Militäreinsatz in Mali:Wie einst in Französisch-Sudan

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Schweres Erbe einer Kolonialmacht? Ein französischer Soldat in der Stadt Diabaly.  (Foto: AFP)

Gaddafi weg, Problem gelöst? Wenn der Westen meint, er habe ein Sicherheitsloch geflickt, reißt er anderswo eines auf. Nach Libyen ist jetzt Mali dran. Die Ex-Kolonialmacht Frankreich korrigiert dort ihre Fehler der Vergangenheit - und kämpft dafür, dass zusammenbleibt, was nicht zusammengehört.

Von Sebastian Schoepp

Kriege in Afrika können übel ausgehen. Das stellte der Dichter Antonio Barea fest, als er 1921 am spanischen Kolonial-Feldzug im marokkanischen Atlasgebirge teilnahm. Die aufständischen Rif-Kabylen hatten der spanischen Fremdenlegion gerade eine verheerende Niederlage zugefügt. Bareas Einheit stieß auf die Leichen.

"Diese Toten, die wir fanden, nach Tagen unter der afrikanischen Sonne, die das menschliche Fleisch in zwei Stunden zum Tummelplatz für Würmer macht. Diese verstümmelten Körper, ohne Augen, ohne Zunge, ohne Hoden, gepfählt, die Hände mit den eigenen Gedärmen gefesselt, ohne Köpfe, ohne Arme, ohne Beine, in zwei Teile zersägt. Oh, diese Toten."

Für Spanien war das Kolonialabenteuer im Norden Marokkos danach erst mal vorbei, das Land zog sich in seine alten Festungen Ceuta und Melilla zurück. Der siegreiche Abd el-Krim, ein früherer Lehrer, Journalist und Übersetzer, errichtete im Atlas eine Republik der Rif-Bewohner und erklärte von dort aus den Ungläubigen den Heiligen Krieg.

Das rief die Franzosen auf den Plan, die den Kabylen-Staat als Bedrohung der Sicherheit ihres Protektorats in Marokko ansahen. 1926 erfolgte der Gegenangriff französischer und spanischer Truppen, bei dem Senfgas eingesetzt wurde. Abd el-Krim kapitulierte. Die Franzosen schickten ihn in die Verbannung auf die Insel Reúnion im Indischen Ozean, einem Vorläufer von Guantánamo, allerdings mit besseren Haftbedingungen. Franzosen und Spanier festigten ihr Kolonialreich in Marokko. Einen Marionetten-Sultan ließen sie im Amt, sozusagen einen Vorläufer der Karsais und Malikis unserer Tage.

Islamisten und al-Qaida - die Nachfolger Abd el-Krims

Die Verteidigung eigener Sicherheitsinteressen war - neben wirtschaftlicher Expansion - stets Auslöser und Begründung für europäische Kriege und Eingriffe in fernen Ländern, sei es im Atlas-Gebirge oder am Hindukusch. Nicht selten mussten mit diesen Feldzügen die Fehler vorhergehender Feldzüge korrigiert werden - im beschriebenen Fall das spanische Desaster durch einen noch größeren Einsatz der Franzosen.

Auch in Mali fühlt Europa dieser Tage seine Sicherheit gefährdet, Islamisten und Al-Qaida-Kämpfer, die modernen Nachfolger Abd el-Krims, könnten im Norden Malis einen Staat gründen und von dort aus Terrorakte verüben, hieß es zur Begründung für den Feldzug der Franzosen in ihrer ehemaligen Kolonie. Die wirtschaftlichen Interessen des Westens, liegen eher im Nachbarland Niger, wo Uran lagert.

Auch in Mali wurde mit einem Feldzug der Fehler eines vorangegangenen Feldzugs korrigiert: Ist die Präsenz al-Qaidas in Mali doch direkt auf den Fall Libyens zurückzuführen, der die ganze Region destabilisierte, wie es der Gewaltherrscher Muammar al-Gaddafi ja vor seinem Sturz selbst prophezeit hatte. Erst als Gaddafis Tuareg-Truppen auf der Flucht vor den mit westlicher Hilfe siegreichen Rebellen mit schwerem Gerät im Norden Malis einrückten, brach dort der Aufstand gegen die Regierung in der fernen Hauptstadt Bamako los. Wo der Westen also meint, er habe ein Sicherheitsloch geflickt, reißt er eines an einer anderen Stelle auf.

Ist die französische Intervention deshalb gleich ein Kolonialkrieg? Der Hauptunterschied ist, dass es in Mali nicht mehr darum geht, eine Kolonie zu erobern oder zu verteidigen. Sondern in einem souveränen Staat dafür zu sorgen, dass Leute an der Macht bleiben, von denen man hofft, dass sie im Sinne westlicher Interessen arbeiten, im konkreten Fall den Terrorexport nach Europa verhindern. Schließlich ist die Reichweite von al-Qaida heute größer ist als die der Rif-Kabylen 1921.

Zu diesem Zweck verteidigen die ehemaligen Kolonialisten Grenzen, die sie einst selbst gezogen hatten. Französisch-Sudan hieß das heutige Mali von 1890 bis 1960. Nach der Unabhängigkeit kramte man den historischen Namen Mali wieder hervor, ließ die Grenzen aber wie sie waren, obwohl sie alten Handelsbeziehungen und ethnischen Zusammensetzungen Hohn sprachen.

Die Überkommenheit dieser Grenzen macht sich in Afrika immer stärker bemerkbar. "Mit der zunehmenden zeitlichen Entfernung zur Kolonialherrschaft wird ja nicht nur der Kolonialismus selbst zu einer relativ kurzen Episode in der afrikanischen Geschichte. Auch sein Erbe in Form postkolonialer Staatenordnung verliert zusehends an Gewicht, Legitimität und Sinnhaftigkeit", schreibt der Journalist Dominic Johnson in seinem Buch Afrika vor dem großen Sprung. Zusehends gehe es bei Konflikten in Afrika "um die Rückkehr zu angestammten regionalen Wirtschaftskreisläufen und alten sozialen Zusammenhängen, die quer zu den heutigen Grenzen und staatlichen Loyalitäten liegen." Und weiter: "Wo die Träger der vorkolonialen Identität sich nicht im modernen Staat wiedererkennen, melden sie sich zuweilen mit Gewalt zurück."

Durch Mali läuft eine solche Kulturgrenze, an der entlang der Krieg tobt, im Norden leben Tuareg und andere Wüstenvölker, im Süden Schwarzafrikaner. Vor der europäischen Kolonisierung war die Landnahme eher von Nord nach Süd erfolgt, nordafrikanische Sklavenhändler starteten Raubzüge in der Sahelzone. Das änderte sich erst in der Kolonialzeit, in der Französisch-Sudan von Bamako aus verwaltet wurde. Bamako blieb Hauptstadt des unabhängigen Mali, hatte im Norden des Landes aber nie viel zu melden. Das kümmerte jahrzehntelang keinen - bis sich al-Qaida dort festsetzte. Seitdem wird fiebrig davon geredet, dass die staatliche Einheit Malis unbedingt gesichert werden müsse, so als sei sie das Ergebnis freier Willensbildung der Völker und nicht die Konkursmasse des Kolonialismus.

Frankreichs Armee hält zusammen, was nicht zusammengehört

Das ist ein beträchtlicher Unterschied zu dem anderen Sudan, der früheren britischen Kolonie weiter östlich. Es war das erste Land, das die unsinnige Grenzziehung aus der Kolonialzeit aufhob und sich entlang seiner ethnischen Grenzen unter Schmerzen neu ordnete und in zwei Staaten trennte. Der Westen hatte nichts dagegen, weil ihm ein unabhängiger Südsudan zupasskam. In Mali hingegen kämpfen Franzosen nun dafür, dass zusammenbleibt, was nicht zusammengehört. Die Frage ist, wie weit die Jagd nach al-Qaida gehen soll? Bis wohin will man die Terroristen verfolgen, wenn das Unternehmen Timbuktu abgeschlossen ist? Bis nach Algerien? Bis zum Rif-Gebirge?

Aber darf man untätig bleiben angesichts der Menschenrechtsverletzungen, darf man dem Wüten der Islamisten, dem Handabhacken und Steinigen tatenlos zusehen? Der frühere Weltbank-Entwicklungsexperte William Easterly sagt: Heute werde Kolonialismus gerne mit altruistischen Motiven gerechtfertigt. Die Frage stellt sich, ob der Furor genauso groß wäre, wenn diese Islamisten nicht das Etikett al-Qaida tragen würden. Im mit den USA verbündeten Saudi-Arabien werden auch Hände abgehackt, trotzdem kommt niemand auf die Idee, dort einzumarschieren. Man fühlt sich an Satz des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt über den nicaraguanischen Diktator Anastasio Somoza erinnert: "He is a bastard, but he is our bastard."

Von Neokolonialismus zu sprechen, ist trotzdem falsch. Kolonialherren bauten Eisenbahnen, Schulen, Brücken, legten Plantagen an. Der direkte Kolonialismus war viel zu aufwendig, als dass ihn sich heute noch ein Land leisten würde. Es handelt sich bei den heutigen Einflussversuchen eher um Neo-Treuhandverwaltungen, eine komplexe Mischung internationaler und nationaler Regierungsstrukturen. Ähnlich wie beim klassischen Imperialismus geht es auch hier um eine weitreichende Kontrolle der innenpolitischen Souveränität und grundlegender Wirtschaftsprozesse", schrieben die Stanford-Politikwissenschaftler James Fearon und David Laitin 2004.

Ein klassisches Feld solcher Treuhandverwaltung war Lateinamerika. Nach dem Ende des spanischen und portugiesischen Kolonialreichs wurde es erst zum britischen, dann zum US-amerikanischen Einflussgebiet und befolgte lange Zeit willfährig Anweisungen aus Washington. Widerstand wurde mit dem Hinweis auf kommunistische Guerilleros niedergemacht, den schnurrbärtigen Vorläufern der al-Qaida als Bedrohung des westlichen Way of Life.

Erst als sich der US-geführte sogenannte Westen von Lateinamerika abwandte, weil man im Nahen und Mittleren Osten neue Feinde gefunden hatte, fand Lateinamerika zu einem eigenen Weg - zum Teil unter Anleitung früherer Guerilleros und deren Anhänger, die heute Präsidenten sind. Sie stürzten die Gegend jedoch nicht ins Chaos, Lateinamerika gehört heute zu den wachstumsstärksten Regionen der Welt. Dazu brauchte es Zeit und Raum für unabhängige Entscheidungen. Der Stolz auf die Eigenleistung ohne Einmischung erklärt im Übrigen die Renitenz lateinamerikanischer Staaten bei der Zustimmung zu Militäreinsätzen in Libyen oder Syrien. Man empfindet sie als imperialistisch.

"We are here to help", sagen US-Soldaten

Gemeinsam haben imperialistische Expeditionen, dass die, denen sie gelten, meistens nicht gefragt werden. "Die Armen haben wenig Mitspracherecht bei der Frage, ob sie (...) gerettet werden wollen", sagt William Easterly. "We are here to help", das ist der Satz, den amerikanische Soldaten als Erstes in der Sprache der Völker lernen müssen, deren Türen sie eintreten. Easterly kommt zu einer klaren Schlussfolgerung: "Westliche Einmischung in die Regierung nicht westlicher Länder sei stets wenig hilfreich gewesen: Neoimperialistische Phantasien funktionierten heute so wenig wie früher."

Meist in der Minderzahl bleiben die Stimmen derer, die fordern, die zu Befreienden selbst und nicht ferne Kommandozentralen sollten über ihr Schicksal bestimmen. Der Brite T. E. Lawrence war so einer. Als "Lawrence von Arabien" führte er im Ersten Weltkrieg im britischen Auftrag mit den Beduinen einen Feldzug gegen die Türken. Das versprochene Selbstbestimmungsrecht wurde den Beduinen jedoch von den siegreichen Briten verweigert. Lawrence zerbrach daran, sein Wort brechen zu müssen. Er schrieb: "Hier in den Kriegsnöten Arabiens, verkaufte ich meine Ehrlichkeit, um England zu erhalten."

Die Einzigen, die das aus ihren Kolonial-Desastern gelernt zu haben scheinen, sind die Spanier: Für den Mali-Einsatz haben sie bisher gerade mal ein Versorgungsflugzeug zur Verfügung gestellt.

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