelöst zu haben. Die Regierung habe "einen Blankoscheck" ausgestellt, der es nun erlaube, Festgenommene zu foltern oder zu misshandeln, wie es dem türkischen Vollzug gefalle, kritisiert Hugh Williamson, der für Europa und Zentralasien zuständige Direktor.

Seit dem Putschversuch ermitteln die Behörden gegen mehr als 70 000 Menschen, mehr als 32 000 Männer und Frauen sind offiziellen Zahlen zufolge festgenommen worden. Der Bericht legt besonderes Augenmerk auf die Zeit des Polizeigewahrsams. Der Ausnahmezustand erlaubt es den Behörden, Verdächtige bis zu 30 anstatt bisher maximal vier Tage lang festzuhalten, ohne sie einem Haftrichter vorführen zu müssen. Gerade in dieser Zeit komme es laut Bericht zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen.

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Ein Offizier soll 36 Stunden mit gefesselten Händen auf dem Boden gekniet haben

Zwar betont HRW, dass die Türkei nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht habe, den Putschversuch aufzuarbeiten und Täter zu verfolgen. Das Folterverbot habe allerdings auch in Kriegszeiten und in Zeiten des Ausnahmezustands Gültigkeit.

Die Informationen, die HRW zusammengetragen hat, zeichnen jedoch für die Türkei ein anderes Bild. Unter Berufung auf einen Gerichtsmediziner schildert die Organisation, wie ein gefangener Offizier gezwungen worden sei, 36 Stunden mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf dem Boden zu knien. Wann immer er sich bewegt habe, hätten Polizisten ihn mit einem Gürtel geschlagen. Der Gerichtsmediziner wird in dem Bericht mit den Worten zitiert, es habe keine Stelle an seinem Körper gegeben, die nicht mit Blutergüssen bedeckt gewesen sei.

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HRW berichtet weiter von Festgenommenen, die mit Stöcken und Fäusten malträtiert und teils schwer verletzt worden seien. Andere seien mit der Drohung, Familienangehörige zu vergewaltigen, zu Geständnissen gezwungen worden. HRW berichtet von einem "Klima der Angst".

Gefangenen werde der Kontakt zu Anwälten erschwert oder verweigert - ein weiterer Kritikpunkt von HRW. Unter dem Ausnahmezustand könnten Anwaltsgespräche bis zu fünf Tage aufgeschoben werden. Die Nichtregierungsorganisation berichtet von Fällen, in denen Verdächtigte zehn, im Fall eines Uni-Angestellten auch 20 Tage lang keinen Rechtsanwalt sprechen konnten.

Mittlerweile hätten Gefangene Probleme, überhaupt noch Anwälte zu finden. Manche hätten Angst, selbst in den Fokus der Ermittler zu geraten, wenn sie angebliche Terroristen verteidigen würden. Als solche bezeichnet die Regierung mutmaßliche Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, den Ankara für den Putschversuch verantwortlich macht.

Pflichtverteidiger berichteten HRW, sie wollten ihre Jobs möglichst schnell erledigen. Vertrauliche Gespräche mit Anwälten scheinen laut Bericht kaum mehr möglich zu sein - oftmals würden Polizisten mit im Raum sitzen, Gespräche würden teils aufgezeichnet und gefilmt. Eine Anwältin gab an, sie habe zwar alleine mit ihrem Mandanten im Zimmer sitzen können, allerdings habe die Tür offen bleiben müssen. Sie schmuggelte ihre Aufzeichnungen im BH aus dem Gefängnis, weil sie in anderen Fällen erlebt hätte, wie solche Notizen hinterher überprüft worden sein.

Eine Pflichtverteidigerin berichtet laut HRW, wie sie Zeuge geworden sei, als ihr Mandant geschlagen worden sei. Sie hätte jedoch in der Situation nicht den Mut aufgebracht, einzuschreiten und dies in den Protokollen vermerken zu lassen. Medizinische Berichte, die Misshandlungen belegen könnten, würden Anwälten mit Verweis auf Geheimhaltung bei den Ermittlungen vorenthalten.

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Seit dem Putschversuch sind die Gefängnisse überfüllt

HRW ist nicht die einzige Organisation, die von solchen Missständen berichtet. Die türkische Menschenrechtsorganisation IHD benennt einige Fälle von Suiziden in türkischen Haftanstalten nach dem Putschversuch. Die Gefängnisse sind seit der Verhaftungswelle komplett überfüllt. Insassen berichten, dass sie in Schichten schlafen müssten, weil es an Platz und Betten fehle. Die größte Oppositionspartei CHP spricht in einem ihrer Berichte von "systematischen Folterungen".

Die regierenden AKP hat Vorwürfe über systematische Folterungen bislang zurückgewiesen. Dass es zu Misshandlungen gekommen sei, leugnet sie aber nicht. Am Wochenende des Putsches habe sich die Gewalt auf den Straßen auch gegen die Putschisten gerichtet - daher rührten die Verletzungen vieler Festgenommener, die in jenen Tagen im Fernsehen regelrecht zur Schau gestellt worden waren.

Mustafa Yeneroğlu, AKP-Politiker und Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament, erklärte erst kürzlich, die Aggressionen hätten geendet, nachdem die öffentliche Ordnung wiederhergestellt worden sei. Sobald Fälle von Misshandlungen bekannt würden, würden diese verfolgt und zur Anzeige gebracht.

Organisationen wie HRW genügt das nicht. In einem offenen Brief fordern sie die Regierung auf, die unter dem Ausnahmezustand ausgesetzten Rechte der Gefangenen umgehend wieder in Kraft zu setzen und unabhängigen Beobachtern Zugang auch zu den Gefängnissen zu ermöglichen, um den Vorwürfen nachzugehen.

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