Militärischer Abschirmdienst:Die Geheimen von der Truppe

Der Militärische Abschirmdienst kämpft um seinen Ruf. Wegen seiner ungeklärten Rolle bei Ermittlungen in der Thüringer Neonazi-Szene steht er in der Kritik. Die FDP möchte den Nachrichtendienst der Bundeswehr abschaffen, die Regierung hält ihn für unentbehrlich - wird der MAD noch gebraucht?

Peter Blechschmidt, Berlin

Der Kamerad fiel auf, weil er seine Zähne mit einem Holzstäbchen reinigte, statt eine handelsübliche Zahnbürste zu benutzen. Sein merkwürdiges Verhalten weckte Misstrauen bei den anderen Soldaten der Bundeswehr-Kompanie. Sie meldeten ihre Beobachtung dem Militärischen Abschirmdienst (MAD). Der Geheimdienst der Bundeswehr warnt seit geraumer Zeit vor der Gefahr, dass die Streitkräfte von islamistischen Extremisten unterwandert werden, und er mahnt die Soldaten zu erhöhter Wachsamkeit. Der MAD nahm den Soldaten mit den ausgefallenen Hygienemethoden, der sogar zum Einsatz als Personenschützer vorgesehen war, unter die Lupe. Er wurde observiert, man beobachtete ihn, wie er regelmäßig eine Moschee aufsuchte und sich mit Leuten traf, die als extremistisch galten. Damit war der Mann ein Sicherheitsrisiko; er wurde aus der Bundeswehr entlassen.

Für die Verantwortlichen des MAD ist das eine Erfolgsgeschichte. Eine, die keine Schlagzeile produziert, eine, die nicht einmal von der Politik wahrgenommen wird. Der MAD erfreut sich in diesen Tagen einer ungewöhnlichen, aber aus seiner Sicht leider negativen Aufmerksamkeit. Seine bislang nicht aufgeklärte Rolle bei Ermittlungen in der Thüringer Neonazi-Szene, aus der auch die Mörder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) hervorgegangen sind, hat Forderungen nach seiner Abschaffung neuen Auftrieb gegeben. Zuletzt war es die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die den MAD für überflüssig befand.

Die Liberalen haben den Geheimdienst der Bundeswehr seit Langem im Visier. Eine Übernahme seiner Tätigkeiten durch den Verfassungsschutz "drängt sich geradezu auf", heißt es in einem Beschluss der FDP-Bundestagsfraktion vom März 2011. "Im Inland gibt es viel Doppelarbeit zwischen MAD und Verfassungsschutz", sagt Christian Ahrendt, Parlamentarischer Geschäftsführer der Liberalen und Speerspitze der Anti-MAD-Bewegung. "Da kann der MAD abgeschafft werden."

Das sieht die Bundesregierung anders. In einem Bericht an den Bundestag kam sie im Frühjahr zu dem Ergebnis, dass sich die spezifischen Aufgaben des MAD nach dem Ende des Kalten Krieges und mit der Neuordnung der Bundeswehr keineswegs erledigt hätten. "Es erscheint daher für den Schutz der Bundeswehr und ihrer Angehörigen im Inland wie im Einsatz am besten zu sein, wenn die vom MAD wahrgenommenen Aufgaben beim MAD verbleiben", heißt es in dem Papier in gestelztem Beamten-Deutsch.

Gesetzlich festgeschriebene Aufgabe des MAD ist es, die Bundeswehr vor Spionage und Sabotage zu schützen und sogenannte Innentäter abzuwehren, die "aus der Bundeswehr gegen die Bundeswehr" arbeiten, wie es in dem Bericht der Bundesregierung heißt. Dabei sind die Aktivitäten des Dienstes auf die militärischen und die zivilen Angehörigen der Bundeswehr und des Verteidigungsministeriums beschränkt.

Wo immer außerhalb des Militärs der Verdacht auf Gesetzwidrigkeiten auftaucht, fällt dies in die Zuständigkeit von Polizei und Verfassungsschutz. Aus dieser besonderen Zuständigkeit leitet der MAD einen Großteil seiner Existenzberechtigung ab. "Aus der Truppe für die Truppe", lautet die Devise. Von den derzeit knapp 1300 Mitarbeitern des MAD tragen zwei Drittel Uniform, die meisten von ihnen sind Berufssoldaten. Diese Verwurzelung in der Truppe sei bei Ermittlungen ein unschätzbarer Vorteil, sagt ein hoher Beamter des Verteidigungsministeriums - auch wenn ausgerechnet im Bundeswehr-Magazin "Y" der Spruch zitiert wird, in Friedenszeiten seien die beiden größten Feinde des deutschen Soldaten die Verwaltung und der MAD.

Wo kommt der neue Porsche her

"Es macht einen Unterschied, ob da ein Kamerad in Uniform kommt oder ein Zivilist vom Verfassungsschutz", sagt ein MAD-Offizier im vertraulichen Gespräch. "Wir kennen die Gepflogenheiten, die Sprache, die Mimik. Wir bewerten Dinge anders." Dass dabei auch die Gefahr von Kumpanei entsteht, sehen die Verantwortlichen beim MAD durchaus. Sie betrachten dies als Herausforderung: "Wir kennen auch die Verbündelungsmechanismen."

Eine Hauptaufgabe des MAD ist die Sicherheitsüberprüfung (SÜ) von Mitarbeitern, die - unabhängig vom Dienstgrad - mit geheimen Akten umgehen oder Zugang zu sensiblen Anlagen haben. Rund 400 MAD-Leute sind allein damit beschäftigt. Jedes Jahr fallen rund 56.000 Vorgänge an, von der simplen Dateiabfrage bei anderen Sicherheitsbehörden bis zur peniblen, manchmal Wochen dauernden Abklärung der persönlichen und finanziellen Verhältnisse.

Eine chinesische Ehefrau, die erst seit einem Jahr im Land lebt, gibt ebenso Anlass zu Nachfragen wie der Porsche, mit dem ein normal besoldeter Kompaniefeldwebel zur Arbeit kommt. Immer wieder stoßen die MAD- Mitarbeiter auf Personen mit Alkohol- oder Geldproblemen, die damit anfällig für unmoralische Angebote eines ausländischen Geheimdienstes sein könnten. In so einem Fall wird der MAD auch zum Finanzberater. "Da wird uns schon mal ein ganzer Karton mit ungeöffneten Mahnbriefen auf den Schreibtisch gekippt", erzählt ein MAD-Offizier.

"Im Zweifel für die Sicherheit"

Wer "rot geschrieben", das heißt zum Sicherheitsrisiko gestempelt wird, dem bleibt der erhoffte sensible neue Job verwehrt. "Keiner hat einen Anspruch auf das Sicherheitsattest", sagt ein Verantwortlicher im Ministerium. "Bei uns gilt die Devise: Im Zweifel für die Sicherheit." Gleichwohl fühlen sich die allermeisten offenbar fair behandelt. Beschwerden etwa beim Wehrbeauftragten über unangemessenes Vorgehen bei den Sicherheitsüberprüfungen gibt es so gut wie keine.

Ansatzpunkte für fremde Dienste gibt es viele. Jedes Jahr nehmen Hunderte ausländischer Soldaten an Lehrgängen und Austauschprogrammen der Bundeswehr teil. Viele von ihnen kehren später als Diplomaten nach Deutschland zurück und knüpfen an alte Kontakte an mit dem Ziel, Informationen zu beschaffen. Für diese Gefahr versucht der MAD zu sensibilisieren. Das Hauptaugenmerk des Dienstes aber gilt der Abwehr von Extremisten jedweder Couleur, seien es Rechts- oder Linksradikale oder Islamisten.

Allein im Jahr 2010 habe der MAD durch seine vorbeugende Tätigkeit die Einberufung oder Weiterverpflichtung von mehr als 1000 potenziellen Extremisten verhindert, heißt es in dem Regierungsbericht an das Parlament. Als ungerecht empfindet man im Dienst eine Feststellung des Bundesrechnungshofes, dass es durchschnittlich nur 48 rechtsextreme Verdachtsfälle pro Jahr gebe. Das seien nur die Fälle, in denen der Verdacht gerichtsfest belegt worden sei. In mehr als 200 weiteren Fällen pro Jahr habe sich der Verdacht bestätigt und zur Entlassung beziehungsweise zur Ablehnung eines Bewerbers geführt. Dies tauche nur in der Statistik nicht als abgeschlossener Fall auf.

"Was wäre, wenn es uns nicht gäbe?"

Hart trifft die Verantwortlichen an der Spitze des Dienstes der Vorwurf, der MAD sei auf dem rechten Auge blind. Man wisse doch um die "deutliche Affinität" gerade der rechten Szene zum Militär, wird gesagt. Und man weiß natürlich auch, dass die Öffentlichkeit auf rechtsextreme Vorfälle in der Bundeswehr besonders allergisch reagiert. Schon aus diesem Grund schaue man da genau hin.

Vor allem werde bei jedem "Erstaufkommen" genau untersucht, ob womöglich der Versuch dahinter stehe, ein Netzwerk aufzubauen, versichert ein MAD-Offizier. Dafür habe es bislang in keinem einzigen Fall einen Beleg gegeben. "Alles nur verwirrte Einzeltäter", heißt es.

MAD-Kritiker Ahrendt findet, dass all diese Aufgaben genauso gut vom Verfassungsschutz übernommen werden könnten. Allenfalls beim Schutz der im Ausland eingesetzten Soldaten sieht der FDP-Politiker noch eine Existenzberechtigung. Dort kümmert sich der MAD vor allem um die Überprüfung der sogenannten Ortskräfte, also der Dolmetscher, Fahrer oder Küchenhelfer, die in den Lagern der Bundeswehr beschäftigt werden. Der Verfassungsschutz darf im Ausland nicht tätig werden, der Bundesnachrichtendienst ist für die Aufklärung der Sicherheitslage zuständig.

Die Auflösung des MAD mag übrigens auch der Rechnungshof nicht vorschlagen. In einem Bericht vom Februar regt er lediglich an, die Übertragung einiger Aufgaben auf den Verfassungsschutz "zu prüfen".

Kießling-Skandal immer noch präsent

Auch die FDP weiß, dass die Aufgaben des MAD nicht auf andere Behörden übertragen werden können, ohne dass dort Personal aufgestockt wird. Sie räumt sogar ein, dass dafür MAD-Personal übernommen werden sollte. Das Einsparpotenzial beim größten Kostenfaktor, dem Personal, ist mithin gering. Im Zuge der Bundeswehrreform peilt der MAD, dessen Etat derzeit bei etwa 75 Millionen Euro im Jahr liegt, schon von sich aus den Abbau von 182 Planstellen und Einsparungen von 11,5 Millionen Euro über die nächsten fünf Jahre an.

Helfen könnte den Verteidigern des MAD, wenn der Dienst den einen oder anderen publikumswirksamen Erfolg aufzuweisen hätte. Sein größter Skandal, die Affäre um den angeblich homosexuellen Vier-Sterne-General Günter Kießling Anfang der achtziger Jahre, ist jedem gleich präsent. Ähnlich Spektakuläres fehlt auf der Habenseite. "Wenn es so etwas gäbe, wäre das ja der Beweis, dass wir im Vorfeld versagt haben", sagt ein MAD-Verantwortlicher. "Für uns ist eine Operation nicht nur dann ein Erfolg, wenn ein Extremist identifiziert ist. Sie ist genauso erfolgreich, wenn ein Verdacht ausgeräumt wird."

Dass es seit vielen Jahren keine wirklichen Skandale mit Extremismusbezug in der Bundeswehr gegeben habe, wertet das Verteidigungsministerium als Ergebnis der erfolgreichen Arbeit des MAD. Denjenigen, die dieses Argument nicht überzeugt, hält ein MAD-Offizier entgegen: "Was wäre, wenn es uns nicht gäbe?" Dessen ungeachtet geht man auch im MAD davon aus, dass der Koalitionsvertrag auch der nächsten Bundesregierung zumindest einen Prüfauftrag enthalten wird: Wird der MAD noch gebraucht?

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