Militärische Drohgebärden Russlands:Das Prinzip Reiz und Reaktion

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Mit wehenden Fahnen wird die Moskwa, das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte (Archivbild), nach dem Kaukasuskrieg 2008 von prorussischen Aktivisten im Hafen von Sewastopol auf der ukrainischen Halbinsel Krim begrüßt.

(Foto: AFP)

Die Ukraine ist im Umbruch. Russland sieht sein Selbstverständnis bedroht, das von alten Feindbildern lebt. Also sorgt sich Moskau um die russischstämmigen Ukrainer. Dass Präsident Putin nun die Einsatzbereitschaft seiner Streitkräfte überprüfen lässt, ist genauso vorhersehbar wie falsch.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Reiz und Reaktion - niemand muss sich sorgen um den alten russischen Reflex. Nein, er funktioniert prima. Er funktioniert so gut wie damals in den aufregenden Monaten, als das Baltikum in die Unabhängigkeit strebte. Er funktioniert wie unlängst in der Debatte um die Stationierung eines Raketenabwehrschilds der Nato, als Moskau mit der Verlegung von Kurzstreckenraketen in die Exklave Kaliningrad drohte.

Reiz und Reaktion sind eine urrussische Angelegenheit. Das russische Selbstverständnis speist sich nicht zuletzt aus einem Gefühl der Bedrohung, es lebt von einem Feindbild, und es findet seine Stärke im Zusammenschluss aller Russen gegen den äußeren Feind. Das ist ein in der Geschichte eingeübtes Muster - warum also sollte es nicht auch jetzt greifen, da das Brudervolk an der westlichen Grenze von der Spaltung bedroht ist?

Die Ukraine, groß an Fläche, mit acht Millionen russischstämmigen Menschen in ihren Grenzen, lebt mit zwei Herzen. Nun, nachdem das proeuropäische im Triumph rast, wächst die Sorge um das prorussische. Das Parlament in Kiew hat im Rausch des Erfolgs Russisch als zweite Amtssprache verboten. Gerüchte über eine Abspaltung der Krim wollen nicht verstummen. Selbstverständlich ist die Sorge um die Unversehrtheit der russischen Minderheit berechtigt.

Militärische Maßnahmen sind der beste Schutz

Umgekehrt hat die Moskauer Propaganda auch alles getan, um die Spaltung entlang der Nationalitätenlinie zu befördern. Sie schwadronierte vom Aufmarsch der Braunhemden und ließ damit die alten Feindbilder vom großen vaterländischen Krieg auferstehen. Sie machte die Verteidigung der Ukraine zur patriotischen Angelegenheit. Sie verlor kein differenziertes Wort über den abgesetzten Präsidenten, tat die Demonstranten aber pauschal als Faschisten ab.

Als Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew am Montag, in schwarzem Geheimdienst-Trenchcoat gekleidet, vom Wohlergehen der russischen Bürger raunte, da kamen die alten Bilder wieder hoch: Es war der Präsident Medwedjew, der quasi als einzig bleibendes Werk seiner Amtszeit eine Russen-zuerst-Doktrin erließ, eine Art Handlungsanleitung zum Schutz von Russen im Ausland. Ihre Kurzfassung: Wenn Russen bedroht sind, ist alles möglich.

Den Reflex überwinden

Auch ein Einmarsch? Auch ein Einmarsch. Der tölpelhafte georgische Ex-Präsident Michail Saakaschwili hat das im August 2008 erlebt, als er als Antwort auf seine Provokationen den russischen Einmarsch kassierte. Medwedjews Doktrin stammt aus dieser Zeit.

Wenn nun also Präsident Wladimir Putin überprüfen lässt, ob die Streitkräfte im Westen Russlands auch einsatzfähig sind, dann hat er zwar noch lange nicht den Einsatz befohlen. Eine solch eklatante Fehlkalkulation wird ihm nicht unterlaufen. Aber er zeigt, wie er den Konflikt beim Brudervolk einordnet: Es geht um Russlands Sicherheit, um eine militärische Bedrohung. Die russischstämmige Bevölkerung in der Ukraine darf sich beschützt fühlen - sie ist nicht vergessen. Und dem Parlament in Kiew gilt die Botschaft: Übertreibt es nicht.

Reiz und Reaktion - es wäre verwunderlich gewesen, hätte Putin keine Antwort auf den Machtwechsel in der Ukraine gefunden. Aber sie ist so falsch wie vorhersehbar. Die Ukraine wird erst zur Ruhe finden, wenn Russland seinen Reflex überwindet und das Freund-Feind-Schema an seinen Grenzen ablegt. Die Menschen auf dem Maidan haben nicht gegen Russland demonstriert, sondern gegen eine korrupte und inkompetente Führung. Und sie werden so lange Russland misstrauen, wie der russische Präsident droht und die Inkompetenz schützt. Vom ukrainischen Doppelherz lässt sich die eine Hälfte eben nicht wegoperieren.

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