Militäroffensive in Syrien:Dschisr al-Schughur wieder in der Hand von Assads Truppen

Mit massiver Gewalt sind syrische Regierungstruppen in die Rebellenhochburg Dschisr al-Schughur einmarschiert. Nach heftigen Gefechten brachten Assads Truppen die Stadt offenbar wieder unter ihre Kontrolle. Nach offiziellen Angaben wurden zwei Oppositionelle getötet. Tausende Syrer sind auf der Flucht.

Syrische Sicherheitskräfte haben die Stadt Dschisr al-Schughur gestürmt, die ein Brennpunkt der Proteste gegen Präsident Baschar al-Assad ist. Wie das syrische Staatsfernsehen berichtete, rückten die Truppen am Sonntag in die seit Tagen belagerte Stadt im Nordwesten des Landes ein, "um bewaffnete Banden zu vertreiben". Die Protesthochburg im Nordwesten des Landes sei wieder unter der Kontrolle von Assads Truppen, meldete der Sender.

Militäroffensive in Syrien: Syrische Kinder in einem Flüchtlingslager in der Türkei: Tausende Syrer sind in den vergangenen Tagen vor den herannahenden Truppen von Machthaber Baschar al-Assad in das nördliche Nachbarland geflohen.

Syrische Kinder in einem Flüchtlingslager in der Türkei: Tausende Syrer sind in den vergangenen Tagen vor den herannahenden Truppen von Machthaber Baschar al-Assad in das nördliche Nachbarland geflohen.

(Foto: AP)

Die Soldaten stießen bei ihrem Einmarsch in die Stadt den Berichten zufolge auf heftige Gegenwehr. Zwei Angehörige "bewaffneter Gruppen" seien getötet und zahlreiche weitere festgenommen worden. Der britische Sender BBC berichtete von drei Toten. Etwa 200 Panzer waren an der Operation beteiligt, Hubschrauber kreisten über dem Ort. Zudem nahmen die Truppen die Kleinstadt mit Artillerie unter Beschuss.

Syrische Oppositionelle sprachen von einer massiven Militäraktion. In den Straßen der Stadt feuerten die Soldaten Maschinengewehrsalven ab, sagten Einwohner. Zuvor sei die Stadt wahllos von Panzern beschossen worden. Flüchtlinge berichteten von getöteten Zivilisten. Zudem hätten Soldaten umliegende Felder zerstört sowie Kühe und Schafe getötet. Die meisten der 50.000 Einwohner waren bereits in den vergangenen Tagen aus Furcht vor den heranrückenden Truppen geflohen.

Derweil versucht die Regierungen offenbar auch, das syrische Volk politisch zu destabilisieren: Das auf Geheiß von Präsident Baschar al-Assad kürzlich gegründete Komitee zur Ausarbeitung eines neuen Parteiengesetzes habe festgestellt, dass es den Syrern insgesamt an "politischer Kultur" mangele, schrieb. die regierungsamtliche Zeitung Al-Thawra. Welche Schlüsse das Komitee aus dieser Feststellung ziehen will, blieb unklar.

Die Formulierung eines neuen Parteiengesetzes, das für mehr Pluralismus sorgen soll, war über viele Jahre eine der Hauptforderungen der syrischen Opposition. Um die Mitte März begonnenen Proteste im Land einzudämmen, hatte Assad versprochen, diesen Prozess zu beschleunigen.

Während sich in Syrien die Konfliktparteien immer heftiger bekämpfen, ringt die internationale Gemeinschaft um eine gemeinsame Position, das Vorgehen von Präsident Assad und seines Regimes zu verurteilen.

Humanitäre Krise

Die USA forderten Assad auf, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) "sofortigen und ungehinderten Zugang" zu Kampfgebieten in Nordsyrien zu gewähren, um Verletzten, Gefangenen und Flüchtlingen helfen zu können.

Niedergebrannte Felder, ausgerissene Olivenbäume

Das Vorgehen der syrischen Regierung habe eine humanitäre Krise verursacht, hieß es in einer Erklärung des Weißen Hauses. Die Gewalt müsse eingestellt werden. Es gebe keine Entschuldigung für eine Verweigerung humanitärer Hilfe für die Opfer durch eine neutrale Einrichtung wie das IKRK. "Wenn die syrischen Führer diesen Zugang nicht gewähren, werden sie dadurch einmal mehr ihre Verachtung für die Würde des syrischen Volkes zeigen", hieß es in der Erklärung.

Zu einem Ende der Gewalt gegen Demonstrantenhat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den syrischen Präsidenten aufgefordert. Er habe mehrfach mit Assad gesprochen und ihn aufgefordert, auf die Menschen zu hören und den Willen des Volkes zu respektieren, sagte Ban während eines Besuchs in Kolumbien. "Ich bin tief besorgt und traurig, dass so viele Menschen bei friedlichen Demonstrationen getötet wurden", erklärte Ban. Er habe Assad aufgefordert, ein UN-Team einreisen zu lassen, um den Menschen zu helfen.

Auch die Europäische Union ist besorgt über die Lage in Syrien. "Ich bin zutiefst beunruhigt über die Verschlechterung der humanitären Situation durch das Vorgehen der syrischen Behörden", sagte EU-Außenministerin Catherine Ashton in Brüssel. Sie forderte die syrische Regierung auf, Menschenrechtsbeobachtern und Hilfsorganisationen "unverzüglich einen ungehinderten Zugang zu gewähren".

Die EU strebt Ashton zufolge zusammen mit internationalen Partnern einen Sicherheitsrats-Beschluss gegen die Unterdrückung in Syrien an. In dem Nahost-Land müsse auf die legitimen Forderungen der Menschen eingegangen werden. Bundesaußenminister Guido Westerwelle fordert angesichts der Eskalation in Syrien eine klare Reaktion des Weltsicherheitsrats. In Syrien drohe eine humanitäre Krise, sagte er in Berlin. Westerwelle forderte die Regierung in Damaskus auf, "die Gewalt umgehend zu stoppen und den Zugang für humanitäre Hilfe und Helfer in die Krisengebiete zu ermöglichen". Die gefährliche Situation mache eine klare Reaktion des UN-Sicherheitsrates umso dringlicher.

Der australische Außenminister Kevin Rudd verlangte, dass der UN-Strafgerichtshof in Den Haag das brutale Vorgehen des syrischen Präsidenten untersucht. "Genug ist mehr als genug", sagte Rudd der BBC. "Es ist an der Zeit, dass der Weltsicherheitsrat erörtert, das Strafgericht mit Baschar al-Assad und anderen Mitgliedern des Regimes zu befassen."

Im Vorfeld der Stürmung von Dschisr al-Schughur hatte Assads Armee bereits am Samstag ein unterhalb der Ortschaft gelegenes Dorf mit 40 Panzern angegriffen. Dabei hätten sie mitten in die Häuser geschossen, sagte ein Augenzeuge der BBC. Wie viele Tote es gegeben habe, konnte er nicht sagen. Jedoch habe er beobachtet, wie die Soldaten Felder niederbrannten und Olivenbäume ausrissen, um den Überlebenden jede Lebensgrundlage zu nehmen. Von unabhängiger Seite können diese Berichte nicht überprüft werden, weil das Regime keine unabhängigen Medien im Land zulässt.

Das Militär hatte in der nordwestlichen Region Syriens eine Offensive gestartet, nachdem in der vergangenen Woche in Dschisr al-Schughur 120 Soldaten getötet worden waren. Einwohnern zufolge war es zu einer Meuterei unter den Truppen gekommen, weil einige Soldaten nicht auf demonstrierende Regierungsgegner schießen wollten. Die Führung in Damaskus machte dagegen bewaffnete Banden für den Tod der Soldaten verantwortlich und entsandte neue Truppen.

Augenzeugen zufolge flohen inzwischen mehr als 5000 Syrer über die nahe gelegene Grenze in die Türkei. Tausende weitere drängten sich auf syrischer Seite im Grenzgebiet, um bei Angriffen ins Nachbarland zu entkommen.

Nach Darstellung der Opposition haben syrische Sicherheitskräfte seit März 1300 Zivilisten getötet. In einer Erklärung forderte die wichtigste Oppositionsgruppe, die Lokalen Koordinierungsausschüsse, Präsident Baschar al-Assad zum Rücktritt auf. Die Macht müsse an die Armee abgegeben und das Land zu einer Demokratie werden. Eine international überwachte Konferenz solle binnen sechs Monaten eine neue Verfassung erarbeiten. Es müsse verhindert werden, dass Syrien ins Chaos stürze, erklärte die Opposition weiter. Seit Beginn der Proteste seien mehr als 10.000 Syrer festgenommen worden.

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