Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erhebt schwere Vorwürfe gegen die türkische Polizei. Nach dem Putschversuch vom 15. und 16. Juli 2016 sollen Verdächtige in Polizeigewahrsam bedroht, misshandelt und gefoltert worden sein. In einem 43 Seiten langen Bericht listet Human Rights Watch Missstände auf und zeichnet nach, wie die Rechte von Festgenommenen unter dem verhängten Ausnahmezustand Schritt für Schritt ausgehöhlt worden seien.
Der Bericht trägt den Titel "Ein Blankoscheck" und geht auf Interviews mit 40 Anwälten, Menschenrechtsaktivisten, Ex-Gefangenen, Angehörigen sowie medizinischem Personal zurück, die HRW im August und September geführt hatte. Anhand von 13 Beispielen kritisieren die Autoren die Zustände im türkischen Polizeigewahrsam nach dem Putschversuch.
Die Nichtregierungsorganisation wirft den Behörden vor, unter dem im Juli verhängten Ausnahmezustand Schutzmaßnahmen gegen Folter außer Kraft gesetzt und Kontrollinstanzen aufgelöst zu haben. Die Regierung habe "einen Blankoscheck" ausgestellt, der es nun erlaube, Festgenommene zu foltern oder zu misshandeln, wie es dem türkischen Vollzug gefalle, kritisiert Hugh Williamson, der für Europa und Zentralasien zuständige Direktor.
Seit dem Putschversuch ermitteln die Behörden gegen mehr als 70 000 Menschen, mehr als 32 000 Männer und Frauen sind offiziellen Zahlen zufolge festgenommen worden. Der Bericht legt besonderes Augenmerk auf die Zeit des Polizeigewahrsams. Der Ausnahmezustand erlaubt es den Behörden, Verdächtige bis zu 30 anstatt bisher maximal vier Tage lang festzuhalten, ohne sie einem Haftrichter vorführen zu müssen. Gerade in dieser Zeit komme es laut Bericht zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen.
Ein Offizier soll 36 Stunden mit gefesselten Händen auf dem Boden gekniet haben
Zwar betont HRW, dass die Türkei nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht habe, den Putschversuch aufzuarbeiten und Täter zu verfolgen. Das Folterverbot habe allerdings auch in Kriegszeiten und in Zeiten des Ausnahmezustands Gültigkeit.
Die Informationen, die HRW zusammengetragen hat, zeichnen jedoch für die Türkei ein anderes Bild. Unter Berufung auf einen Gerichtsmediziner schildert die Organisation, wie ein gefangener Offizier gezwungen worden sei, 36 Stunden mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf dem Boden zu knien. Wann immer er sich bewegt habe, hätten Polizisten ihn mit einem Gürtel geschlagen. Der Gerichtsmediziner wird in dem Bericht mit den Worten zitiert, es habe keine Stelle an seinem Körper gegeben, die nicht mit Blutergüssen bedeckt gewesen sei.
HRW berichtet weiter von Festgenommenen, die mit Stöcken und Fäusten malträtiert und teils schwer verletzt worden seien. Andere seien mit der Drohung, Familienangehörige zu vergewaltigen, zu Geständnissen gezwungen worden. HRW berichtet von einem "Klima der Angst".
Gefangenen werde der Kontakt zu Anwälten erschwert oder verweigert - ein weiterer Kritikpunkt von HRW. Unter dem Ausnahmezustand könnten Anwaltsgespräche bis zu fünf Tage aufgeschoben werden. Die Nichtregierungsorganisation berichtet von Fällen, in denen Verdächtigte zehn, im Fall eines Uni-Angestellten auch 20 Tage lang keinen Rechtsanwalt sprechen konnten.